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Lieferkettengesetz gegen Ausbeutung

14. Juli 2020

Deutsche Unternehmen kümmert es zu wenig, ob ihre weltweiten Zulieferer Arbeits- und Sozialstandards einhalten. Deswegen sollen sie nun gesetzlich zur Kontrolle verpflichtet werden. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Elfenbeinküste | Junger Kakaoplantagenarbeiter in Guezon
Bild: imago images/UIG/Godong

Weniger als 80 Cent kostet eine Tafel Vollmilchschokolade in deutschen Supermärkten. Dafür steckt in ihr eine Menge Kinderarbeit. Seit zwei Jahrzehnten untersucht die Universität Chicago im Abstand von fünf Jahren, wie viele Kinder auf den Kakaoplantagen der mit Abstand größten westafrikanischen Kakao-Nationen Elfenbeinküste und Ghana arbeiten. In ihrer jüngsten Studie zählen sie 2,26 Millionen - ein neuer Höchststand.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller bringt das in Rage: "Das Problem ist, dass wir Industrieländer externalisieren, also Produktionsketten auslagern in Entwicklungsländer, und so Standards für unsere Produkte in unserer Wohlstandsgesellschaft unterlaufen." Es gehe um soziale und ökologische Standards, die in Deutschland selbstverständlich seien. "Wir akzeptieren und zementieren damit die Ausbeutung von Mensch und Natur in Entwicklungsländern. Eine Bayreuther Wissenschaftlerin hat nachgewiesen, dass unser Lebensstandard hier in Deutschland, der Konsum, wie wir ihn leben, dass dafür im Durchschnitt 50 Sklaven arbeiten."

Freiwillig funktioniert es nicht

Neu ist das nicht und weltweit gibt es seit Jahrzehnten immer wieder Versuche, daran etwas zu ändern. Nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch, indem Unternehmen aus den Industrieländern darauf achten, dass in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden. "Wer darauf achten kann, dass die Produktqualität eingehalten wird", sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, "der kann das auch bei den Menschenrechten tun."

Lieferkettengesetz - Pressekonferenz mit Hubertus Heil und Gerd Müller
Für faire Lieferketten: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU, li.) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Doch freiwillig scheint das nicht zu funktionieren. Das geht aus einer Befragung von mehr als 5500 großen deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern hervor. Im Dezember 2019 gab es einen ersten Zwischenbericht, wonach nur 18 Prozent der Unternehmen ein funktionierendes Überwachungssystem aufgebaut haben, um zu dokumentieren, unter welchen Umständen die Güter hergestellt werden, die sie importieren. In der zweiten Befragungsrunde waren es 22 Prozent.

Ein Fünftel ist zu wenig

"Die Ergebnisse der zweiten Unternehmensbefragung sind erneut enttäuschend", sagt Müller, für den die Konsequenz auf der Hand liegt: "Zur Verwirklichung von Menschenrechtsstandards, die entlang der Lieferketten Kinderarbeit ausschließen und grundlegende ökologische und soziale Mindeststandards sichern, brauchen wir jetzt einen gesetzlichen Rahmen, so wie im Koalitionsvertrag festgelegt."

Pakistan | Kinderarbeit
Deutsche Unternehmen sollen nicht nur die Qualität kontrollieren, sondern auch die Wahrung der MenschenrechteBild: imago images/Zakir Hossain Chowdhury

CDU, CSU und SPD haben 2018 vereinbart, dass eine gesetzliche Regelung kommen soll, wenn sich auf freiwilliger Basis nichts ändert. Hubertus Heil kündigt nun an, bereits im August einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Kabinett einzubringen und dann in den Gesetzgebungsprozess in den Bundestag zu schicken. Anfang 2021 soll das Gesetz stehen.

"Globalisierung nicht mit Ausbeutung verwechseln"

Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern müssten demnach künftig prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken und angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen. Ferner sollen sie einmal jährlich berichten, wie sie Menschenrechtsverletzungen vermeiden.

"Menschenrechte haben universelle Gültigkeit und da ist Deutschland in der Verantwortung als Staat, als Volkswirtschaft und auch als Gesellschaft", sagt Arbeitsminister Heil. Die deutsche Wirtschaft sei wie keine andere weltweit verflochten und habe sich "zu kümmern". Globalisierung dürfe nicht mit Ausbeutung verwechselt werden.

Die Wirtschaft reagiert gespalten

Während sich mehr als 60 Unternehmen für ein Lieferketten-Gesetz aussprechen - darunter der Kaffeeröster Tchibo, die Lebensmittelkonzerne Rewe und Nestlé, sowie der Schokoladenhersteller Alfred Ritter - protestieren die Wirtschaftsverbände scharf. Die Unternehmen seien durch die Corona-Pandemie schon genug gebeutelt. "Eine zusätzliche Einführung eines Sorgfaltspflichtengesetz würde uns an die Grenzen der Belastbarkeit bringen und so die wirtschaftliche Erholung nur hinauszögern", heißt es vom Außenhandelsverband BGA.

"Es wird den Unternehmen mehr Wirkmächtigkeit bei der Durchsetzbarkeit von menschenrechtspolitischen Anliegen unterstellt als der gesamten Regierung von Frau Merkel", kritisiert Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer beim Arbeitgeberverband. "Da fehlt Maß und Mitte." Ganz besonders stören Kampeter, aber auch andere Verbandsvertreter, dass Unternehmen haftbar gemacht werden sollen, wenn in der Lieferkette Standards nicht eingehalten werden.

Alles Menschenmögliche tun

Arbeitsminister Heil hält das für zumutbar. Haftung gebe es nur bei Schäden, die vorhersehbar und durch deutsche Unternehmen vermeidbar gewesen seien. "Wir wollen Unternehmen verpflichten, sich zu kümmern und wenn sie alles Menschenmögliche, was Ihnen zur Verfügung steht, tun, dann werden sie nicht haftbar sein", ergänzt Entwicklungsminister Müller.

Deutschland Berlin | Peter Altmaier, Bundeswirtschaftsminister
Gilt als Skeptiker beim Lieferkettengesetz: Bundeswirtschaftsminister Peter AltmaierBild: picture-alliance/dpa/L. Stock

Doch auch wenn Heil und Müller entschlossen sind, das Lieferkettengesetz nun so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen, so ganz sicher können sie sich nicht sein, dass das auch gelingen wird. Denn im Kabinett gibt es auch Gegner des Gesetzes, allen voran Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

Abwarten, was die EU tut?

Der CDU-Politiker kündigte an, die Ergebnisse würden von der gesamten Bundesregierung sorgfältig analysiert. "Wir werden genau prüfen, welche Lücken es gibt und wie wir unsere deutsche Ratspräsidentschaft nutzen können, um EU-weit zu einer verantwortungsvollen Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten zu kommen."

Armin Paasch Porträt
Entschieden für ein deutsches Lieferkettengesetz: Armin Paasch vom Hilfswerk MisereorBild: Misereor

Für Armin Paasch vom kirchlichen Hilfswerk Misereor liegt aber genau hier das Problem: "Alle Versuche, die Debatte auf EU-Ebene auszulagern, würden und wären auch darauf angelegt, ein Gesetz über Jahre zu verzögern. Und das würde auch allen möglichen Blockaden und einer Verwässerung im Rahmen der EU Tür und Tor öffnen."

Paasch hofft, dass sich Müller und Heil durchsetzen: "Wir brauchen zuerst ein deutsches Lieferkettengesetz und damit steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass in zwei oder drei Jahren zusätzlich eine EU-Regulierung in Kraft tritt, die dann auch für andere Länder gilt."