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Politik

Gewalt gegen Flüchtlingskinder

24. Dezember 2018

"Save the Children" schlägt Alarm: An der EU-Außengrenze steigt die Gewalt gegen Flüchtlingskinder. Meike Riebau, bei dem Hilfswerk für das Thema Flucht und Migration zuständig, schildert im DW-Gespräch die Hintergründe.

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Kinder Gewalt Symbolbild
Bild: Imago/Imagebroker

DW: Frau Riebau, was passiert mit Flüchtlingskindern an den Außengrenzen der Europäischen Union?

Meike Riebau: Wir sind dieses Jahr genau dieser Frage nachgegangen. In Belgrad haben wir zusammen mit einer Partnerorganisation Kinder befragt, die uns erzählten, was sie erlebt haben. Das sind ziemlich erschütternde Berichte, von den etwa 6300 befragten Kindern haben wir von 1376 Kindern gehört, dass sie sogenannte gewaltsame Zurückweisungen an der Grenze erlebt haben. Diese sind selbst bereits rechtswidrig, hinzu kommt dann noch diese teilweise extreme Gewalt. Das hat auch uns überrascht, dass es eine so große Zahl war. Unter den 1376 Kindern waren 934 Kinder, die von ihren Familien getrennt oder komplett unbegleitet waren.

Welche EU-Außengrenzen sind vor allem betroffen?

Wir haben die Befragungen in Belgrad gemacht, also sprechen wir insbesondere von Kindern, welche die sogenannte Balkanroute auf dem Weg zur Europäischen Union genommen haben. Wir sehen aber auch Gewalt gegen Kinder in Italien. 

Wie sieht diese Gewalt konkret aus?

Wir haben gehört von Angriffen mit Pfefferspray und von Diebstählen: Ganz oft wurden den Kindern Handys weggenommen oder das Geld, das sie dabei hatten, um sich selbst zu versorgen. Es wurden Hunde auf die Kinder gehetzt und uns wurde von physischen Misshandlungen durch Grenzbeamte berichtet. Besonders ein Fall hat uns erschüttert: Ein afghanischer Jugendlicher wurde von der  kroatischen Polizei so heftig geschlagen, dass er bis heute nicht weiß, ob seine Hand gebrochen ist oder nicht. Medizinische Hilfe wurde ihm aber auch verweigert.

Sie sprechen von der kroatischen Polizei. Das heißt, die Gewalt geht häufig von Polizisten aus?

Sicherlich auch. Man muss dabei aber auch berücksichtigen, dass es Aussagen von Kindern sind, für die es keinen Unterschied macht, ob sie Gewalt durch einen Polizisten, einen Soldaten oder einen Grenzschutzbeamten erfahren haben. Es handelt sich aber immer um nationale Beamte.

Dann kann man den Eindruck gewinnen, dass diese Gewalt an Kindern auch politisch legitimiert ist?

Meike Riebau
Meike RiebauBild: Privat

Die Staaten, die eine Außengrenze der Europäischen Union haben, fühlen sich nach wie vor beim Thema Migration allein gelassen von den Ländern, die wie Deutschland keine eigenen Außengrenzen besitzen. Es geht aber um ein europäisches Anliegen, das nicht nur beispielsweise Kroatien betrifft, sondern die gesamte Europäische Union. Wenn wir also eine einheitliche europäische Migrations- und Asylpolitik wollen, mit entsprechenden Standards und Schutzvorschriften, dann können wir diese Länder nicht hängenlassen, sondern müssen sie auch unterstützen beim Personal, bei Trainings, was Menschenrechte angeht und zum Beispiel die europäische Grenzschutzagentur Frontex stärker einsetzen. Es ist völlig klar, dass es das Recht aller Staaten ist, Grenzkontrollen durchzuführen. Aber diese müssen auf eine humane, im Einklang mit den Menschenrechten erforderliche Art und Weise erfolgen - insbesondere bei Kindern.

Das sind ja alles Punkte, die der Europäischen Union schon lange bekannt sind. Aber warum passiert dann so wenig?

Der Trend in der EU geht eindeutig Richtung restriktivere Politik, dass heißt, es geht vor allem darum, Menschen abzuschieben und die Zahl der Ankommenden nach unten zu drücken. Das hat ja auch funktioniert, wir haben jetzt so niedrige Flüchtlingszahlen wie in den vergangenen fünf Jahren nicht mehr. Aber parallel dazu befürchten wir, dass dabei die Europäische Union die Menschenrechte aus den Augen verliert. Das hat natürlich mit dem rechtspopulistischen Ruck zu tun, der durch Europa geht. Die Stimmung gegenüber geflüchteten Personen ist stark ins Negative gekippt. Das macht es schwer, zum einen für diese Menschen zu sprechen und gleichzeitig die menschenrechtlichen Standards einzuhalten.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit so einer Veröffentlichung über die Gewalt gegen Kinder an den EU-Außengrenzen eine Wirkung erzielen können?

Wir haben schon die Erfahrung gemacht, gerade im Gespräch mit europäischen Politikern, dass niemand ein Interesse daran hat, dass die Menschenrechte so massiv verletzt werden. Aber was an diesen Außengrenzen passiert, ist für viele weit weg. Das ist vielleicht geografisch tatsächlich so, aber es ist ein europäisches Problem und deswegen muss auch gemeinsam eine Lösung gefunden werden.

2019 steht vor der Tür. Was wünschen Sie sich für das nächste Jahr, was sind Ihre konkreten Forderungen an die Politik?

Gemeinschaftliche Werte wie Menschen- und Kinderrechte verbinden die Europäische Union und müssen eingehalten werden. Auch und vor allem in diesen politisch etwas raueren Zeiten. Ende Mai ist die Europawahl und da hoffen wir als "Save the Children" natürlich, dass die populistischen Politiker nicht noch weiter die Oberhand gewinnen und die Stimmung verändern. Die Zivilgesellschaft muss auf jeden Fall noch stärker für die Einhaltung der Menschenrechte eintreten. 

Und was kann Deutschland tun?

Deutschland kann als eines der größten und mächtigsten Länder in der Union sehr viel tun. Indem es klar und deutlich macht, dass es für Solidarität steht und für ein gemeinsames Handeln innerhalb der Europäischen Union.

Meike Riebau verantwortet bei der Hilfsorganisation "Save the Children" das Themengebiet Flucht und Migration.

Das Interview führte Oliver Pieper.