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Bewährungsprobe für Ruandas Justiz

Hilke Fischer26. Februar 2014

Das Mandat des UN-Tribunals für den Genozid in Ruanda läuft ab. Die Justiz des afrikanischen Landes muss die Verbrechen künftig allein aufarbeiten. Das Verfahren gegen Jean Bosco Uwinkindi gilt als Test.

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Jean Bosco Uwinkindi Anklage wegen Völkermord
Bild: Getty Images/AFP

Jean Bosco Uwinkindi ist der erste mutmaßliche Völkermörder, den der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) zurück in seine Heimat überstellt hat. Am Mittwoch (26.02.2014) beginnt in der Haupstadt Kigali der Prozess gegen den ehemaligen Pastor einer evangelischen Pfingstkirche. Ihm werden Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Uwinkindi soll während des Genozids in Ruanda 1994 eine Hutu-Gruppe befehligt haben, die Jagd auf Tutsi machte. 2000 Leichen seien in der Nähe seiner Kirche entdeckt worden, schildert die Anklage. Uwinkindi streitet alle Vorwürfe ab.

Bereits 2001 hatte der ICTR Haftbefehl gegen den Ex-Pastor erlassen, erst im Sommer 2010 konnte er in Uganda verhaftet werden. Uwinkindi wurde nach Arusha ins Nachbarland Tansania überstellt, denn hier hat das Tribunal seinen Sitz. Im April 2012 dann wurde der mutmaßliche Völkermörder zurück nach Ruanda gebracht.

Für Albert Gasake ist der Prozess gegen Uwinkindi ein historischer Fall. Gasake ist selbst Anwalt in Ruanda. Er arbeitet für die Organisation SURF, die sich für die Rechte der Genozid-Opfer einsetzt. "Wir glauben, dass die Überstellung von Uwinkindi nach Ruanda auch eine Anerkennung der Opfer und ihres Kampfes für Gerechtigkeit ist", so Gasake. "Das Verbrechen hat in Ruanda stattgefunden. Die ruandische Zivilgesellschaft kann jetzt viel unmittelbarer mitbekommen, was passiert und wie das Gericht mit dem Angeklagten umgeht."

Jean Bosco Uwinkindi
Jean Bosco UwinkindiBild: Getty Images/AFP

Das UN-Tribunal beendet seine Arbeit

1994 ist das dunkelste Jahr in der Geschichte Ruandas: Innerhalb von 100 Tagen metzelen radikalisierte Hutu drei Viertel der Tutsi-Minderheit und viele gemäßigte Hutu nieder. Wenige Monate nach dem Ende des Genozids richtet der UN-Sicherheitsrat in der tansanischen Stadt Arusha den ICTR ein. Seine Aufgabe: Die strafrechtliche Aufarbeitung und Aufklärung des ruandischen Völkermords.

44 Urteile fällte das Gericht in den vergangenen 20 Jahren, darunter mehrere Freisprüche. Die Verurteilten: Drahtzieher des Massenmords, unter ihnen Minister, Journalisten, hochrangige Militärs und Beamte. 17 weitere Fälle durchlaufen derzeit das Berufungsverfahren. Der ICTR wickelt zur Zeit die letzten Fälle ab, denn sein Mandat läuft Ende 2014 aus.

Für Opfervertreter wie Albert Gasake ist es wichtig, dass die Überlebenden die Möglichkeit haben, an den Prozessen gegen die mutmaßlichen Täter teilzunehmen - das konnten sie in Arusha nicht. Gasake hofft auf Entschädigungszahlungen für die Opfer, sollte Uwinkindi in Ruanda verurteilt werden.

"Das ist ein Gerichtshof, der sehr einseitig agiert hat", sagt Gerd Hankel, Ruanda-Experte und Wissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung. Denn am ICTR in Arusha wurden nur Verbrechen aufgearbeitet, die von Hutu-Seite begangen wurden. "Die Verbrechen der anderen Seite wurden tabuisiert." Gemeint ist die "Ruandische Patriotische Front", kurz RPF. Angeführt vom heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame eroberte sie 1994 das Land und beendete den Völkermord. Bis heute stellt die RPF die Regierung. Ihr wird vorgeworfen, auf ihrem Vormarsch und nach Beendigung des Genozids selbst Gräueltaten begangen zu haben.

Symbolbild Völkermord in Ruanda
Etwa 800.000 Menschen wurden während des Genozids in Ruanda getötetBild: picture-alliance/dpa

Kann Ruanda ein faires Verfahren garantieren?

Aus diesem Grund sieht Hankel auch den Prozess gegen den mutmaßlichen Völkermörder Jean Bosco Uwinkindi skeptisch. "Die ruandische Justiz ist sehr stark politisiert. Die Unschuldsvermutung, so wie wir sie verstehen, existiert dort nicht." Hankel hat viele Gerichtsverfahren in Ruanda verfolgt. In vielen Fällen sei die Justiz voreingenommen gewesen, sagt er. "Warum sollte sie es jetzt nicht sein?"

Um ein faires Verfahren sicherzustellen, wird der Uwinkindi-Prozess von ICTR-Beobachtern verfolgt. Sie sitzen mit im Gerichtssaal und prüfen, ob das, was dort geschieht, den internationalen Standards entspricht. "Das ist ein Gerichtsverfahren unter Aufsicht", so Hankel. Ruanda habe dem zugestimmt, weil es ein großes Interesse daran habe, sein Bild im Ausland zu verbessern.

Opfervertreter Gasaka ist optimistischer. "Das ruandische Rechtssystem ist sehr gut auf diesen Prozess vorbereitet." Vor der Überstellung Uwinkindis habe es viele Reformen gegeben. Bei der Prozessordnung gebe es allerdings noch einige Unstimmigkeiten. Der Prozess gegen Uwinkindi ist ein Präzedenzfall, weitere Verfahren gegen mutmaßliche Völkermörder, die zunächst vor dem ICTR angeklagt wurden, sollen folgen.

Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha, Tansania
Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha, TansaniaBild: Tony Karumba/AFP/Getty Images

Auch international gibt es zuletzt mehr Verfahren gegen die mutmaßlichen Drahtzieher und Helfershelfer des ruandischen Völkermords. Am 19. Februar 2014 urteilte erstmals ein deutsches Gericht über ein Verbrechen, das sich 1994 in Ruanda abspielte: Der ehemalige Bürgermeister Onesphore Rwabukombe muss wegen Beihilfe zum Völkermord für 14 Jahre ins Gefängnis.

In Paris steht seit Anfang Februar dieses Jahres der ehemalige ruandische Geheimdienstchef Pascal Simbikangwa vor Gericht. Er soll die Hutu-Milizen mit Waffen versorgt und Straßensperren beaufsichtigt haben, an denen Angehörige der Tutsi-Minderheit gezielt herausgefiltert und später mit Macheten getötet wurden. "Ich denke, in vielen Ländern ist das Bewusstsein dafür gestiegen, dass es eine Form von Verbrechen gibt - wie Völkermord - die man nicht hinnehmen kann, auf die man reagieren muss und deren Täter man bestrafen muss", so Hankel. Auch dann, wenn die Taten bereits 20 Jahre zurückliegen.