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Gegenwind mit Gegenkonzept

Sabine Kinkartz / am8. Mai 2003

Im Streit um die Reform des Sozialstaates in Deutschland ist der Deutsche Gewerkschaftsbund nun in die Offensive gegangen. DGB-Chef Michael Sommer hat in Berlin einen Gegenentwurf zur "Agenda 2010" vorgestellt.

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Hat DGB-Chef Michael Sommer die bessere Reformidee?Bild: AP

Die Agenda 2010 ist ein rotes Tuch für die Gewerkschaften. Und so erteilte Michael Sommer, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds, den Reformplänen der Bundesregierung mit einer Lockerung des Kündigungsschutzes, kürzerer Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und Kürzungen der Sozialleistungen erneut eine Absage: "Im Kern zielen diese Vorschläge auf einen Abbau von Arbeitnehmerrechten, Verschlechterungen der Einkommensposition der Arbeitnehmer und einer Privatisierung von Lebensrisiken und sind daher auch eine Verschlechterung für die Erwerbslosen", empört sich der Gewerkschaftsboss.

Mut zum Umsteuern

In seinem Gegenentwurf mit dem Titel "Mut zum Umsteuern - für Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit" setzt der DGB der Agenda 2010 ein Investitionsprogramm in Höhe von 15 Milliarden Euro entgegen. Wesentliche Bestandteile, erläutert Sommer, sind "das Vorziehen von Teilen der Steuerreform, also Absenkung des Eingangssteuersatzes und Anhebung des Grundfreibetrages rückwirkend zum 1. Januar."

Das Volumen dieser Maßnahmen schätzt er auf fünf Milliarden Euro. Hinzu komme eine Zulage von 7,5 Prozent für Investitionen der Unternehmen, die über dem Schnitt von 2001 und 2002 liegen, mit einem Volumen von zwei bis drei Milliarden Euro. Eine Steuerförderung von Altbausanierungen bringe Einnahmen in vergleichbarer Größenordnung. Weitere fünf Milliarden Euro ergebe die Stärkung der kommunaler Finanzen durch investitionsgebundene Subventionen des Bundes.

Das Programm, schätzt Michael Sommer, setzt dank des Multiplikatoreffektes bei der Förderung gewerblicher Investitionen rund 1,5 Prozentpunkte zusätzliches wirtschaftliches Wachstumspotenzial frei. Allerdings ist zugleich mit Kosten von rund 7,5 Milliarden Euro zu rechnen, wie DGB–Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer erläutert. Das wiederum habe zur Folge, dass man zunächst ohne eine höhere Neuverschuldung nicht auskomme. Ein Punkt, der auf europäischer Ebene zu diskutieren sei. "Die Folgen des weltwirtschaftlichen Abschwungs in Europa sind dramatisch und wenn die europäischen Regierungschefs sich nicht darauf einigen können, hier rasch und wirksam etwas zu tun, das heißt, viel Geld in die Hand zu nehmen, dann kommen alle Strukturreformen zu spät", glaubt Putzhammer.

Kurzfristige Neuverschuldung nötig

In der Sozialpolitik sollen die Abgaben nach Vorstellung des DGB um gut 8,5 Prozentpunkte gesenkt werden. Zur Finanzierung schlägt der Gewerkschafts-Verband mehrere Maßnahmen vor. Vor allem das Gesundheitssystem soll effizienter werden. Um die Beiträge zu senken, soll zudem der Kreis der Beitragszahler und der abgabepflichtigen Einkommen erweitert werden. Darüber hinaus sollen nicht nur Steuerschlupflöcher geschlossen, sondern auch Erbschaften und Börsenumsätze höher besteuert werden.

Auch eine mittelfristige Erhöhung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte und eine deutliche Erhöhung der Mehrwertsteuer für Luxusgüter soll rechtlich geprüft werden. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer hält die Reparatur der Körperschaftssteuer für unerlässlich. Das habe nichts mit einer Steuererhöhungs- oder Neiddebatte, sondern sorge für mehr Steuergerechtigkeit und mehr Steuerehrlichkeit. "Ohne Not wird auf viele Milliarden Euro verzichtet", verdeutlicht Engelen-Käfer die Dringlichkeit des Vorhabens.

Gesprächsbereitschaft und Proteste

Trotz der verhärteten Fronten zwischen den Gewerkschaften und der Bundesregierung will der DGB die Diskussion in alle Richtungen auszuweiten. Michael Sommer erklärte dazu, er halte es für sinnlos, lediglich Teile der Reformagenda 2010 zu verbessern. Man müsse die Grundkonstruktion verändern. Die Gewerkschaften erwarten nun Gesprächsbereitschaft von Bundeskanzler Schröder.

Sommer ist der Auffassung, dass es sich in einer Demokratie gehört, anstehende Reformen konstruktiv zu diskutieren. "Wir haben Alternativen", betont Sommer. "Die können möglicherweise dem Kanzler nicht gefallen, aber die Alternativen liegen auf dem Tisch." Dennoch wollen die Gewerkschaften schon im Mai dem Bundeskanzler eine kleine Entscheidungshilfe an die Hand geben: In Form von Protestaktionen.