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Keine Ökokatastrophe auf der Osterinsel

Veröffentlicht 21. Juni 2024Zuletzt aktualisiert 13. September 2024

Rapa Nui gilt als Sinnbild für einen menschengemachten "Ökozid". Laut einer weiteren neuen Studie gab es aber keine solche Katastrophe auf der Osterinsel. Die Bewohner fanden Wege, um sich an die raue Umwelt anzupassen.

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Chile | Moai-Statuen im Abendrot
Die Moai-Statuen gelten als mahnendes Wahrzeichen einer Zivilisation, die vielleicht nie wirklich zusammenbrachBild: O. Protze/picture alliance/blickwinkel/McPHOTO

Auf Rapa Nui stehen hunderte riesiger Steinstatuen - die sogenannten Moai. Ihre Funktion ist nicht abschließend geklärt. Aber lange gingen Forschende davon aus: Um solche Kolossalfiguren errichten zu können, müssen einst viele tausend Menschen auf der Insel gelebt haben.

Um das Jahr 1210 ließen sich erstmals Vorfahren der heutigen Polynesier auf dieser unbewohnten Vulkaninsel nieder. Weltweit gibt es keinen anderen bewohnten Ort, der so isoliert liegt. Es sind fast 3800 Kilometer bis zum chilenischen Festland und 1900 Kilometer zur nächsten bewohnten Insel.

Frühere Thesen gingen davon aus, dass die Bevölkerung rasch anwuchs. Die Bewohner hätten für den Bau der Maoi und für Brennholz alle Bäume auf der Insel gefällt, Seevögel getötet und durch ihre Landwirtschaft die Böden ausgelaugt. Als die Umwelt schließlich zerstört war, sei ihre Zivilisation zusammengebrochen, hieß es. So wurden die Insel zum Sinnbild für einen menschengemachten "Ökozid".

Bücher wie Jared Diamonds "Kollaps" von 2005 oder Kevin Costners Spielfilm "Rapa Nui - Rebellion im Paradies" von 1994 setzen die These vom Untergang der Insulaner wort- und bildgewaltig in Szene.

Ausschnitt aus dem Film "Rapa Nui - Rebellion im Paradies" von 1994
Keine Bäume, keine Zukunft - auch Kevin Costners Film prägte das Bild einer Ökokatastrophe Bild: picture alliance/United Archives

Stabile Bevölkerungszahl

Mehrere Studien widerlegen die Darstellung des Zusammenbruchs. Für die aktuellste Untersuchung haben Forschende das Genom von Nachfahren der Inselbewohner analysiert und kommen zu dem Schluss: Es hat keinen großen Bevölkerungskollaps gegeben.

Genome enthalten Informationen darüber, wie sich die Größe der Bevölkerung im Laufe der Zeit verändert hat. Ist die Population klein, sind die zwischen den Individuen geteilten DNA-Segmente, die von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt wurden, tendenziell länger und häufiger als die DNA-Segmente aus Zeiten, in denen die Population größer war.

Forschende sind sich sicher: Die Bevölkerung von Rapa Nui nie eine nicht mehr tragbare Größe erreicht. Vielmehr hätten die Neuankömmlinge geeignete Wege gefunden, um auf der Insel zurechtzukommen. So wurde über Jahrhunderte hinweg eine kleine, stabile Bevölkerung aufrechterhalten.

Aber es muss mühsam gewesen sein, die Menschen zu ernähren. Denn die 63 Quadratkilometer große Insel besteht vollständig aus Vulkangestein. Im Gegensatz zu üppigen tropischen Inseln wie Hawaii und Tahiti haben die Vulkanausbrüche auf Rapa Nui vor Hunderttausenden von Jahren aufgehört. Die durch die Lava aufgewirbelten Mineralien sind seit langem aus den Böden ausgewaschen.

Außerdem ist Rapa Nui im Vergleich viel trockener als andere Tropeninseln. Und da der Meeresboden rund um die Insel sehr steil abfällt, war die Jagd nach Meeresgetier auch wesentlich schwieriger als in den leicht zugänglichen Lagunen oder Riffen anderer Inseln in Polynesien.

Steingärten sicherten Versorgung

Möglich wurde die erfolgreiche Besiedlung nach Ansicht der Forschenden durch die "ausgeklügelte Anlage von Steingärten", in denen die Inselbewohner als Grundnahrungsmittel nahrhafte Süßkartoffeln anbauten.

Bei der "rock gardening" oder "lithic mulching" genannten Technik werden Steine über tief liegende Flächen gestreut, die zumindest teilweise vor Salzsprühnebel und Wind geschützt sind. Die Steine und Felsen unterbrechen die trockenen Winde und erzeugen einen Luftstrom, der die Oberflächentemperaturen einigermaßen konstant hält und die Pflanzen so vor zu großer Hitze oder Kälte schützt.

Ähnliche Steingärten sind auch von den Ureinwohnern Neuseelands, von den Kanarischen Inseln und aus dem Südwestens der USA bekannt. Allerdings ist der Arbeitsaufwand sehr hoch und der Ertrag sehr gering.

Widerlegte Kollaps-Theorie

Heute hat die Osterinsel fast 8000 Einwohner. Hinzu kommen rund 100.000 Touristen pro Jahr. Die meisten Lebensmittel werden importiert, aber einige Einwohner bauen in den alten Steingärten wieder Süßkartoffeln an. Der Trend kam 2020/2021 während der Abriegelung der Insel durch die Covid-Pandemie auf.  

Den Forschern zufolge reichte die Fläche der Gärten einst nur aus, um ein paar tausend Menschen zu ernähren. Dies zeige, "dass die Bevölkerung niemals so groß gewesen sein kann wie in einigen der früheren Schätzungen", so der Hauptautor der aktuellen Studie Dylan Davis, Archäologe an der Columbia Climate School.

Dies widerlege die Kollaps-Theorie. "Indem sie die Umwelt zu ihrem Nutzen veränderten, waren die Menschen trotz begrenzter Ressourcen sehr widerstandsfähig", so Davis. 

Problematische Schlussfolgerungen

In den letzten Jahren versuchten Forschende anhand der vorhandenen Steingärten und denen Produktionskapazitäten eine Bevölkerungszahl zu schätzen.

In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurden etwa 7700 Hektar als für den Süßkartoffelanbau geeignet eingestuft, das wären 19 Prozent der Insel. Auf dieser Grundlage errechneten Forschende ca. 17.500 bis 25.000 Inselbewohner.

Neuvermessung dank Künstlicher Intelligenz

Die Forschenden der neuen Studie haben mittels Künstlicher Intelligenz die Satellitenbilder so konfiguriert, dass nicht nur Felsen, sondern auch für Gärten charakteristische Orte mit höherer Bodenfeuchtigkeit und höherem Stickstoffgehalt hervorgehoben werden.

Auf Grundlage ihrer Auswertungen sollen die Steingärten nur etwa 188 Hektar eingenommen haben. Das ist weniger als ein halbes Prozent der Insel. Und wenn die Ernährung weitgehend auf Süßkartoffeln basierte, dann können diese Gärten nur etwa 2000 Menschen versorgt haben.

Anpassung an schwierige Lebensbedingungen

Aus Isotop-Untersuchungen der Knochen und Zähne der einstigen Inselbewohner lässt sich schlussfolgern, dass sie 35 bis 45 Prozent ihrer Nahrung aus dem Meer und einen kleinen Teil aus anderen, weniger nahrhaften Pflanzen wie Bananen, der Wasserbrotwurzel Taro und Zuckerrohr bezogen.

Durch eine geschickte Anpassung an die schwierigen Lebensbedingungen konnten nach Ansicht der Forschenden etwa 3000 Bewohner ernährt werden.

Also in etwa so viele, wie auch bei Ankunft der Europäer auf der Insel Ostern 1722 angetroffen wurden. Die Idee eines Ökozids, eines sehr großen Bevölkerungsanstiegs und -niedergangs lasse sich nicht bewahrheiten, so Carl Lipo, Archäologe an der Binghamton University und Mitverfasser der Studie.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund