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Geschrumpfte Armee mit großen Aufgaben

Nina Werkhäuser, Berlin30. September 2015

1990 fürchteten die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, dass das wiedervereinigte Deutschland militärisch erstarken könne. 25 Jahre später hat niemand mehr Angst vor der Bundeswehr - eher vor ihrer Schwäche.

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Soldaten von Heer, Luftwaffe und Marine währen eines feierlichen Gelöbnisses, Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Es war vor allem die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher, die 1990 vor der Wiedervereinigung warnte. Ihr Deutschlandbild war von zwei Weltkriegen geprägt, und so äußerte sie in ihrer gewohnt unverblümten Art die Sorge, dass Deutschland Europa erneut dominieren könnte. "Ihr Deutschen wollt nicht Deutschland in Europa verankern, Ihr wollt den Rest Europas in Deutschland verankern", beschrieb sie ihre Vorbehalte 1993 in einem Interview mit dem "Spiegel". Wenn Deutschland mit einem Schlag größer und wirtschaftlich mächtiger werde als Großbritannien und Frankreich, dann, so Thatchers These, werde Europa aus dem Gleichgewicht geraten.

Das Ende der Nationalen Volksarmee

Diese Zweifel, die auch die französische Regierung hatte, bezogen das militärische Potenzial der beiden deutschen Staaten durchaus mit ein. In der Bundesrepublik Deutschland standen am Tag der Wiedervereinigung 585.000 Soldaten unter Waffen; 90.000 Soldaten hatte die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR. Ihr letztes Stündlein hatte längst geschlagen: Die Regierung in Bonn misstraute der "Armee der SED" zutiefst und war nicht gewillt, die NVA-Soldaten als "Brüder in Uniform" in die Bundeswehr zu integrieren. Vielmehr wurde die Armee der DDR am 3. Oktober 1990 aufgelöst; Offiziere der Bundeswehr übernahmen das Kommando über alle militärischen Verbände in den östlichen Bundesländern. Nur ein kleiner Teil der NVA-Soldaten wurde nach einer Eignungsprüfung in die Bundeswehr übernommen. Für die Generäle, Admiräle und die meisten hohen Offiziere der NVA bedeutete die Wiedervereinigung das Ende ihrer militärischen Karriere.

Uniformen der Nationalen Volksarmee und der Volkspolizei der DDR als Schaustücke im Museum, Foto: dpa
Wurden ein Fall fürs Museum: Uniformen der Nationalen Volksarmee und der Volkspolizei der DDRBild: picture-alliance/dpa/P. Förster

Neuorientierung der Bundeswehr

Mit der Wiedervereinigung begann ein stetiger Schrumpfungsprozess der Streitkräfte auf heute nur noch 180.000 Soldaten. In den folgenden Jahren wurden Tausende jener Panzer verschrottet, die potenziell einen Angriff aus dem Osten hätten abwehren sollen. Deutschland war nunmehr von Freunden umgeben, und die Bundeswehr fand sich in einem neuen strategischen Umfeld wieder: An die Stelle der Blockkonfrontation traten internationale Konflikte wie der Golfkrieg und die Kriege auf dem Balkan.

Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auch an Deutschland die Forderung herangetragen wurde, sich an Militäroperationen "out of area" - außerhalb des Bündnisgebiets - zu beteiligen. Da die Bundeswehr aber qua Verfassung auf die Landesverteidigung festgelegt war, waren Auslandsmissionen zunächst umstritten. Die Frage landete vor dem höchsten deutschen Gericht. 1994 erklärte das Bundesverfassungsgericht Auslandseinsätze der Bundeswehr für zulässig, wenn sie im Rahmen internationaler Organisationen stattfinden, etwa der UN oder der NATO. Außerdem muss der Bundestag ihnen zugestimmt haben. Damit war die Tür für die Neuausrichtung der Bundeswehr geöffnet.

Zwei Soldaten der Bundeswehr liegen in Afghanistan mit ihren Waffen in Stellung, Foto; dpa
Heute weltweit im Einsatz: Bundeswehr-Soldaten in AfghanistanBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Armee im Einsatz

In den folgenden Jahren gab Deutschland schrittweise seine Zurückhaltung auf und beteiligte sich an einer Vielzahl internationaler Militärmissionen auf dem Balkan, in Afrika und in Afghanistan. Vor 25 Jahren, resümiert Claudia Major von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik", hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz werden würde. "Da ist sie einen bemerkenswerten Weg gegangen", sagt die Expertin für Sicherheitspolitik. Heute werde Deutschland von den Nachbarn keinesfalls mehr als Bedrohung gesehen, sondern als Partner. Und zwar als Partner, von dem man ausdrücklich viel erwartet - Einsatzbereitschaft, Investitionen ins Militär und Verlässlichkeit. Gleichzeitig, so Major, gebe es hierzulande immer noch eine Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Mittel. "Da ist die Geschichte eine gute Lehrmeisterin für Deutschland gewesen."

Hohe Erwartungen der Verbündeten

Bei den Verbündeten allerdings schwindet das Verständnis dafür, dass Deutschland militärisch oft nur in der zweiten Reihe agiert. "Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit", hatte es der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski 2011 auf den Punkt gebracht. Das gilt, daran lassen Nachbarn wie Polen keinen Zweifel, heute mehr denn je auch für die europäische Verteidigungspolitik. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise wünschen sich die osteuropäischen Länder ausdrücklich eine starke deutsche Armee, die die Verantwortung für die Verteidigung ihrer Bündnispartner nicht scheut.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen spricht mit deutschen Soldaten bei einem Nato-Manöver in Polen im Juni 2015, Foto: Getty Images
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit deutschen Soldaten bei einem Nato-Manöver in Polen im Juni 2015Bild: S. Gallup/Getty Images

Der westliche Nachbar Frankreich hingegen plädiert für ein größeres Engagement der Bundeswehr in Afrika. "Frankreich erwartet, dass Deutschland in Afrika und Nahmittelost an Kampfeinsätzen teilnimmt", sagt der Politologe Hans Stark, der an der Sorbonne lehrt und sich seit 30 Jahren mit den deutsch-französischen Beziehungen beschäftigt. Dazu gehöre nach Pariser Lesart, dass Deutschland "auch Bodentruppen vorsieht und nicht nur reines Peacekeeping macht". Als bedrohlich empfänden die Franzosen die Bundeswehr nicht, da sie ihre eigene Armee ohnehin als stärker einschätzten, sagt Stark. Eher sähen sie eine Diskrepanz zwischen Deutschlands wirtschaftlichem Potenzial und seiner militärischen Performance. In Frankreich sei man "enttäuscht" darüber, dass ein so mächtiges Land wie Deutschland in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik so wenig Verantwortung übernehme. "Aus französischer Sicht tut Deutschland nicht genug, weder in der NATO noch innerhalb der EU", resümiert Stark.

Zu knauserig zum Führen?

Und wie sieht die US-Regierung die deutsche Sicherheitspolitik 25 Jahre nach der Wiedervereinigung? Dort wird gerne lobend vom "weiten Weg" gesprochen, den die Bundeswehr gegangen sei - von der Verteidigungsarmee im Kalten Krieg hin zur modernen Einsatzarmee. Mit Blick auf die jüngere deutsche Geschichte sei das schließlich keine Selbstverständlichkeit, heißt es wohlwollend in Washington. Dort baut man auf Deutschlands "leadership", auf die deutsche Führung in Europa. "Wenn Deutschland Teil einer Koalition oder multilateralen Operation ist, verleiht das dieser Glaubwürdigkeit", sagt Sudha David-Wilp, Spezialistin für transatlantische Beziehungen beim German Marshall Fund in Berlin. "Deutschland hat einfach ein gutes Standing in vielen Ländern der Welt."

Aber Führung kostet auch, also müsse die Bundesregierung bei den Militärausgaben noch eine Schippe drauflegen, forderte US-Verteidigungsminister Ashton Carter bei seinem Antrittsbesuch in Berlin im Juni. Von der Zielmarke der Nato - zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungshaushalt - ist Deutschland mit 1,2 Prozent weit entfernt. Mit ihren veralteten Transportflugzeugen, reparaturbedürftigen Helikoptern und schlecht schießende Gewehren kann die Bundeswehr da nicht punkten. Für ein faires "burden-sharing" ist das nach Ansicht der großen Verbündeten nicht das passende Equipment.

Drei Soldaten vor einem Transportflugzeug vom Typ Transall auf dem Nato-Flugplatz Hohn, Foto: dpa
Bei der Bundeswehr immer noch im Einsatz: Transportflugzeuge vom Typ Transall aus den 1960er JahrenBild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

Nicht abseits stehen

Die wachsende Zahl der internationalen Krisen und die steigenden Erwartungen der Verbündeten haben dazu beigetragen, dass Deutschland seine Rolle in der Welt neu definiert hat. Dass "Heraushalten" keine Option ist, zeigten schon 2011 die harschen Reaktionen im In- und Ausland auf die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat, als dieser ein militärisches Eingreifen in Libyen beschloss.

Inzwischen hat die Bundesregierung klargestellt, dass Deutschland nicht abseits stehen, sondern international mehr Verantwortung übernehmen will. In der Ukraine-Krise konnten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier das bereits unter Beweis stellen - nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch bei der Stärkung der Nato in Osteuropa. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland angekommen in einer gestaltenden Außenpolitik, sucht aber zuweilen noch nach der Rolle, die die Bundeswehr darin spielen kann und soll.