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Gesund durch Ayurveda - oder todkrank?

Hannah Fuchs sams, dpa
6. November 2015

Ob aus medizinischen Gründen oder einfach nur fürs Wohlbefinden: Ayurveda-Farmen, -Kuren und -Behandlungen boomen. Doch es gibt Fälle, in denen Patienten lebensgefährliche Symptome davontragen.

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Medizinflaschen (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance/Rolf Kremming

Man könnte meinen, mit Ayurveda kann man nichts falsch machen: ein paar Kräuter hier, die ein oder andere Massage da, den Sonnengruß zum Start in den Tag - und Körper, Geist und Seele sind im Gleichgewicht. Solche Kuren in der Ayurveda-Hochburg Sri Lanka können aber auch zu einem lebensgefährlichen Trip werden.

Krank statt entgiftet

Pillen auf weißem Hintergrund (Foto: picture-alliance/Arco Images GmbH).
Mit negativen Wirkungen rechnen die Patienten nicht.Bild: picture-alliance/Arco Images GmbH

Man kommt nach Hause und leidet plötzlich an Gewichtsverlust, Konzentrationsstörungen, Schmerzen. So erging es einer Patientin, die in die Sprechstunde des Hamburger Nierenarztes Tobias Meyer kam, berichtet die Deutsche Presseagentur dpa. Sie hatte eine dreiwöchige Ayurveda-Kur in Sri Lanka gemacht und Mittel eingenommen, die nach Rezepturen der traditionellen indischen Heilkunst hergestellt sein sollten. Das Ergebnis: Quecksilber-, Arsen- und Blei-Rückstände im Blut.

Meyer ließ die Ayurveda-Kügelchen aus Asien untersuchen, auch von anderen Patienten, die auf Sri Lanka zur Kur gewesen waren. In einem Fall habe der Quecksilbergehalt einer einzigen Pille den zulässigen Grenzwert sogar um das 2,3-millionenfache überschritten, heißt es.

Deutschlandweit häuften sich solche Vergiftungsfälle in den letzten Monaten. Siddharta Popat, Arzt aus dem rheinland-pfälzischen St. Katharinen, behandelte sechs Patienten, die im selben Resort in Sri Lanka Kuren gemacht hatten. Die Blut- und Urintests zeigten teilweise so hohe Werte an Quecksilber und Blei, "dass man fast vom Stuhl fällt", sagte Popat gegenüber der dpa. Den Betroffenen ginge es aber schon wieder besser.

Die traditionelle indische Ayurveda-Heilkunde ist in den vergangenen Jahren zur globalen Ethno-Trendmedizin geworden. Wegen der gefährlichen Pillen ermittelt mittlerweile die Justiz. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zu Ayurveda zusammengetragen:

Studiogespräch mit Doktor Christian Kessler, Internist und Ayurveda Arzt # 18.08.2011 # fit & gesund

Seit wann gibt es Ayurveda?

Ayurveda ist eine der ältesten bekannten Schulen der Medizin. Ihr Ursprung liegt in der vedischen Kulturepoche Indiens, mehr als tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung. Seitdem gibt es Aufzeichnungen über Diagnose, Rezepte und Therapien, meist in Palmblätter geritzt. Die klassischen Texte, auf die sich Ayurveda noch immer bezieht, entstanden etwa vom achten vorchristlichen Jahrhundert bis etwa 1000 nach Christus.

Heute gelten Kerala an der südindischen Malabarküste und Sri Lanka als Ayurveda- Hochburgen. Hier befinden sich über tausend medizinisch wirksame Pflanzen, die mittlerweile in einer Pflanzen-Datenbank katalogisiert sind.

Was bedeutet Ayurveda?

Das Wort kommt aus dem Sanskrit und bedeutet "Wissenschaft von der Verlängerung des Lebens" oder "Wissen vom Leben". Die ganzheitliche Lehre von Ayurveda geht von der Gleichheit von Natur und Selbst aus und ist somit eng mit der Philosophie des Yoga verwandt, die aus derselben vedischen Phase stammt.

Worin liegt der Unterschied zur westlichen Medizin?

"In erster Linie steht bei Ayurveda die Gesundheit im Zentrum und nicht die Krankheit", sagte Christian Kessler, Forschungskoordinator an der Charité-Hochschulambulanz für Naturheilkunde in Berlin der DW. "Das ist ein entscheidender Unterschied zu den konventionellen westlichen Ansätzen, wo ganz oft vom Kranken ausgegangen wird."

Außerdem betrachtet die ayurvedische Lehre ein Leiden nicht isoliert, sondern in der Gesamtheit des Menschen. Hinter vielen Krankheiten werden psychosomatische Ursachen gesehen.

Krankheit ist demnach ein Ungleichgewicht der drei Dhosas (Kräften) des menschlichen Körpers: Pitta (Sonne), die über Verdauung und Stoffwechsel herrscht, Kapha (Mond) für Körperorgane und Knochen und Vata (Wind) für Bewegung, Nerven und Kreislauf. Beim gesunden Körper befinden sich die Kräfte im Gleichgewicht.

Wie funktioniert die Diagnose?

Diagnostiziert werden Krankheiten vor allem durch das Fühlen des Pulses. Es kommt aber nicht wie in der westlichen Medizin auf die Zahl der Schläge, sondern auf deren Qualität an. Je nachdem, wie stark die Finger auf die Arterie drücken, lesen sie verschiedene Ebenen des Pulses ab, die zusammen unzählige Kombinationsmöglichkeiten ergeben.

Außerdem versucht der ayurvedische Arzt familiäre Hintergründe, Lebensgewohnheiten und Charaktereigenschaften des Patienten in seine Diagnose mit einzubeziehen.

Die Therapie benutzt Kräuterheilmittel, zum Beispiel Ashwaghanda (Schlafbeere) zur Stärkung von Muskeln und Sehnen, Guggul für die Flexibilität und Beweglichkeit des Körpers, Shatavari (wilder Spargel) zur Erhöhung der Gedächtnisleistung und kognitiven Fähigkeiten und Aloe Vera bei Sonnenbrand oder kleineren Wunden. Außerdem gibt es Öl-Massagen, Reinigungsmethoden und Aufgüsse.

Woher weiß ich, ob meine Medikamente unbelastet sind?

Ayuverdische Präparate werden oft - aus traditionellen Gründen - mit Schwermetallen verarbeitet, da dies die therapeutische Wirkung steigern soll. Medizinische Schwermetalltherapien sind in Deutschland verboten und kommen aufgrund strikter Kontrollen hier nicht auf den Markt.

Anders in Indien und Sri Lanka: Dort sind diese Therapien zwar ein "sehr kleiner und umstrittener Zweig der Ayurveda-Medizin", sagte Christian Kessler, aber bereits im Jahr 2008 haben US-Wissenschaftler im Medizinjournal JAMA vor überhöhten Konzentrationen an Blei, Quecksilber und Arsen in vielen Tabletten gewarnt.

Das ist ein Problem, dem sich auch der Verband Europäischer Ayurveda-Mediziner und -Therapeuten (VEAT) bewusst ist. Auf ihrer Webseite heißt es:

"Das Problem verunreinigter oder mangelhaft produzierter Ayurveda-Medikamente in Sri Lanka oder Indien taucht immer wieder auf [...]. Grundsätzlich ist es so, dass in diesen Ländern bestimmte Standards und Kontrollen nicht so konsequent umgesetzt werden wie beispielsweise in Europa."

Deshalb seien die VEAT-Qualitätsmerkmale für Ayurveda-Produkte ernst zu nehmen und zu beachten.

Das Auswärtige Amt rät in seinen Reisehinweisen für Sri Lanka "dringend", ayurvedische Behandlungen nur in Einrichtungen vorzunehmen, die bei der Sri Lanka Tourism Development Authority (SLTDA) registriert seien und "keinesfalls unzertifizierte ayurvedische Medikamente einzunehmen".

Christian Kesslers Tipp: "Man kann mittlerweile auch in Europa Ayurveda-Kuren machen - mit mehr Sicherheit."

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.