Gedankengesteuerte Roboter
6. Juni 2012Jörn Vogel arbeitet als Wissenschaftler für Robotik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Ende Mai zeigte er auf der Messe Automatica in München einem begeisterten Publikum seinen wichtigsten Helfer: einen ein Meter langen Arm aus Kunststoff und Metall. Es ist derselbe Arm, den Cathy Hutchinson ein Jahr zuvor in der Browne Universität in Providence, USA, per Gedanken ferngesteuert hatte. Bei dem Experiment saß Vogel damals direkt neben ihr. Die 58-jährige Hutchinson ist seit einem Schlaganfall vor 15 Jahren schwerstbehindert.
Jetzt, kurz nach der Veröffentlichung seiner Tests im Wissenschaftsmagazin "Nature", wurde Vogel noch einmal deutlich, wie bedeutend seine Arbeit war. "Es war für uns alle ein besonderer Moment, als es geklappt hat", freut sich der 30-Jährige heute. Erstmals war es Wissenschaftlern gelungen, eine funktionelle Bewegung von einem gedankengesteuerten Roboter ausführen zu lassen.
Zwar gab es auch schon früher einfachere, gedankengesteuerte Experimente - zum Beispiel Roboterhände zu öffnen oder zu schließen oder am Bildschirm gegen einen Computer Schach zu spielen - aber nie zuvor hatten die Experimente eine so praktische Wirkung. "Frau Hutchinson hatte sechs Versuche. Viermal konnte sie das Getränk zum Mund bringen", erzählt Vogel begeistert. Nur zweimal musste der Versuch abgebrochen werden, weil sie das Getränk fast auf den Boden gestoßen hätte.
Ein langer Prozess
Vor fünf Jahren hatten Ärzte der Browne Universität in Zusammenarbeit mit dem Forscher Patrick van der Smagt Cathy Hutchinson einen Gehirnsensor implantiert. Smagt ist Professor für Biomimetic und Robotik beim DLR und beschäftigt sich mit der Anwendung von Prinzipien aus der Natur in der Robotertechnik. Nach der Implantation fand eine lange Trainingsphase statt, denn einen solchen Roboter zu steuern ist nicht einfach.
Zuerst musste Hutchinson die Bewegungen des Roboterarms verfolgen. Sie sollte so denken, als ob sie selbst das Glied bewegt. Zur gleichen Zeit beobachteten die Forscher die neurale Aktivität in ihrem Gehirn. Dann musste sie versuchen, den Roboter selbst zu kontrollieren. Wieder nahmen die Wissenschafter die Gehirnaktivität auf. Am Ende führten sie einen Vergleich durch, ein sogenanntes "Brain-Mapping" und konnten damit den Roboter programmieren.
"Eigentlich ist das wissenschaftliche Verfahren ganz einfach", sagt van der Smagt. Allerdings hätte es lange gedauert, die rechtlichen Fragen zu lösen, die mit solch einer neuartigen Hirn-Roboter-Schnittstelle verknüpft sind. Der Holländer betont, dass es vor allem wichtig gewesen sei, bei Tests mit behinderten Probanden für eine sichere Umgebung zu sorgen. Seit dem ersten Experiment mit Hutchinson habe es noch weitere Tests mit einem anderen Patienten gegeben. Vor einem Jahr wurde diesem ebenfalls ein Sensor implantiert und die Ergebnisse sind sogar noch besser, versichert Smagt.
"Ich würde es glatt machen lassen"
Lars Hemme kann von dem Moment nur träumen, wo er aus eigener Kraft einen Kaffee trinken kann. Der 37-Jährige kann fast nichts alleine machen. Von Geburt an leidet er unter einer fast kompletten Lähmung der Arme und Beine. Seine Muskulatur ist verformt und teilweise nicht vorhanden. Der Medienwissenschaftler aus Paderborn braucht deshalb rund um die Uhr Pflegehilfe in seiner Wohnung.
Im Rollstuhl schaut er sich zum ersten Mal das Internet-Video des Experiments mit Cathy Hutchinson an. Er ist sofort begeistert. "Die Tatsache, dass ein querschnittsgelähmter Mensch eine Flasche unabhängig zum Mund bewegen kann, ist grandios."
Zwar bezweifelt er, dass dieses neue Hilfsmittel für Behinderte schon bald erschwinglich auf dem Markt zu kaufen sein wird, dennoch überlegt er schon, wie man die Erfindung verbessern könnte: Schön wäre es zum Beispiel, wenn Behinderte einen solchen Roboterarm auch mobil nutzen könnten. Das wäre dann noch praktischer im Alltag. Die Grundidee stimme jedenfalls, meint Hemme. "Ich würde die Implantation glatt machen lassen", sagt er überzeugt.
Eine unsichere Zukunft
Die Erfindung könnte den Alltag von schwerbehinderten Menschen drastisch verbessern. Dennoch wagt auch Patrick van der Smagt keine Prognose, wie schnell seine Erfindung auf den Markt kommen wird und was sie kosten könnte.
Das hängt von der Nachfrage der Kunden ab, sagt er. Smagt bleibt aber zuversichtlich, dass der gedankengesteuerte Roboterarm für viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen einsetzbar wäre. Allerdings steht die Forschung derzeit noch am Anfang. "Das hier ist wirklich nur ein Fallbeispiel", betont er. Deshalb sei auch nicht damit zu rechnen, dass schon in wenigen Jahren jeder Betroffene ein solches Implantat bekommen kann.