Geiger, Dirigent und Humanist: Yehudi Menuhin
22. April 2016"Mein lieber Yehudi, heute Abend habe ich gesehen, dass die Zeit der Wunder nicht vorbei ist. Unser lieber alter Gott arbeitet immer noch." Die Worte des Physikers Albert Einstein nach einem Konzert des damals 16-jährigen Yehudi Menuhin in Berlin spiegeln den Eindruck wider, den der Geiger bei seinen Zeitgenossen hinterließ.
Sein Debüt in Berlin gab Menuhin 1929. In der ersten Hälfte hatte Menuhin Beethoven und in der zweiten Hälfte Brahms gespielt. Sein Biograf Humphrey Burton nannte ihn das "berühmteste Kind auf dem Planeten". Er war ein Wunderkind im Maßstabe eines Mozarts. Mit sieben Jahren spielte er ein Konzert mit dem San Francisco Symphony Orchestra und vier Jahre später trat er erstmals in der Carnegie Hall in New York auf.
Instinkt, Antrieb – und Glück
"Als ich anfing, war es reiner Instinkt. Ich hatte das Durchhaltevermögen, die Gabe und den Willen", erinnerte sich Menuhin später.
Er wurde am 22. April 1916 in New York geboren. Die Eltern waren weißrussische Juden, die über Palästina in die USA auswandert waren. Sie versuchten ihren Sohn bestmöglich zu fördern: Um den Jungen das Studium bei dem berühmten Geiger Louis Persinger zu ermöglichen, zogen die Eltern von San Francisco zurück nach New York. Persinger riet ihnen 1926 nach Paris zu gehen, um Yehudi bei dessen ehemaligem Lehrer Eugène Ysaÿe studieren zu lassen. Der Junge setzte allerdings seinen Willen durch und begann ein Studium bei dem rumänischen Komponisten George Enescu. Menuhin sagte später rückblickend: "Was mir Enescu beibrachte – in Beispielen, nicht in Worten – waren Noten umgeformt in eine dynamische, lebendige Botschaft, außerdem die schneidende Schärfe und die Phrasierungen voller Ausdruck."
Im Alter von zwölf Jahren bekam Menuhin ein wertvolles Geschenk vom Banker und Kunstförderer Henry Goldman: Eine Stradivari aus dem Jahre 1733. Auftritte mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Bruno Walter und dem London Symphony Orchestra unter Fritz Busch brachten den Wunderknaben in direkten Kontakt mit den großen Künstlern jener Zeit. Nach einem Konzert mit Menuhin als Solisten sagte der Dirigent und Komponist Edward Elgar: "Die Art und Weise wie der Junge mein Concerto spielt, ist wunderbar."
Triumph und Mid-Life-Crisis
Der spätere Baron Menuhin of Stoke d'Abernon war Schweizer, amerikanischer und britischer Staatsbürger und verbrachte die letzten Jahrzehnte seines Lebens in Großbritannien. Einmal erzählte er vom Ursprung seines Vornamens: Seine Eltern, beide von chassidischen Rabbinern abstammend, suchten nach einer Wohnung in New York und wurden von einer potentiellen Vermieterin mit folgenden Worten abgelehnt: "Sie werden froh sein, ich vermiete nicht an Juden." Aus Trotz gegen die antisemitische Beleidigung beschloss Marutha Menuhin, dass ihr ungeborener Sohn Yehudi heißen solle - "Yehudi" bedeutet "der Jude".
Nach diesen frühen Jahren kam seine Karriere erst so richtig in Fahrt, brachte ihm etwa 70 Jahre Zusammenarbeit mit der EMI und damit den längsten Plattenvertrag der Geschichte ein. Komponisten wie Béla Bartók schrieben Stücke für ihn. 1996, in seinem 80. Lebensjahr, hatte er 110 Konzerte dirigiert.
Der einstige Wunderknabe musste aber auch dunkle Phasen durchmachen: Zeitweise war er nicht mehr in der Lage zu spielen. Erst nach eineinhalb Jahren Pause griff er wieder zu seinem Instrument. Er spielte dann nicht mehr instinktiv, sondern wohlüberlegt und gab während des Zweiten Weltkriegs 500 Konzerte für ein eher unkritisches Publikum: die alliierten Truppen. General Eisenhauer reagierte mit den Worten: "Seine Anwesenheit in Europa bei den kämpfenden Truppen zu diesem kritischen Augenblick wirkte tiefgreifend auf die Moral und war sehr wichtig."
Ein Leben voller unterschiedlicher Aspekte
Zusammen mit dem Komponisten Benjamin Britten trat Menuhin kurz nach Kriegsende für die Überlebenden in den Konzentrationslagern auf und stand außerdem mit Wilhelm Furtwängler und den Berliner Philharmonikern im ausgebombten Berlin auf der Bühne. Die Zusammenarbeit mit diesem Dirigenten, der als Liebling der Nazis galt, wurde ihm als Verrat angelastet. Darüber erstaunt setzte sich Menuhin für Furtwänglers Denazifizierung ein.
Im April 1945 spielte er bei der Eröffnung der Botschaft der Vereinten Nationen in San Francisco. Bei einem Besuch in Südafrika 1950 sprach er sich gegen Rassentrennung aus und bestand darauf, sowohl für ein schwarzes als auch ein weißes Publikum zu spielen.
Menuhins erste Reise nach Indien veränderte sein Leben: Die indische Musik zu hören, so erzählte er, war "eine der wunderbarsten Erfahrungen der Welt". Noch vor den Beatles waren es die Aufnahmen Menuhins mit Ravi Shankar, die den indischen Sitarspieler in der westlichen Welt bekannt und Menuhin zum Vorreiter der "Weltmusik" machten, bevor dieser Begriff überhaupt erfunden wurde.
Später erforschte Yehudi Menuhin die Zigeunermusik und den Jazz. Seine Improvisationen zusammen mit dem Jazz-Geiger Stephane Grappelli brachten einige erinnerungswürdige Platten hervor.
Menuhins 80. Geburtstag wurde sowohl im Buckingham Palace in London begangen, als auch mit einem Konzert in New York, bei dem 14 ihm gewidmete Stücke von Komponisten wie Steve Reich, John Tavener oder Lukas Foss gespielt wurden. Sein letztes Konzert gab Menuhin mit dem Sinfonia Varsovia und seinem musikalischen Ziehsohn, dem Solisten Daniel Hope an der Geige in Düsseldorf am 7. März 1999. Menuhin starb fünf Tage später in Berlin an einer Bronchitis.
Das Vermächtnis
Er hat nicht nur zahllose Auszeichnungen verliehen bekommen, Yehudi Menuhin war auch der Gründer etlicher Einrichtungen, wie dem Yehudi Menuhin International Competition for Young Violinists, dem Menuhin Festival Gstaad in der Schweiz oder der Yehudi Menuhin School in Stoke d'Abernon im County Surrey in Südostengland. 1977 rief er die Stiftung "Live Music Now" ins Leben, die junge Profimusiker zu Auftritten in Hospizen, Gefängnissen und anderen Orten abseits der Konzertsäle vermittelt. Vertretungen gibt es beispielsweise auch in Deutschland und Österreich.
Darüberhinaus schrieb Menuhin auch eine Reihe von Büchern und Essays zu humanistischen, politischen und ökologischen Aspekten. Und er war einer der ersten Besitzer eines Elektro-Autos in England. Der 100. Jahrestag seiner Geburt wird rund um die Welt mit Konzertereignissen begangen.