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Generaldebatte wird zur Generalabrechnung

15. September 2010

Bei der Generaldebatte im Bundestag über den Etat 2011 hat sich die Opposition den erwarteten heftigen Schlagabtausch mit der Regierung geliefert. Bundeskanzlerin Merkel kündigte einen "Herbst der Entscheidungen" an.

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Gabriel gestikuliert während seiner Rede bei der Generaldebatte (Foto: dapd)
Sigmar Gabriel warf der Regierung Versagen auf ganzer Linie vorBild: AP

Gleich zu Beginn der Generaldebatte über den Haushalt 2011 ging SPD-Chef Sigmar Gabriel im Bundestag die Politik der Bundesregierung hart an. Bei dem traditionellen heftigen Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung ging es am Mittwoch (15.09.2010) unter anderem um die Energie- und Sozialpolitik, aber auch um das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21". Gabriel warf der schwarz-gelben Regierung Versagen auf ganzer Linie vor. Mit Polemik sparte der SPD-Politiker bei seiner Generalabrechnung nicht: "Es ist schwierig, Sie zu toppen, wenn Sie erklären, Sie seien Wildsäue und eine Gurkentruppe", sagte Gabriel.

Gabriel: Regierung betreibt reine Klientelpolitik

Die Bundesregierung betreibe aus seiner Sicht reine Klientel-Politik zugunsten der Wohlhabenden. Hingegen werde bei Bildung und Erziehung gespart. Der Regierung fehle jede Vorstellung, was Gemeinwohl in Deutschland sei. Statt des versprochenenen "mehr Netto vom Brutto" gebe es beispielsweise höhere Kassenbeiträge in Form von Zusatzbeiträgen und kein Elterngeld mehr für Hartz-IV-Empfänger, kritisierte Gabriel. Mehr Geld einstreichen könnten dagegen Hoteliers und reiche Erben. Die Finanz-Unternehmen hätten bis heute keinen Cent bezahlt, um die Folgen der Finanzkrise zu bezahlen.

Die Kanzlerin bei der Generalaussprache (Foto: dpa)
Merkel will weiter für eine Steuer auf Finanztransaktionen kämpfenBild: picture alliance/dpa

Gabriel bot der Bundesregierung einen Bildungspakt an. Gemeinsam sollten Koalition und Opposition die "unselige Verfassungsänderung" zur Trennung der Bildungszuständigkeit rückgängig machen. Diese Regelung im Grundgesetz verhindere, dass Bund und Länder in der Bildungspolitik vernünftig zusammenarbeiten könnten.

Linksfraktionschef Gregor Gysi warf der Bundesregierung gar eine "Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" vor. Insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel zeige sich als "Kanzlerin der Lobbyisten", sagte er in der Debatte. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin attestierte der Koalition, sich durch ihre Entscheidungen teilweise auch persönlich bereichern zu wollen.

Merkel verteidigt ihre Politik

Ganz anders beurteilte die Kanzlerin selbst die Lage in Deutschland. Sie verteidigte die Politik der schwarz-gelben Regierung gegen die Kritik der Opposition. Die Koalition habe in den vergangenen Monaten entscheidende Weichenstellungen vorgenommen. Union und FDP hätten eine Kreditklemme verhindert, Familien mehr Kindergeld gegeben, die Konjunkturprogramme vorangebracht und die Lohnzusatzkosten stabil gehalten. Die Kanzlerin konstatierte: "Das alles hat dazu geführt, dass wir heute die Wachstumslokomotive in Europa sind".

Merkel erinnerte an den Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers vor genau zwei Jahren und zeigte sich zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung seitdem in Deutschland. Vor fünf Jahren habe die Arbeitslosigkeit bei fast fünf Millionen gelegen. Heute seien es drei Millionen. Vielleicht werde die Zahl von drei Millionen sogar unterschritten. "Das ist auch ein Erfolg der christlich-liberalen Koalition." In den neuen Ländern liege die Zahl der Arbeitslosen seit 1991 erstmals unter einer Million. "Ob zwei Millionen Menschen weniger arbeitslos sind oder nicht, das ist eine zentrale Frage der Gerechtigkeit in unserem Land".

Schäuble und Merkel während der Generaldebatte im Bundestag (Foto: dpa)
Müssen sich die Kritik der Opposition anhören: Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa

Die Bundesregierung will trotz der Widerstände in der EU an einer Finanztransaktionssteuer festhalten. "Wir werden weiter für die Besteuerung der Finanzmärkte arbeiten", sagte Merkel. "Wir werden versuchen, möglichst viele Länder davon zu überzeugen." Dazu führe Finanzminister Wolfgang Schäuble derzeit viele Gespräche: "Wir geben nicht auf, wir bohren an dem dicken Brett."

In der Debatte um das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21" warf Merkel der SPD und den Grünen Verlogenheit vor. Die SPD sei jahrelang für "Stuttgart 21" gewesen. Jetzt aber, wo man dafür kämpfen müsse, spreche sie sich dagegen aus. "Diese Art von Standhaftigkeit ist genau das nicht, was Deutschland nach vorne bringt." Es sei verlogen, wenn die Grünen in Berlin einem Nord-Süd-Bahntunnel zustimmten, in Stuttgart dagegen die Umwandlung eines Sackbahnhofs in einen unterirdischen Bahnhof ablehnten.

Grundsätzlich kündigte Merkel in ihrer Rede einen "Herbst der Entscheidungen" an, zum Beispiel bei der Frage der Zukunft der Bundeswehr. Sie verteidigte die Debatte in der schwarz-gelben Koalition zur geplanten Bundeswehrreform. Hier betrete die Union "Neuland" und müsse sich der Frage stellen, "ist das noch notwendig, ist das noch machbar. Ohne solche Dispute werden wir nicht die richtigen Antworten finden", betonte Merkel. Zugleich vermied die CDU-Vorsitzende eine konkrete Festlegung auf ein Reformmodell. Sie sagte lediglich, auch ein freiwilliger Wehrdienst müsse als Dienst an der Gesellschaft gewürdigt werden.

Schäuble lobt eigenen Haushaltsentwurf

Am Montag, dem ersten Tag der Haushaltsdebatte, hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits den Etatentwurf der Regierung vorgestellt. Für die Ausgaben des Bundes sind 2011 insgesamt 307,4 Milliarden Euro veranschlagt, knapp vier Prozent weniger als in diesem Jahr. Die Neuverschuldung soll von 86 Milliarden auf 57,5 Milliarden Euro sinken.

Schäuble verteidigte seinen Haushaltsentwurf gegen Kritik aus der Opposition. Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt entwickelten sich "ungewöhnlich gut", sagte er kurz vor Beginn der Debatte im Deutschlandfunk. Das habe auch mit der "klugen Finanzpolitik" der Regierung zu tun. Zugleich hob der Finanzminister die Bedeutung der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse hervor. Diese sei eine "gute Selbstverpflichtung" und helfe der Regierung, "diesen erfolgreichen Weg zu gehen. Das Ausland bewundert uns dafür." Auch mögliche Ausfallrisiken im Haushalt wie zum Beispiel bei der Finanztransaktions- oder der Brennelementesteuer wollte Schäuble nicht überbewerten. Angesichts des wirtschaftlichen Booms werde das nicht besonders ins Gewicht fallen.

Also alles eitel Sonnenschein in der Exportnation Deutschland? In den ARD-Tagesthemen sagte Schäuble, die wirtschaftliche Entwicklung sei zwar ungewöhnlich gut, ebenso die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, aber Deutschland müsse sich weiter anstrengen. "Man soll nie zu sicher sein. Man kennt die Ursachen der nächsten Krise nicht", sagte Schäuble.

Autor: Marcus Bölz (afp, rtr, dpa, dapd)
Redaktion: Ursula Kissel