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General Vetter: "Jeder Fall wird geprüft"

Waslat Hasrat-Nazimi29. Oktober 2013

Nach langen Diskussionen dürfen nun doch einige afghanische Ortskräfte nach Deutschland kommen. Wie aber werden sie ausgewählt? Das erklärt Bundeswehr-Brigadegeneral Michael Vetter im DW-Interview.

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Brigadegeneral Michael Vetter
Bild: Bundeswehr

Anmerkung der Redaktion: Kurz nach diesem DW-Interview gab die Bundesregierung bekannt, sie habe nun insgesamt 182 Afghanen die Aufnahme zugesagt. Da das Verfahren nicht abgeschlossen ist, kann diese Zahl jederzeit weiter steigen. Am grundsätzlichen Gehalt des Interviews ändert das allerdings nichts.

DW: General Vetter, monatelang wurde die Frage diskutiert, was mit den lokalen Hilfskräften nach dem Abzug der Bundeswehr passiert. Bislang war nicht geplant, ihnen eine Ausreise nach Deutschland anzubieten. Jetzt sollen doch 150 kommen dürfen. Wie kam es zu der Kehrtwende?

Michael Vetter: Im Grunde ist keine Änderung der Vorgehensweise zu beobachten. In der Tat ist es aber so, dass wir gestern durch das Innenministerium informiert worden sind, dass wir für 150 unserer Ortskräfte eine Ausreisezusage nach Deutschland haben.

Kurz zum Hintergrund: Es geht um ein Verfahren, das mit allen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt ist. Seit einigen Wochen gibt es eine Anpassung des Verfahrens, aufgrund der Erfahrungen, die wir in Afghanistan gemacht haben. Diese Anpassung sieht vor, dass die Ortskräfte der Kategorien I und II - also alle akut, aber auch alle latent bedrohten Hilfskräfte der Bundeswehr - eine Ausreisegenehmigung nach Deutschland erhalten.

Über der Hälfte der 242 Afghanen, die sich in den vergangenen Monaten bei der Bundeswehr gemeldet haben, wird jetzt eine Tür nach Deutschland geöffnet. Inwieweit kann man bei den übrigen davon ausgehen, dass sie ein unbedrohtes Leben nach dem Ende ihrer Tätigkeit für die Bundeswehr führen können?

Eigentlich mit fast hundertprozentiger Sicherheit. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel, wie wir dazu kommen, jemanden in die Kategorie III - die sogenannte abstrakte Bedrohung - einzustufen. Wir hören die Menschen an und fragen: "Fühlen Sie sich bedroht?" Dann bekommen wir als Antwort: "Nein, ich sehe keine Bedrohung." Dann fragen wir: "Wie ist es in ihrem Wohnumfeld? Fühlen Sie sich dort sicher?" "Ich fühle mich sicher." Unter diesen Umständen gehen uns die Indizien aus, um zu sagen, diesem Menschen wird etwas passieren, wenn die Bundeswehr das Land verlässt.

Natürlich gibt es eine Unsicherheit, wenn der Arbeitsplatz wegfällt. Um diesen Mitarbeitern trotzdem eine Chance zu geben, haben wir eine erhöhte finanzielle Abfindung vorgesehen. Das heißt auch: Denjenigen, die nicht bedroht sind, geben wir ein finanzielles Polster, um sich eine neue Zukunft aufbauen zu können.

Wie sehen die Weiterbildungsmöglichkeiten für die verbliebenen afghanischen Ortskräfte aus, die die Bundeswehr mit der staatlichen deutschen Entwicklungsorganisation Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) aufgelegt hat?

Die Programme der GIZ haben zwei Ziele: Zum einen eine Art Jobbörse, wo Anstellungen bei Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungshilfeorganisationen angeboten werden. Zum anderen nutzt die GIZ auch Qualifikationen, die Ortskräfte bei der Bundeswehr erlangt haben, um diese Menschen gezielt weiterzubilden, so dass sie leichter eine Anstellung finden oder sich selbstständig machen können.

"Abgeschlossen ist das Thema der gefährdeten Helfer mit dem jetzigen Angebot nicht", so werden Sie von Spiegel Online zitiert. Was meinen Sie damit konkret? Dass das jetzige Angebot großzügiger gestaltet, oder dass es auf mehr Personen ausgedehnt werden muss?

Der Hintergrund war, ob es jetzt bei diesen 150 bleibt. Die Bundeswehr hat derzeit etwa 1000 Mitarbeiter in Afghanistan und deswegen ist das Verfahren nicht abgeschlossen. Wir werden die Befragungen der Ortskräfte weiter durchführen und diejenigen, die in Kategorie I oder II eingestuft werden, dann nach Deutschland melden. Die Mitarbeiter der Kategorie I und II werden dann auch entsprechende Zusagen bekommen. Das Verfahren wird erst dann abgeschlossen sein, wenn die Bundeswehr nicht mehr in Afghanistan ist.

Vor einiger Zeit hat die DW ein Interview mit einem ehemaligen afghanischen Mitarbeiter geführt, dem nahe gelegt worden ist, erst gar keinen Antrag zu stellen. Hat er nun immer noch die Chance, sein Anliegen vorzubringen?

Wenn der Mitarbeiter weiterhin für die Bundeswehr oder das Auswärtige Amt arbeitet, kann er jederzeit einen Antrag stellen. Wenn sich irgendetwas im Umfeld ändert, wenn aus einer latenten Bedrohung eine akute wird, können sich die Ortskräfte jederzeit an ihre Vorgesetzten wenden. Jeder Fall wird geprüft. Im Übrigen wird jeder Mitarbeiter über dieses Verfahren informiert. Sowohl mündlich als auch schriftlich und natürlich auch in der Landessprache Dari.

Wie schätzen Sie die Aussichten für die afghanischen Mitarbeiter ein, die sich nach dem Abzug der Bundeswehr in ihrer Heimat eine neue Existenz aufbauen müssen?

Ganz wichtig wird sein, dass in Afghanistan die wirtschaftliche Entwicklung anspringt. Nur mit dem Militär können sie keinen Frieden und keine Entwicklung schaffen. Wichtig ist, dass wir jetzt in die Wirtschaft investieren. Da gibt es durch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen aber auch durch die GIZ zahlreiche Programme, die den Zweck haben, wirtschaftliche Entwicklungen zu fördern und damit auch Menschen Berufsperspektiven hier in Afghanistan zu geben. Das ist letztendlich der Schlüssel zum Erfolg.

Brigadegeneral Michael Vetter ist Kommandeur des Logistikzentrums der Bundeswehr.

Das Gespräch führte Waslat Hasrat-Nazimi