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Hitler-Attentat

Das Interview führte Stefan Dege18. Juli 2007

Philipp Freiherr von Boeselager ist der letzte noch lebende Verschwörer des Hitler-Attentats am 20. Juli 1944. Im DW-WORLD.DE-Interview spricht er über Widerstand, Gewissen und Tom Cruise.

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Philipp Freiherr von Boeselager, der letzten noch lebenden Widerständler des 20. Juli 1944 (mißglücktes Stauffenberg-Attentat auf Hitler), Quelle: DW
Boeselager: "Mord ist Mord"Bild: DW/Stefan Dege

DW-WORLD.DE: Freiherr von Boeselager, wie würden Sie Ihre Haltung gegenüber dem Staat beschreiben?

Philipp Freiherr von Boeselager: Ich beobachte, soweit ich das noch kann, sehr kritisch, was überall passiert. Und wenn ich meine, dass es eine Fehlentwicklung gibt, dann nehme ich dazu Stellung, denn ich bin ein freier, unabhängiger Mann. Und diese Freiheit und Unabhängigkeit waren es ja auch, für die Stauffenberg und wir alle uns damals eingesetzt haben: Dass jeder seine Meinung offen sagen kann und soll, wenn er denkt: Es läuft nicht so, wie es laufen soll.

Und das schließt auch die Bereitschaft zum Widerstand ein?

Ja, wenn etwas falsch und vor allem gegen mein Gewissen läuft, dann muss ich bereit sein, dem zu widerstehen. Zuerst vielleicht mit einem kleinen Artikel, wenn es eine harmlose Sache ist. Und wenn es ernst wird, gilt nicht mehr das preußische "Befehl ist Befehl". Im Ernstfall gilt: Gewissen geht vor Gehorsam. Natürlich sollte das ein christlich geprägtes und nicht irgendein beliebiges Gewissen sein. Aber wenn ich etwas tun soll, das meinem Gewissen zuwider läuft, dann muss ich mich wehren. Da muss ich Widerstand leisten!

Wie kamen Sie genau zum Widerstand?

Für mich wurde Widerstand relevant und ich habe mich dazu entschlossen, als ich von den Verbrechen Hitlers hörte. Ab 1942 war ich im Stab der Heeresgruppe Mitte und habe dort persönlich von SS-Führern erfahren, dass sie Juden und Zigeuner beliebig umbringen. Bis dato dachte ich, das seien Gerüchte oder Einzelfälle, aber dann hörte ich zum ersten Mal von einem SS-Führer: "Wir bringen alle Juden und Zigeuner um". Ich war nicht Offizier geworden, um das zu decken. Das hat mich zum Widerstand gebracht: Dass mein Vaterland, was ich liebte, verknüpft wurde mit Verbrechen im ganz großen Stil, denn es wurden ja Millionen umgebracht. Und als General von Treskow mich eines Tages fragte: "Machste mit? Wir müssen den Kerl umbringen!" - da blieb mir nichts anderes übrig, als Ja zu sagen. Ich habe das ungern getan, weil ich wusste, welche Konsequenzen das hatte. Ich war keiner, der sich gern erschießen oder aufhängen lässt – wie wohl jedermann. Ich habe dann auch eine Weile sehr schlecht darüber geschlafen, aber es blieb mir nichts anders übrig, wenn ich halbwegs gut schlafen wollte, als zu sagen: "Jawohl ich mache mit!"

Der US-Schauspieler Tom Cruise, links, und Claus Schenk Graf von Stauffenberg, dessen Bombenanschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 misslungen war. (Quelle: AP)
Cruise als Stauffenberg?Bild: AP

Von kritischen Zweifeln bis hin zu einer Verschwörung ist es ein weiter Weg: Wann begann es, tatsächlich eine Verschwörung zu sein?

Bei mir steigerte sich langsam das Unbehagen gegenüber den Nazis und die Gewissheit, dass Hitler und alle anderen Verbrecher waren, abgesehen davon, dass sie dafür sorgen würden, dass wir den Krieg verlieren würden. Das war schon 1942 klar. Normalerweise sollte der Krieg zu Ende sein, wenn er verloren ist. Wenn er trotzdem fortgeführt wird, ist jeder weitere Tag ein Verbrechen: Man opfert Menschen, ohne dass man dadurch noch ein anderes Kriegsziel erreichen könnte. Da das nicht der Fall war, blieb uns nichts anderes übrig, als Hitler umzubringen. Das war natürlich ein langer, schwieriger Prozess, denn Mord ist Mord. Das war mir auch völlig klar. Ich sollte mich zuerst an einem Pistolen-Attentat beteiligen, was im letzten Moment dann abgesagt wurde. Und hinterher habe ich den Sprengstoff besorgt für das Attentat. Und ich bin dann mit meiner Einheit nach Berlin geritten, um nach dem geglückten Attentat die Stadt für neue Regierung zu sichern. Das fiel mir nicht leicht, weil ich wusste genau, dass höchstwahrscheinlich das Attentat scheitern würde. Und wenn das Attentat geglückt wäre, hätte die deutsche Westfront sofort kapituliert. Und dann wären trotzdem die Menschen aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern genauso evakuiert worden - so, wie es jetzt ist. Und die hätten gesagt: Wenn der Hitler noch lebte, dann säßen wir heute noch in Ostpreußen, denn sie vertrauten Hitler. Sie hätten uns umgebracht, weil wir ihnen die Heimat geraubt hätten. Das Attentat wäre die berühmte Dolchstoßlegende geworden. Wäre also das Attentat geglückt, wären wir von den Deutschen umgebracht worden, wenn nicht, hätten uns die Nazis erwischt. Also es waren keine sehr schönen Aussichten, darüber waren wir uns vollkommen klar. Und trotzdem: Um die Verbrechen zu stoppen, mussten wir das machen. Ganz egal.

Derzeit wird über die Verfilmung des Attentats gestritten, unter anderem, weil Tom Cruise als bekennender Scientologe die Hauptrolle des Stauffenberg spielen soll. Wie sehen Sie das?

Tom Cruise ist, soweit ich das gehört habe, einer der berühmtesten Schauspieler der Welt. Wenn er den Film spielt, wird der Widerstand erst mal in Amerika, überhaupt in den englischsprachigen Ländern publik. Die haben früher Bücher über den Widerstand verboten. Es durfte keinen Widerstand in Deutschland geben. Wenn Cruise natürlich den Film und die Rolle Stauffenbergs benutzen würde, um Propaganda zu machen für seine Gemeinschaft, dann ist das abzulehnen. Diese Gemeinschaft will ja offenbar auf autoritärem Wege ein Herrenmenschentum erschaffen und verfolgt Ziele, die teilweise denen der Nazis ähneln: Also genau das Gegenteil von dem, wofür Stauffenberg gestorben ist. Das ist natürlich grotesk.

Boeselager, geboren 1917, war schon 1943 an einem versuchten Attentat auf Hitler beteiligt. Hitler sollte beim Flug nach einem Besuch an der Ostfront getötet werden. Das Attentat scheiterte, weil die Zünder der Bomben im russischen Frost eingefroren waren. Am 20. Juli 1944 kommandierte Boeselager eine Kavallerieeinheit, die nach dem Attentat Berlin besetzen helfen sollte. Als er vom Scheitern des Anschlages auf Hitler erfuhr, ließ er sofort kehrtmachen, um wieder zu den alten Stellungen zurückzukehren und unbemerkt zu bleiben. Er überlebte, weil alle Mitverschwörer schwiegen.