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Pulverfass Kaukasus

7. August 2009

Ein Jahr nach dem Krieg zwischen Georgien und Russland hat sich die Lage nicht wirklich entspannt. Aber die Instabilität der Region hängt nicht nur an Personen und Animositäten zwischen verschiedenen Volksgruppen.

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Georgische Soldaten bei einem Manöver (Foto: dpa)
Georgisches Militärmanöver Ende JuliBild: picture-alliance/ dpa

Unveränderte Schuldvorwürfe, unverändertes Misstrauen, unveränderte territoriale Ansprüche: Das ist die Bilanz ein Jahr nach dem Georgienkrieg. Ein echter Frieden sähe anders aus, eine Perspektive für ein gedeihliches Zusammenleben und Zusammenarbeiten erst recht. Aber der Konflikt zwischen Georgien und seinen abtrünnigen Provinzen Abchasien und Süd-Ossetien ist symptomatisch für die Instabilität einer ganzen Region: das Pulverfass Kaukasus.

Da ist zunächst das Problem der Ethnien und "Nationen": Auf engem Raum leben an die 50 Volksgruppen mit teilweise ganz unterschiedlicher Sprache, Kultur und Religion, mit zahlreichen historischen Konflikten und offenen Rechnungen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die dann postwendend wieder auf den Tisch gelegt -nur eben allzu oft nicht auf den Verhandlungstisch. Und so schießen ehemalige Waffenbrüder der Roten Armee, vagabundierende Freischärler und Terroristen aufeinander.

Souveränität: Wunsch oder Wirklichkeit?

Eine alte Frau hilft einer anderen von der Straße auf (Foto: AP)
Viele Menschen in der Region leiden unter ArmutBild: AP

Dabei sind die meisten der ehemaligen Kaukasus-Sowjetrepubliken oder die daraus noch weiter aufgespaltenen Territorien wirtschaftlich und damit auch politisch nicht eigenständig überlebensfähig. Das gilt auch für Abchasien und erst recht für Südossetien. Völkerrechtlich anerkannt wird deren Souveränität nur von Russland und Nicaragua.

De facto hängt alles am Tropf Moskaus; militärisch, aber vor allem wirtschaftlich. In beiden Provinzen leidet die Bevölkerung unter bitterer Armut, und die meisten Menschen in Südossetien würden die postulierte staatliche Unabhängigkeit lieber heute als morgen gegen eine Angliederung an Russland eintauschen. Ohnehin haben die meisten einen russischen Pass.

Vom Kriegsschauplatz zum Urlaubsland?

Abchasien liegt zumindest geografisch sehr viel günstiger als Süd-Ossetien. Aber die Vision, etwa des abchasischen "Präsidenten" Sergej Bagapsch, westliche Investoren ins Land und deutsche Touristen an die Schwarzmeerstrände zu holen, wird wohl noch lange eine Vision bleiben -so lange, bis ein echter, stabiler Frieden mit Georgien herrscht, in welcher politischen und staatsrechtlichen Konstruktion auch immer. Bagapsch sieht in der Person des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili das Hauptproblem. Aber die Instabilität der Region hängt nicht nur an Personen und alten Animositäten zwischen verschiedenen Volksgruppen.

Großmachts-Interessen

Denn die Personen und Staaten sind zugleich Akteure in einem viel größeren Spiel. Und das heißt: Zugang zu den Öl- und Gasquellen am kaspischen Meer. Die - politische, wirtschaftliche und militärische - Unterstützung Georgiens durch den Westen darf getrost nicht nur als rein demokratiefördernde Maßnahme verstanden werden. Sie ist auch ein Versuch, Moskau bei der Vermarktung der Rohstoffe Konkurrenz zu machen - und eine von Russland unabhängige Energieversorgung für Europa auf die Beine zu stellen.

Karte von Georgein und seinen Nachbarländern
Konfliktzone Georgien

Auf der anderen Seite hat Russland ein erhebliches Interesse daran, dass die Öl- und Gasleitungen aus Aserbaidschan auf irgendeiner Strecke das eigene Kernland erreichen. Die ehemalige Sowjetrepublik Georgien ist als Transitland sozusagen ins "feindliche Lager" gewechselt, da will Moskau zumindest ein gewisses Druckpotential aufrechterhalten - zumal die verbliebene Pipeline-Strecke alles andere als sicher ist: Sie verläuft über Dagestan und Tschetschenien. Und das ruft sowohl die ständigen gewalttätigen Aktionen von "Freischärlern" und "Rebellengruppen" in diesen Ländern als auch die massiven Interventionen Russlands hervor.

Wer am Kaukasus auf militärische Gewalt setzt, der betreibt ein Spiel mit dem Feuer. Ein Jahr nach dem Georgien-Krieg 2008 haben immer noch zu viele handelnde Parteien den Spaß am Zündeln nicht verloren.

Autor: Michael Gessat

Redaktion: Julia Elvers-Guyot