Gewinner und Verlierer der WM-Vorrunde
27. Juni 2014Selten hat ein WM-Besuch so viel Spaß gemacht wie in Brasilien. Spannende Spiele, Tore satt: Die Zuschauer kommen am Zuckerhut voll auf ihre Kosten. Die Stadien sind meistens voll, die Stimmung gut - auch auf den Fanfesten in den Städten und an den Stränden. Im Vorfeld wurde oft die Frage gestellt: Kann Brasilien die WM organisieren? Ja, es kann - allerdings haben sich viele der vorher prognostizierten Probleme bewahrheitet. Die Wege zwischen den einzelnen Spielorten sind lang, die Transfers oft mit vielen Hindernissen und Zwischenstopps verbunden. Dafür blieb das befürchtete Chaos durch Massendemonstrationen von aus. Vielleicht auch, weil die brasilianische Polizei an den ersten WM-Tagen schon gegen kleinere Kundgebungen mit großer Härte vorging.
Auf dem Rasen brillieren vor allem die Teams vom Gastgeber-Kontinent und machen die WM fast zu einer Copa America mit Gastmannschaften aus Europa, Asien und Afrika. Nur Ecuador blieb auf der Strecke. Chile und Kolumbien trumpften dagegen groß auf, Brasilien und Argentinien gaben sich fast keine Blöße und auch Uruguay erfüllte die Erwartungen. Und auch drei von vier Vertretern aus Nord- und Mittelamerika sind noch im Rennen. Die deutsche Mannschaft hat eine solide Vorrunde gespielt, wusste allerdings außer beim furiosen WM-Auftakt gegen Portugal nicht zu begeistern. Trotzdem hat die Elf von Joachim Löw ihre Ziele erreicht: Zwei Siege, ein Unentschieden, sieben Punkte, Gruppenerster - eine gute Ausbeute.
Mit Ausnahme des blass gebliebenen Cristiano Ronaldo war auf die Ausnahmekünstler in Brasilien Verlass: Lionel Messi, Neymar, Arjen Robben, Thomas Müller und Karim Benzema - sie alle präsentieren sich beim Höhepunkt der Saison in Topform. Der heimliche Star der Vorrunde trägt aber Schlips und Kragen. Mexikos nur 1,68 Meter großer Coach Miguel Herrera feierte und gestikulierte sich mit seinen emotionalen Auftritten an der Seitenlinie in die Herzen der Fans in aller Welt. Deutschlands Stürmer Miroslav Klose trug sich in die Geschichtsbücher ein. Von vielen bereits abgeschrieben, war der Stürmer nach seiner Einwechslung im Spiel gegen Ghana sofort zur Stelle. Mit seinem 15. WM-Tor stellte Klose den WM-Rekord von Ronaldo ein. Außerdem: Bei vier WM-Turnieren trafen neben Klose bislang nur Uwe Seeler und der große Pele.
Torlinientechnik funktioniert, ist aber kein Allheilmittel
Zum ersten Mal stehen die Schiedsrichter bei einer WM nicht mehr alleine da, sondern bekommen technische Hilfe in Form der Torlinientechnik. Bei Frankreich gegen Honduras wurde sie gebraucht - und funktionierte. Vor allem bei den deutschen Erfindern bei der Firma GoalControl war die Freude danach groß. Bewährt hat sich auch der Einsatz des Freistoßlinien-Sprays. Weil die Unparteiischen den korrekten Abstand von 9,15 Metern nun einfach per gesprühter Schaumlinie auf dem Rasen markieren können, halten ihn die Spieler in der Freistoßmauer auch tatsächlich ein.
Allerdings zeigte sich in der WM-Vorrunde auch, dass eine funktionierende Torlinientechnik nicht ausreicht, um jede Fehlentscheidung auf dem Rasen zu vermeiden. Die Schiedsrichter ließen sehr viel laufen und bestraften harte Fouls oft noch nicht einmal mit einer Gelben Karte. Auch bei spielentscheidenden Situationen lagen die Referees viel zu oft daneben. Es begann im Eröffnungsspiel mit einem Elfmetergeschenk an Gastgeber Brasilien, setzte sich fort mit zwei nicht gegebenen Toren für Mexiko gegen Kamerun und bei etlichen strittigen Elfmetersituationen und einigen nicht geahndeten Ellenbogenchecks sowie dem Biss des Uruguayers Luis Suarez in die Schulter seines italienischen Gegenspielers.
Bissiger Suarez, viel Schatten bei den Afrikanern
Der Torjäger des FC Liverpool ist mit seiner Beißattacke und der Sperre von neun Spielen und vier Monaten einer der großen Verlierer der WM-Vorrunde. Außerdem mussten mit Spanien, Italien und England drei ehemalige Weltmeister kleinlaut und mit gesenkten Köpfen vorzeitig abreisen. Besonders das sang- und klanglose Aus des Titelverteidigers aus Spanien und das der Italiener überraschte. England bezahlte dagegen die Rechnung für Versäumnisse in der Jugendarbeit und für die Dominanz der ausländischen Stars in der heimischen Premier League. Auch Asien, immerhin der größte Wachstumsmarkt in Sachen Fußball, enttäuschte. Keines der Teams, weder Japan noch Südkorea oder der Iran, konnte überzeugen.
Aus Afrika kamen dagegen erstmals zwei Teams eine Runde weiter, doch auch die Negativschlagzeilen gehörten den Mannschaften vom schwarzen Kontinent. Bei Nigeria und Ghana stritt man wieder einmal um Prämien und drohte mit Trainings- und Spielboykott. Ghana warf außerdem Schalkes Kevin-Prince Boateng und Sulley Muntari aus dem Kader. Boateng soll den Trainer "vulgär beleidigt" haben, Muntari gegen einen Offiziellen sogar handgreiflich geworden sein. Kamerun war wegen fehlender Einigung über die Höhe der Prämien schon verspätet angereist. Auf dem Platz boten die "unbezähmbaren Löwen" dann ein desolates Bild. Null Punkte, 1:9 Tore, und beim abschließenden Spiel gegen Brasilien gingen sich die Spieler während des Spiels gegenseitig an die Wäsche. Es bleibt zu hoffen, dass Nigeria und Algerien in der K.o.-Runde wieder ausschließlich für sportliche und positivere Schlagzeilen sorgen. Die Qualität dazu haben die Teams - auch wenn ein WM-Titel für eine afrikanische Mannschaft wohl noch in weiter Ferne liegt.