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Politik

Gekaufte Likes: Ein gefährlicher Handel

19. Dezember 2019

Bekannt und beliebt - wer wäre das nicht gerne? Im Internet lassen sich mit wenig Aufwand Likes für Bilder und Beiträge in sozialen Netzwerken wie Facebook kaufen. Doch die Manipulation von Social Media birgt Gefahren.

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Symbolbild digitaler Populismus
"Daumen hoch": Dieses Zeichen steht in sozialen Netzwerken für Anerkennung und Zustimmung - ein wertvolles Gut Bild: picture alliance/dpa/F. Gentsch

Ein paar Klicks und 80 Euro, mehr brauchte es nicht. Und schon hatte Tanja Kühne 500 zusätzliche Likes auf ihrer Facebook-Seite. Die Geschäftsführerin einer Design-Agentur und Kreisvorsitzende der FDP in der Lüneburger Heide im Norden Deutschlands bezahlte vergangenes Jahr den Anbieter Paidlikes, um im Netz bekannter und beliebter zu wirken. Für Paidlikes arbeiten sogenannte "Clickworker", die im Auftrag des Unternehmens fleißig auf "Gefällt mir" drücken.

SZ, WDR und NDR entlarvten die Fake-Likes 

"Ich habe mir seitdem viele Gedanken darüber gemacht, warum ich so versucht habe, meine Reichweite zu erhöhen", sagt Kühne der DW. "Ich bin Kommunalpolitikerin. Aber bei Landtagswahlen trete ich auch gegen Berufspolitiker an." Diese hätten ein Büro, das sich professionell um Social Media kümmert, also täglich die neuesten Aktivitäten auf Facebook und die aktuellsten Bilder auf Instagram postet. "Das ist eine Art Druck, der aufgebaut wird", so Kühne. "Und diesen Druck macht man sich auch selbst. Da möchte man heran reichen."

FDP Kreisvorsitz Tanja Kühne
Social Media als Druck - das galt für Tanja Kühne, FDP-Kreisvorsitzende im HeidekreisBild: jakrümo

Dass Tanja Kühne und tausende andere Deutsche, darunter Musiker, Fitnesstrainer und Autoverkäufer, sich Likes im Netz erkauft haben, hat der Rechercheverbund von SZ, NDR und WDR öffentlich gemacht. Zuvor hatten Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum Daten des Like-Lieferanten Paidlikes zugänglich gemacht. Laut Rechercheverbund sind Politiker aller großen Parteien auf der Liste zu finden: jeweils 17 gehören zur CDU/CSU sowie FDP, 14 zur SPD, 11 zur AfD und jeweils drei zu den Grünen und Linken.

Deutschland PaidLikes Affäre Roman Müller-Böhm, FDP
Auf dem Instragram-Account des FDP-Bundestagsabgeordneten haben bezahlte "Click-Worker" Likes hinterlassenBild: Instagram/Roman Müller-Böhm

Es ist nicht klar, ob diejenigen, deren Seiten angeklickt wurden, stets auch den Auftrag dazu gegeben haben. Bei Tanja Kühne war das so, aber es finden sich auch Namen auf der Liste, die bestreiten, für Klicks gezahlt zu haben. Das muss nicht unbedingt falsch sein. Es könnten auch heimliche Unterstützer dahinterstecken oder Konkurrenten, die darauf hoffen, ihre Gegner mit den falschen Likes in Verruf zu bringen. Die Klicks könnten auch Ablenkungsmanöver sein, damit die eigentliche Manipulation nicht auffällt. Und überhaupt: Warum sollten ein paar gekaufte Likes einer Lokalpolitikerin in der Lüneburger Heide überhaupt ein Problem sein?

Auch die NATO hat Interesse

Weil eine ganze Manipulations-Industrie dahintersteckt, sagt der Schwede Sebastian Bay. Er ist Digital-Experte beim "Strategischen Kommunikationszentrum" Stratcom in der lettischen Hauptstadt Riga. Stratcom berät die NATO, auch wenn es nicht zur Kommandostruktur des Militärbündnisses gehört. "Wir haben Firmen auf der ganzen Welt identifiziert", so Bay, "von Europa über Russland bis in die Philippinen oder in Westafrika, die mit der Manipulation von Social Media Geld verdienen."

Bay und seine Kollegen beunruhigt vor allem, dass die Manipulation von Social Media für jeden einfach und günstig verfügbar ist. Für 300 Euro kauften sie probeweise Tausende Kommentare und Follower sowie Zehntausende Likes und Views. "Wir dachten zuerst, wir müssten dazu ins Darknet und in den dunkelsten Ecken irgendwelche Hacker beauftragen. Aber es ist ganz leicht, man kann diese Anbieter auf Google oder Bing finden, dort schalten sie sogar Werbeanzeigen." Das Geschäft mit der Manipulation hat Folgen. "Nehmen Sie einen Dönerbudenbesitzer, der positive Bewertungen kauft oder auch negative Bewertungen für seinen Konkurrenten. Das ist einfach Betrug."

NATO | Sebastian Bay, Senior National Representative Schweden
Besorgt: Sebastian Bay vom NATO Strategic Communications Centre of ExcellenceBild: NATO Stratcom

Und zwar Betrug, gegen den die Tech-Giganten wie Google und Facebook nicht genug tun, meint Bay. Im Experiment der Forscher waren nach vier Wochen noch vier von fünf manipulierten Interaktionen nicht gelöscht. "Es ist technisch nicht immer einfach. Aber die Firmen investieren auch nicht genug, um dagegen anzugehen." Ein Indiz für einen möglichen Betrug könnte zum Beispiel dann vorliegen, wenn von bestimmten Accounts oder Account-Netzwerken eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Likes verteilt werden. 

Fakes bedrohen Dönerbuden - und die Demokratie

Doch nicht nur für die Wirtschaft ist die Social-Media-Manipulation ein Ärgernis und eine Gefahr, sagt Bay. "Wenn sie den Algorithmus mit Fake Views glauben machen, dass viele Menschen sich etwas anschauen, dann trended dieser Inhalt und wird vielen Menschen empfohlen." Regierungen können dies nutzen, um demokratische Debatten online zu manipulieren. "Sie können legitime Stimmen ausbooten und illegitime Stimmen verstärken. Sie können mit falschen Profilen den Eindruck erwecken, Teil einer lokalen Debatte zu sein. Es fällt schwer, dann herauszufinden, was echt und was falsch ist", sagt Bay. "Und wer wirklich dahinter steckt."

Deutschland PaidLikes Affäre Roman Müller-Böhm, FDP Screenshot PaidLikes
"Es ist ganz leicht": Unternehmen wie Paidlikes bietet Likes gegen Geld Bild: PaidLikes

Wenn so bewusst Debatten manipuliert werden, dann sei das sehr bedenklich, sagt auch die Lokalpolitikerin Tanja Kühne. Sie selbst wird in Zukunft die Finger von Anbietern wie Paidlikes lassen. "Ich werde das nicht mehr machen, weil ich auch denke, dass das nichts bringt." Sie möchte in Zukunft wieder mehr auf persönliche Gespräche und Begegnungen setzen. "Es täte uns allen gut, uns darauf zurückzubesinnen", sagt sie.