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Generation 1994: Laschet, Röttgen, Merz

13. Januar 2021

Die CDU wählt einen neuen Vorsitzenden – und wahrscheinlich ihren Kandidaten für die Nachfolge von Angela Merkel. Ein biographischer Blick auf die drei Kandidaten, die 1994 gleichzeitig in den Bundestag einzogen.

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Junge Union Talk zum CDU-Vorsitz
Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Politik - das sind Biographien. Politische Karrieren haben Höhepunkte - und Abstürze. Seit mehr als zehn Monaten streben drei Politiker danach, zum Vorsitzenden der wichtigsten Regierungspartei CDU gewählt zu werden. Armin Laschet (59), Friedrich Merz (65),Norbert Röttgen (55): Drei Männer, drei Juristen (die sämtlich in Bonn studiert haben), drei Katholiken, drei Nordrhein-Westfalen. Wobei sich der Bindestrich zwischen Nordrhein- und Westfalen sich doch manchmal als Trennstrich erweist. 

Vor 25 Jahren noch mehr als heute. Vor allem Merz und Röttgen waren in ihren jungen Jahren stark in der "Jungen Union" (JU) aktiv. Diese CDU-Nachwuchsorganisation, in der Ära des Einheitskanzlers Helmut Kohl wichtiger als in der Gegenwart, unterschied im bevölkerungsreichsten Bundesland lange zwischen "Nordrhein" und "Westfalen-Lippe". Röttgen stand seit 1992 dem kompletten Landesverband vor. Friedrich Merz, zehn Jahre älter, gehörte zu Westfalen-Lippe, dem nordöstlichen Teil des Bundeslandes. Das sind unterschiedliche Heimaten, unterschiedliche Mentalitäten. Oft begegnete man einander nicht.

Portraitbild von Norbert Röttgen, aufgenommen am 6.1.1999 in Bonn während einer Pressekonferenz über Ausländerpolitik.
Norbert Röttgen Ende der 1990er Jahre. Da gehörte er schon der Pizza-Connection an. Bild: Tim Brakemeier/dpa/picture alliance

Fünf Jahre nach dem Fall der Mauer führte Helmut Kohl sein mittlerweile fünftes Bundeskabinett an.  Ost und West wuchsen zusammen, das Land war im Umbruch. Die Politik stagnierte. Kohl, dieser wuchtige Kanzler, führte die Bundesrepublik schon seit einem Dutzend Jahren, seit 1982. Er prägte die CDU, er führte sie - und er kontrollierte sie. Doch die Christdemokraten standen unter Druck. In den Bundesländern verloren sie. In der Partei rumorte es. Es gab mehrere Anläufe, Kohl abzulösen. Es wuchs die Bedeutung dessen, was man als Netzwerke, Seilschaften, politische Freundschaften, Kungelrunden bezeichnen mag. 

Bundeskanzler Helmut Kohl nimmt nach seiner Wiederwahl als Bundeskanzler am 15. November 1994 Glückwünsche entgegen
Helmut Kohl nach seiner Wiederwahl zum Kanzler 1994Bild: dpa

Die Neuen in Bonn  

Laschet, Merz, Röttgen standen gewiss nicht im Mittelpunkt, als die Medien in den Tagen nach der Bundestagswahl 1994 auf die vielen Neuen im Parlament schauten. Die Kameras richteten sich auf den Grünen Joschka Fischer, der als hessischer Umweltminister längst bundesweit bekannt war. Der Boulevard interessierte sich für die CSU-Politikerin Dagmar Wöhrl, die 1977 den Wettbewerb zur "Miss Germany" gewonnen hatte. Alle schrieben über den baden-württembergischen Parlaments-Neuling Roland Richter, weil der mit dem Taxi buchstäblich erst in letzter Minute zur Kanzlerwahl eintraf und die knappe Mehrheit Kohls sichern half. Er habe im Hotel "verschlafen", entschuldigte sich Richter. Seine Abgeordneten-Laufbahn endete schon 1998.

Insgesamt 64 Unionsabgeordnete zogen 1994 neu in den Bundestag ein. Das war über ein Fünftel der insgesamt 294 Fraktionsmitglieder. 58 von der CDU (darunter acht Frauen), sechs von der CSU (darunter eine Frau). Da kam ein ungewöhnlich starker Jahrgang – nicht wenige von ihnen wurden später Bundesminister, Staatssekretäre, CDU-Generalsekretär oder Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion: Peter Altmaier ist heute Wirtschaftsminister, Gerd Müller ist Entwicklungsminister, Hermann Gröhe war Kanzleramtsminister und Gesundheitsminister, Manfred Kanther Innenminister, Eckardt von Klaeden Kanzleramtsminister, Röttgen Umweltminister, Thomas Rachel langjähriger Forschungs-Staatssekretär. Und Wolfgang Bosbach und Ruprecht Polenz sind bis heute mediale Frontleute der Union. Zehn dieser 64 Bundestags-Neulinge gehören noch heute dem Parlament an. 

Friedrich Merz und Angela Merkel 2000
Merz und Merkel im Jahr 2000: Gute Stimmung, nochBild: Michael Jung/dpa/picture alliance

Starker Jahrgang

Vielleicht bildeten die Parlaments-Neulinge des Jahres 1994 den von den politischen Köpfen her stärksten Unions-Jahrgang seit Beginn der Kohl-Jahre 1982. Viele von ihnen konnten von fraktionsinternen Strömungen profitieren, die seit 1990 die damals neu in den Bundestag eingezogenen Peter Hintze, Angela Merkel und Ronald Pofalla angestoßen hatten. Und die oft, aber nicht immer den Segen von Helmut Kohl hatten. Spricht man mit einer Handvoll Unionsabgeordneter der damaligen Zeit, betonen die vor allem die Rolle von Hintze (1950-2016), nicht die von Merkel. Für die Integration der ostdeutschen Pastorentochter in den Politikbetrieb sorgte der evangelische Pfarrer Hintze.  

Peter Hintze Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium 16. April 2008
Begnadeter Netzwerker: Peter Hintze integrierte auch Merkel in den Bonner Politikbetrieb. Bild: AP

Profitieren von Hintze konnten auch Laschet und vor allem Röttgen. Der kannte als JU-Landeschef die langjährigen JU'ler Hintze und Pofalla. Bald nach Beginn der Legislaturperiode scharte Altmaier Abgeordnete wie Röttgen, Laschet, Polenz und Andreas Krautscheid um sich und brütete über eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, um die CDU auf die Realität des Einwanderungslandes Deutschland" einzustimmen. Anfang Juni 1995 kam im italienischen Restaurant "Sassella" in Bonn-Kessenich ein Kreis von Abgeordneten der CDU und der Grünen zusammen, über den bald als "Pizza-Connection" gemunkelt wurde. Auch wenn nie Pizza gegessen wurde. Der Begriff wurde zum Symbol für über viele Jahre dauernde Gespräche zwischen CDU und Grünen. Mit dabei: Laschet und Röttgen. Nicht Merz.  

Pizza-Connection Restaurant Sassella in Bonn
​​​​Das Sassella gilt als Gründungsort der schwarz-grünen "Pizza-ConnectionBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Kohl und die Junge Gruppe

Wichtig für die späteren Karrieren des NRW-Trios: Kanzler Kohl setzte auf die jüngeren Abgeordneten. Was Pofalla nach 1990 in der Fraktion initiiert hatte, irritierte Kohl zunächst. Dann nutzte er die nachwachsende Generation. Immer mal wieder wurde die "junge Gruppe" – mit Laschet und Röttgen, ohne den bereits zu alten Merz – abends in den Bonner Kanzlerbungalow geladen, zum Essen, zum langen Austausch. Letztlich erwuchs aus diesem Milieu die Gegenkraft zu gleichfalls ausschließlich männlichen CDU-Politikern, die zwischen 1965 und 1980 die JU geprägt hatten und einen Freundschaftsbund bildeten, der später als "Anden-Pakt" bekannt wurde. Und der sich durchaus auch schon Gedanken um die Nachfolge von Kohl machte.    

Peter Hintze nannte jene, die unter seiner Führung zu Wegbereitern und -begleitern von Merkel wurden, bald "Prätorianergarde". Jahre später wurde daraus der "Leichlinger Kreis", benannt nach dem nördlich von Leverkusen gelegenen Heimatort des heutigen NRW-Innenministers Herbert Reul. Da trafen sich jene, die sich als "bürgerliche Moderne" verstanden. Mit dabei: Röttgen und Laschet. Sie alle sind geprägt von ihren Begegnungen im politischen Bonn von Oktober 1994 bis in den Frühsommer 1995. Schon in dieser Zeit gingen die Rheinländer Röttgen und Laschet auf der einen Seite und der Westfale Merz auf der anderen je eigene Wege. Merz gehörte nie zur Gefolgschaft von Hintze. Ihm stand viel später der "Anden-Pakt" offen.  

Laschet beklatscht Opposition

In den Sitzungsprotokollen des Bundestages haben Laschet, Merz und Röttgen früh Niederschlag gefunden. Als Redner traten eher Röttgen und Merz auf; sie gingen mit Europa und Wirtschaft, Recht und Innen Kernthemen an. Merz stand bis zum Sommer 1995 vier Mal, Röttgen drei Mal am Rednerpult. Der kirchlich geprägte Laschet hatte sich zunächst der Entwicklungspolitik gewidmet und hielt erst im September 1995 seine Jungfernrede. Aber er taucht doch als erster im offiziellen Bundestags-Protokoll auf. Da redete Mitte Dezember 1994 in einer familienpolitischen Debatte die SPD-Politikerin Edith Niehuis und forderte ein "Zukunftsministerium" für das Thema Familie. Im Protokoll steht dann: "Beifall bei der SPD sowie des Abg. Armin Laschet [CDU/ CSU]". Ungewöhnlich. Junge Abgeordnete müssen erst verlernen, beim politischen Gegner mitzuklatschen.

Armin Laschet 2005 in Düsseldorf
Armin Laschet 2005, zehn Jahre nach seiner Jungfernrede im BundestagBild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance

Wen man auch fragt im Kreis der langjährigen Abgeordneten: Die ersten Reden der drei fielen auf. Sie lasen nicht einfach vom Papier ab, sie waren sicher im Stoff, sie ließen von Beginn an spontane Zwischenfragen zu. Merz, der ja aus vier Jahren im Europaparlament (1989-1994) mehr vom parlamentarischen Geschäft wusste, hatte im Januar und Februar 1995 bereits zwei Mal in Fragestunden des Bundestages die Chance genutzt, als Fragesteller das Mikrofon zu bekommen. Als er dann am 16. Februar 1995 in einer europapolitischen Debatte erstmals eine Rede hielt, warf er den Sozialdemokraten kräftig polternd vor, den "großen Konsens der großen Parteien" in Deutschland zu verlassen, und warb für eine "gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der Europäischen Union.  

Röttgen "sehr lebhaft"

Einen Tag später hielt der fast zehn Jahre jüngere Röttgen seine erste Rede. An deren Ende gratulierte Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) "herzlich" zur ersten Rede im Bundestag, die ja eine "sehr lebhafte" gewesen sei. Und alle in der Unionsfraktion ahnten: Von jetzt an würde ein begnadeter Redner neu mitmischen. Viele Jahre später, als er als Redner oft für die Kanzlerin in die Bresche sprang, nannten sie ihn "Muttis Liebling". Bis 2012. Da fiel Röttgen im Streit um eine von ihm verlorene NRW-Landtagswahl bei Merkel in Ungnade. 

Laschet, Merz und Röttgen, die ganze junge Garde bekam im März 1998 in der Fraktion übrigens Gesellschaft einer jungen saarländischen Abgeordneten. Da rückte die damals 35-jährige Annegret Kramp-Karrenbauer als Nachrückerin ins Parlament ein, wenige Tage nach der Geburt ihres dritten Kindes. Kramp-Karrenbauer blieb nur knapp acht Monate im Bundestag. Es ist kein Zufall, dass sie neben Merkel erst die zweite CDU-Frau in diesem Text ist. Kein Zufall auch, dass sich keiner der Zeitzeugen an die saarländische Abgeordnete erinnert. Die Bonner CDU tickte männlich. Bis Merkel kam.