Geistliches Oberhaupt der Jesiden gestorben
2. Oktober 2020"Die jesidische Gemeinschaft hat ein Leuchtfeuer verloren", twitterte die Friedensnobelpreisträgerin von 2018, die Jesidin Nadia Murad, anlässlich des Todes von Khurto Hajji Ismail, wie der Baba Sheikh mit bürgerlichem Namen hieß.
"Er verkörperte unsere Werte der Weisheit, Freundlichkeit und Toleranz. Er führte die Gemeinschaft als Vorbild und behandelte jesidische Überlebende mit Liebe und Respekt. Er wird für immer vermisst werden."
Wie das Nachrichtenportal "Rudaw" berichtet, war der Baba Sheikh am Dienstag wegen Nieren- und Herzproblemen in ein Krankenhaus in der nordirakischen Stadt Erbil eingeliefert worden. Dort starb er zwei Tage später im Alter von 87 Jahren.
Der Ministerpräsident der autononem Region Kurdistan, Masrour Barzani, würdigte den Verstorbenen als wichtige Persönlichkeit. Er habe eine zentrale Rolle für das friedliche Zusammenleben der Religionen in der Region Kurdistan gespielt.
Die Kurdische Gemeinde Deutschland bestätigte auf ihrer Internetseite den Tod des spirituellen Führers und äußerte ihre Trauer über den Verlust.
2017 hatte der Baba Sheikh im Zuge der Debatte um die Aufnahme jesidischer Flüchtlinge auch Deutschland besucht. 2015 war er von Papst Franziskus im Vatikan empfangen worden.
Religionsgemeinschaft unter Druck
Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere Hunderttausend Mitglieder. Sie leben vor allem im nördlichen Irak, viele sind allerdings vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) geflüchtet.
Auch in Westeuropa gibt es inzwischen jesidische Gemeinden, nach Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung findet sich die weltweit größte in Deutschland mit rund 150.000 Jesiden.
Der jesidische Glaube vereint Elemente verschiedener nahöstlicher Religionen, vor allem aus dem Islam, aber auch aus dem Christentum. Jesiden glauben nicht an ein Paradies oder eine Hölle, sondern an Seelenwanderung und Wiedergeburt.
Neben dem religiösen Oberhaupt, dem Baba Sheikh, gibt es auch ein weltliches Oberhaupt. Jeside ist nur, wer von jesidischen Eltern abstammt. Heiratet ein Jeside einen Andersgläubigen, gilt das als Austritt aus der Religionsgemeinschaft.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden Jesiden immer wieder verfolgt, sowohl religiös als auch ethnisch - wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden. Fundamentalistische Muslime betrachten sie als "ungläubig" und "vom wahren Glauben abgefallen". Deshalb verbergen Jesiden in ihren Heimatgebieten häufig ihre Identität. Das Verhältnis zu Christen gilt in der Regel als gut.
mak/rb (KNA, rudaw.net)