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PolitikAfrika

Gewalt gegen Frauen: Die andere Pandemie

Silja Fröhlich
4. Oktober 2020

Während COVID-19 ist die Zahl von Fällen sexualisierter Gewalt und von Frauenmorden in Afrika weiter gestiegen. Öffnet die Pandemie den Regierenden die Augen?

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Symbolbild Vergewaltigung sexuelle Gewalt Afrika
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich habe nicht einmal daran gedacht, mich zu verteidigen, denn er war dreimal stärker als ich." Das sind die Worte der kamerunischen Journalistin Kitty Chrys-Tayl. Geschlechtsspezifische Gewalt (GBV) ist ihr nicht fremd: Oft wurde sie von ihrem Partner geschlagen und gedemütigt.

Die Vereinten Nationen nennen es eine "Schattenpandemie": Gewalt, sexueller Missbrauch und der Mord an Frauen in Afrika und weltweit haben in den vergangenen Monaten zugenommen. Die Gründe dafür lassen sich auch auf die Corona-Pandemie zurückführen. Und während in Afrika weiter Menschen an COVID-19 erkranken, nimmt auch die Zahl der Fälle von GBV zu.

Mehr sexuelle Gewalt während Corona

Liberia registrierte im ersten Halbjahr dieses Jahres einen Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt von 50 Prozent. Zwischen Januar und Juni habe es mehr als 600 gemeldete Vergewaltigungsfälle gegeben - im ganzen Jahr 2018 waren es 803 Fälle.

Nigeria | Protest nach Vergewaltitung
Jüngste Fälle von Missbrauch von Minderjährigen haben in Nigeria zu landesweiten Protesten geführtBild: Kola Sulaimon/AFP/Getty Images

Auch in Nigeria häuften sich die Fälle von sexueller Gewalt während der Ausgangsbeschränkungen: Zwei Fälle im Juni, bei denen junge Frauen vergewaltigt und getötet wurden, schockten das Land. In Kenia berichten lokale Medien von fast 4000 Schülerinnen, die während der Schulschließungen des Lockdowns schwanger wurden - in den meisten Fällen, weil Verwandte oder Polizisten sie mutmaßlich vergewaltigt hatten.

In der Zentralafrikanischen Republik dokumentiert ein Bericht der UN-Mission MINUSCA den Anstieg: Gegenüber dem Vorjahreszeitraum ereigneten sich 27 Prozent mehr Vergewaltigungen; es gab sogar 69 Prozent mehr Fälle, in denen Frauen und Kinder verletzt wurden.

Keine "Schattenpandemie"

"Die Situation war schon vor Corona schlecht für die Frauen, die Pandemie hat nur den Schleier dessen gelüftet, was wir nicht gesehen haben", sagt Jean Paul Murunga von der Frauenrechtsorganisation Equality Now im DW-Interview. "Die Pandemie hilft nun den Regierungen, die Augen für die reale Situation zu öffnen."

Im Mai sagte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa, dass "die Geißel der geschlechtsspezifischen Gewalt unser Land weiterhin heimsucht, während die Männer unseres Landes den Frauen den Krieg erklärten". Nach den neuesten Statistiken der südafrikanischen Polizei wird alle drei Stunden eine Frau ermordet. Die GBV-Kommandozentrale in Südafrika habe besonders während der Abriegelung vom 27. März bis 16. April einen Anstieg von Gewalt gegen Frauen verzeichnet.

Nur Worte und keine Taten

Doch der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt wird bislang recht zaghaft geführt. In Südafrika greift seit Mai ein Nationaler Strategischer Plan, der Themen wie Rechenschaftspflicht, Prävention, Schutz sowie Unterstützung und Heilung aufgreift.

Im nigerianischen Bundesstaat Kaduna können verurteilte Vergewaltiger von unter 14-Jährigen künftig kastriert werden. Nach Protesten haben alle Gouverneure des Landes wegen geschlechtsspezifischer Gewalt den Ausnahmezustand ausgerufen. Und in Malawi hat der Oberste Gerichtshof die Polizei angewiesen, 18 Frauen und Mädchen finanziell zu entschädigen, die in einer Kleinstadt von Beamten vergewaltigt und angegriffen wurden.

Die Kamerunerin Kitty Chrys-Tayl wendet sich mit ihrer Online-Aktion "I Decided to Live" an Entscheidungsträger. "Das Thema Sexismus muss in den Schulen behandelt werden", sagt die Journalistin. "Dafür braucht man politischen Willen. Denn es geht um die Schäden geschlechtsspezifischer Gewalt und die Kultur der Vergewaltigung."

In einigen Ländern haben die Regierungen mittlerweile Gremien geschaffen oder Erklärungen gegen geschlechtsspezifische Gewalt abgegeben. Doch nur selten würden in den Haushalten der Regierung auch Gelder für konkrete Maßnahmen budgetiert.

Untergeordnete Rolle der Frau

Und die Ursache für GBV bleibt unangetastet. "Treibende Faktoren für GBV sind Alkohol und Drogen, aber das Grundproblem ist die geringe Stellung der Frau in der Gesellschaft", erklärt Lesley Ann Foster, Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Masimanyane Women's Rights International in Südafrika. Während der Corona-Pandemie seien Frauen während der Ausgangssperren zudem ihren Partnern schutzlos ausgeliefert. Das Alkoholverbot, das zeitweise in Südafrika bestand, habe zwar zu einer Reduzierung gemeldeter Vergewaltigungsfälle geführt - das könnte jedoch auch mit verschlechterten Meldemöglichkeiten zusammenhängen.

Südafrika Protest gegen Frauengewalt
Südafrika hat eine der höchsten Raten von Gewalt gegen Frauen in der Welt - hier eine Demo 2019Bild: Reuters/S. Hisham

"Die sozialen Normen und Standards sind so schwach, dass Frauen einfach getötet, vergewaltigt, verprügelt und entsorgt werden. Das Land befasst sich nicht gut genug damit und übt nicht genug Druck aus, um auf die Gleichstellung der Geschlechter in diesem Land hinzuwirken", sagt Foster der DW. "Es gibt nicht genug Respekt für die Würde der Frauen, für ihr Leben, für Sicherheit und Schutz."

Patriarchalische Prägung

Dies bestätigt auch der kenianische Frauenrechtler Murunga. "Historisch gesehen sind eine Reihe afrikanischer Länder patriarchalisch geprägt. Frauen und Mädchen wurden lange Zeit als dem männlichen Geschlecht nicht ebenbürtig betrachtet. Daher brauchen Themen, die Frauen und Mädchen betreffen, länger, um auf den Tisch zu kommen."

Das Problem: "Wenn sich eine Regierung aus Männern zusammensetzt, werden sie nur selten Themen, die sie nicht direkt betreffen, Priorität einräumen", so Murunga. Oft stünden Themen wie Infrastruktur, Straßen, Militär und die Anschaffung von Maschinen im Mittelpunkt, "aber nicht die Budgetierung für Gesundheit und Familienplanung".

Solange Regierungen nur aus Männern bestehen, bleibt sexuelle Gewalt gegen Frauen eine "Schattenpandemie". Was es nun bräuchte, so Murunga, sei daher vor allem eines: mehr Frauen in Afrikas Regierungen, die für Afrikas Frauen die Stimme erheben.

Mitarbeit: Nafissa Amadou

Frauen in Südafrika wehren sich

Silja Fröhlich
Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin