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Julius von Jan: Gerechter unter den Völkern

13. Oktober 2020

Nur wenige Menschen hatten in der Nazizeit den Mut, sich für Juden einzusetzen - sie riskierten selbst ihr Leben. Der evangelische Pfarrer Julius von Jan aber erhob seine Stimme. Nun wurde er posthum in Berlin geehrt.

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Relief Julius von Jan an der Martinskirche Lenningen
Julius von Jan predigte 1938 gegen die Judenverfolgung in der Martinskirche von Oberlenningen: Heute erinnert dort ein Relief an den mutigen PfarrerBild: Horst Rudel/imago images

"Im Namen meines Vaters möchte ich mich beim israelischen Staat für die besondere Ehrung, ihn als Gerechter unter den Völkern auszuzeichnen, herzlich bedanken. Es ist gewissermaßen der Höhepunkt der Ehrungen, die meinem Vater posthum zuteil geworden sind."

Richard von Jan ist 86, er spricht langsam und er verhaspelt sich auch mal. Rührung liegt in seiner Stimme. In diesen Corona-Zeiten hat sich von Jan aus dem Süden Deutschlands nach Berlin aufgemacht. Der israelische Botschafter Jeremy Issacharaoff überreicht ihm die Yad-Vashem-Ehrenurkunde und die dazu gehörende Medaille für seinen Vater Julius von Jan (1897-1964). Damit ehrt die israelische Holocaust-Gedenkstätte den Vater mit dem Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" als Judenretter und Judenhelfer.

Geschäfte geplündert, Friedhöfe verwüstet, Hunderte ermordet

Julius von Jan war eine Ausnahme. Einer der Wenigen, die im November 1938 nicht stumm blieben, sondern die Stimme erhoben. Am 8. und 9. November dieses Vorkriegsherbstes hatten die Nazis bei landesweiten Übergriffen und Pogromen Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte beschädigt oder geplündert, jüdische Friedhöfe verwüstet, auch schon hunderte Juden ermordet. Das geschah in aller Öffentlichkeit. Viele Menschen packten mit an oder bekamen es mit. Sie sahen die brennenden Gotteshäuser oder in den Tagen danach zerstörte Schaufenster.

Berlin Botschaft Israel | Ehrung Julius von Jan
Israels Botschafter Jeremy Issacharoff (rechts) mit Richard von Jan Bild: Botschaft des Staates Israel

Die meisten schwiegen. Noch hatte der große Krieg nicht begonnen. Aber längst funktionierte im nationalsozialistischen Deutschland die Gewaltherrschaft und Gleichschaltung. Längst gab es Konzentrationslager und Judenverfolgung.  Julius von Jan schwieg nicht. Im November 1938 war er 41 Jahre alt, Vater von zwei Kindern und Pfarrer in Oberlenningen am Fuße der Schwäbischen Alb.

Warnung vor "kirchlichen Lügenpredigern"

Acht Tage nach den Pogromen im gesamten Reichsgebiet stieg er auf die Kanzel und predigte in Anlehnung an ein biblisches Wort des Propheten Jeremia "O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!". Von Jan beklagte "das organisierte Antichristentum. Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote missachtet, Gotteshäuser, die andern heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört. Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben […], wurden ins KZ geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehörten!". Und er warnte - eine deutliche Klage über die mangelnde Unterstützung seiner Kirchenleitung - vor kirchlichen Lügenpredigern, die "nur 'Heil' und 'Sieg' rufen, aber nicht des Herrn Wort verkündigen". Aber "Gott lässt seiner nicht spotten. Was der Mensch säet, wird er auch ernten!" Auch am darauf folgenden Sonntag predigte Pfarrer von Jan so deutlich.

Deutschland Novemberpogrome 1938 | Prinzregentenstraße
Überall im Deutschen Reich brannten im November 1938 Synagogen, wie hier an der Berliner Prinzregentenstraße.Bild: picture-alliance/akg-images

Nun, 82 Jahre nach seinen mutigen Predigten, würdigt ihn der Staat Israel mit der Ehrung für Nicht-Juden, die in der Zeit des Nationalsozialismus ihr Leben aufs Spiel setzten, um Juden zu retten. Bis heute haben rund 27000 Männer und Frauen diesen Titel erhalten, darunter gut 600 Deutsche. Richard von Jan, der Sohn, berichtet, dass es in Oberlenningen früh einen Gedenkort für seinen Vater gegeben habe, dass dessen mutiges Auftreten dann in den 1980er Jahren zum 50-jährigen Gedenken "in die große Zahl der sogenannten Widerstandsbiographien" gekommen und damit national geehrt worden sei.

Berlin Botschaft Israel | Ehrung Julius von Jan
Richard von Jan (86) dankt für die posthume Ehrung seines Vaters.Bild: Botschaft des Staates Israel

Für ihn, so Richard von Jan, sei nun "die Yad-Vashem-Ehrung eine internationale Abrundung dieser Geschichte. "Auch aus meiner persönlichen Sicht und Erfahrung als Sohn war mein Vater ein wirklich besonderer und in vieler Hinsicht außergewöhnlicher Mensch. Er hat diese Ehrungen sicher verdient."

"Ein leuchtendes Beispiel" - auch für die Kirche

Solche Feierstunden sind – für die anwesenden Israelis, die geladenen Gäste – stets eine Besinnung auf den Mut einzelner. Botschafter Issacharoff nennt den evangelischen Geistlichen Julius von Jan "ein leuchtendes Beispiel für Integrität, da er als Mann Gottes den Juden in der dunkelsten Zeit ihrer Geschichte zur Seite stand. (…) Er tat, was jeder humane Mensch hätte tun sollen, und doch war er nur die Ausnahme", so der Diplomat.

Berlin Botschaft Israel | Ehrung Julius von Jan
Die Medaille und die Urkunde ehren die "Gerechten unter den Völkern"Bild: Botschaft des Staates Israel

Die Ausnahme. Auch daran erinnert die Auszeichnung der "Gerechten unter den Völkern". Auch in seiner evangelischen Kirche war Julius von Jan eine Ausnahme. Seine Kirchenleitung stand nicht hinter ihm. Sie verhinderte zwar die Einlieferung ins Konzentrationslager, seine Pfarrstelle jedoch verlor er, die Gemeinde in Oberlenningen durfte er nicht mehr betreten. Von Jan wurde zusammengeschlagen, ins Gefängnis geworfen, später in eine Strafkompanie an die Ostfront versetzt. Nach Kriegsende, im September 1945 kehrte Julius von Jan nach Oberlenningen zurück. Noch gut zehn Jahre wirkte er als Pfarrer. Aber gezeichnet von Krieg und Verfolgung ging er 1958 in Ruhestand und verstarb 1964.

Zeitlich ist es ein reiner Zufall - aber am nächsten Sonntag begeht die Evangelische Kirche in Deutschland in Stuttgart (dort saß Julius von Jan in Untersuchungshaft) den 75. Jahrestag des sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnisses. "Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben", heißt es in einem Dokument, das die kurz zuvor neu gegründete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 18. und 19. Oktober 1945 in Stuttgart verabschiedete und veröffentlichte. Es war der Beginn einer Aufarbeitung, die doch lange dauerte. Julius von Jan bleibt einer der wenigen, die "mutiger bekannt" haben.

Gerechte unter den Völkern