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Georgische Machtspiele

Silvia Stöber6. Mai 2013

Georgien bemüht sich um eine Annäherung an die EU. Trotz innenpolitischer Querelen sieht sich das Land auf Europakurs. Russland beobachtet die Außenpolitik des ehemaligen Kriegsgegners mit Argus-Augen.

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Georgiens Premierminister Bidsina Iwanischwili vor dem Europarat 2013 (Foto. DW/Silvia Stöber)
Premier Iwanischwili hatte in Straßburg eine Botschaft: Georgien geht weiter Richtung EuropaBild: DW/S. Stöber

Nervös wirkte Georgiens Premierminister Bidsina Iwanischwili, als er seine Ansprache vor der parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg begann. Immerhin war es seine erste öffentliche Rede vor einer europäischen Institution, und er sprach die Eingangsworte auf Französisch, um seine Botschaft zu unterstreichen: Die Südkaukasus-Republik Georgien hält den Kurs Richtung Europa: Die Mitgliedschaft in der Nato und der Europäischen Union bleiben als außenpolitische Ziele bestehen - auch jetzt, nachdem seine Koalition "Georgischer Traum" seit Oktober die Regierung stellt.

Iwanischwili wollte Zweifel ausräumen. Sie begleiten den Milliardär, der sein Vermögen in Russland in den neunziger Jahren gemacht und dann zurückgezogen gelebt hatte, seit er vor anderthalb Jahren in die Politik einstieg und eine Verbesserung der georgischen Beziehungen zu Russland ankündigte, die seit dem August-Krieg 2008 eingefroren sind.

Schaulaufen im Europarat

Diese Zweifel wurden sogleich geäußert, als sich Iwanischwili nach seiner Rede den Fragen der Europaratsabgeordneten stellte. Der polnische Parlamentarier Zbigniew Girzynski wollte wissen, ob Iwanischwili die Unabhängigkeit Georgiens gegen Russland verteidigen wolle. Schließlich habe der frühere polnische Präsident Lech Kaczynski während des Krieges 2008 mit einem Besuch in Tiflis sein Leben für Georgien riskiert.

Andere Fragen konzentrierten sich auf den Umgang der neuen Regierung mit ihren Vorgängern, der Partei Vereinte Nationale Bewegung (UNM) von Michail Saakaschwili, der selbst noch bis Oktober als Präsident Georgiens amtiert. Von Druck auf UNM-Parlamentarier und -Volksvertreter in den Regionen war die Rede. Der britische Abgeordnete Andrew Leigh kritisierte die laufende Justizreform, im Rahmen derer auch Juristen das höchste Richtergremium vorzeitig verlassen sollen, die Saakaschwili nahe stehen. Zeitweise konnte man den Eindruck gewinnen, die Debatte finde nicht in Straßburg, sondern im georgischen Parlament statt.

Veranstalltung der Saakaschwili-Partei UNM in Georgien (Foto: DW/Silvia Stöber)
Demonstrative Orientierung nach Westen: Georgische Flaggen mit EU-Fahnen auf einer Kundgebung der Saakaschwili-Partei UNMBild: DW/S. Stöber

Tatsächlich hatten sich manche Europaratsabgeordnete vor der Sitzung von georgischen Abgeordneten der UNM Fragen geben lassen. Der britische Parlamentarier Leigh ließ sich bei einer Tasse Kaffee in der Europaratskantine von den drei UNM-Abgeordneten Tinatin Bokuchawa, Chiora Taktakischwili und Giorgi Kandelaki zur Frage nach den Saakaschwili-treuen Richtern überreden. Der polnische Abgeordnete Girzynski teilte per Twitter mit, er habe sich ebenfalls mit Taktakischwili und Bokuchawa abgestimmt. Der langjährige Schweizer Abgeordnete Andreas Groß nennt dies ein durchaus übliches Verfahren im Europarat, auf das sich meist weniger erfahrene Politiker einließen.

Einfluss im Ausland, Machtverlust zu Hause

Die Mitstreiter von Präsident Saakaschwili setzen auf diese Weise ihre Innenpolitik im Ausland fort. Der Europarat genießt in Nicht-EU-Ländern wie Georgien noch immer einen hohen Stellenwert, ebenso Kritik internationaler Akteure. Die UNM profitiert von internationalen Netzwerken, die sie in den vergangenen neun Jahren aufgebaut und während der sie die georgische Innen- und Außenpolitik praktisch allein bestimmt hatte. Im Ausland verkaufte sich Saakaschwili als Vorzeigedemokrat und Korruptionsbekämpfer, der Georgien in die NATO und die EU führen wollte.

Doch derzeit kämpft die Partei der einstigen Rosenrevolutionäre im eigenen Land mit einer Krise. Bei der Parlamentswahl im Oktober hatte sie deutlich gegen die Koalition Iwanischwilis verloren. Zwar nahm die UNM die Rolle der Opposition im Parlament selbstbewusst an und setzt den unerfahrenen Parlamentariern des "Georgischen Traums" gehörig zu. Doch Saakaschwili als Führungsfigur hat Vertrauen verloren und das nicht erst seit der Veröffentlichung von Dokumenten, die seinen ausschweifenden Lebensstil und seine teuren Geschenke zum Beispiel an eine russische Boulevard-Journalistin auf Staatskosten belegen. Einige Ex-Minister sind belastet durch ungeklärte Fälle von Mord und Gewalt sowie Repressionen gegen Regierungsgegner. Vor der Wahl publizierte Videos von Folterungen an Gefangenen schürten die Wut der Bürger auf die UNM, von der sich ohnehin viele enttäuscht abgewendet hatten, denn sie hatte weder die Arbeitslosigkeit beseitigt, noch soziale Sicherheit geschaffen oder den wichtigen Landwirtschaftssektor zum Blühen gebracht.

Georgiens Ex-Präsident Michail Saakaschwili (Foto: dpa)
Noch bis Oktober im Amt: Präsident SaakaschwiliBild: picture-alliance/dpa

So ist zu erklären, dass die Bewohner einiger Regionen nach der Wahl Gouverneure und Abgeordnete der UNM unter Druck setzten, ihre Posten zu verlassen. Andererseits ist so zu verstehen, warum die Regierung Iwanischwilis auch nach einem halben Jahr mit vielen Fehlern und bislang wenig sichtbaren Änderungen noch große Unterstützung in der Bevölkerung genießt. Die vorsichtige Annäherung an Russland wird eher begrüßt, dürfen doch inzwischen wieder georgische Produkte in Russland verkauft werden.

Saakaschwili setzt auf Freunde im Ausland

Angesichts der bröckelnden Machtbasis in der Heimat setzte Saakaschwilis UNM in den Monaten vor und nach der Parlamentswahl auf seine guten Kontakte diesseits und jenseits des Atlantiks. Die Warnungen vor Iwanischwili als einem Handlanger des Kreml sowie Klagen über Druck auf die Mitstreiter Saakaschwilis fruchteten auch bei der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), in der die UNM Mitglied ist. Einen Triumpf feierte die UNM, als mehrere EVP-Politiker, darunter die deutschen CDU-Abgeordneten Elmar Brok und Joachim Zeller, im März einen harschen Brief an Premier Iwanischwili schickten. Kurz darauf drohte die EVP, die Unterzeichnung unter das geplante Assoziierungsabkommen zwischen EU und Georgien beim Gipfel der Osteuropäischen Partnerschaft (EaP) im Herbst in Vilnius zu verweigern.

Friedensbrücke in der georgischen Hauptstadt Tiflis (Foto: DW/Silvia Stöber)
Modernismus à la Saakaschwili: Brücke in TiflisBild: DW/S. Stöber

Doch damit gingen sie wohl einen Schritt zu weit. Diplomaten äußerten offen Kritik. Der Schweizer Botschafter in Georgien, Günther Bächler, warf der EVP vor, für Saakaschwili Propaganda im Sowjetstil zu betreiben. Auch in Brüssel sorgte die EVP für Missstimmung, denn das Assoziierungsabkommen ist nicht nur für Georgien, sondern auch für die EU wichtig. Schließlich sollen beim Gipfel in Vilnius Erfolge präsentiert werden. Georgien bereitet derzeit die geringsten Probleme - im Vergleich zu den anderen EaP-Ländern Weißrussland, Ukraine, Aserbaidschan, Moldawien und Armenien.

Etappenziel Assoziierungsvertrag

EU-Beamte konstatieren bei den georgischen Ministern nicht nur den Willen, sondern auch Taten, um die Anforderungen der EU zu erfüllen. Und letztlich, so ist jetzt auch von CDU-Politiker Zeller zu hören, schränke man als EVP-Politiker mit Sympathien für Osteuropa mit überzogener Kritik seinen Handlungsspielraum nur selbst ein. Und man bietet Angriffsflächen: Denn bei der Verteilung von Finanzmitteln im Rahmen der EU-Nachbarschaftshilfe suchen südeuropäische EU-Länder immer Argumente, um mehr Gelder an Nordafrika und weniger an Osteuropa zu vergeben.

Im Moment sind keine harschen Worte gegen Iwanischwili zu hören. Im Gegenteil: Kürzlich war der Premierminister und nicht Präsident Saakaschwili zu Gast bei einem Treffen der "Freunde Georgiens" des German Marshall Fund bei München. Dort kommen alljährlich in exklusiver Runde Schwedens Außenminiser Carl Bildt, Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves und andere Persönlichkeiten zusammen. Im Interview berichtet Iwanischwili, die Stimmung sei anfangs angespannt gewesen, doch am Abend sei das Eis gebrochen. Man habe sich sogar gemeinsam über den schwierigen Umgang mit Saakaschwili ausgetauscht. Iwanischwili gab sich zuversichtlich, dass er seinem politischen Gegner nun auch im Ausland Paroli wird bieten können.