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Alte Medikamente gegen das neue Virus?

7. Januar 2021

Remdesivir, Avigan, Chloroquin, Ivermectin - parallel zur Impfstoff-Entwicklung prüfen Ärzte weltweit, ob bereits vorhandene Wirkstoffe auch gegen SARS-CoV-2 helfen können. Das spart wertvolle Zeit und kann Leben retten.

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Ein Arzt mit verschiedenen Tablettenpackungen
Bild: Getty Images/AFP/G. Julien

Vielleicht muss ja gar kein neues Medikament gegen das neuartige Coronavirus SARS CoV-2 gefunden werden. Möglicherweise helfen auch bereits vorhandene Wirkstoffe gegen den COVID-19-Erreger.

Der Vorteil des "Repurposing" genannten Verfahrens ist offenkundig, denn bereits zugelassene oder entwickelte Medikamente umzufunktionieren, ist nicht nur günstiger, sondern vor allem viel schneller, weil man die langwierigen klinischen Testphasen abkürzen kann.

Welcher Wirkstoff oder welches Medikament auch immer am Ende am sinnvollsten gegen das neue Coronavirus eingesetzt wird: Zunächst müssen die nötigen Tests und Entscheidungen der Arzneimittelbehörden abgewartet werden.

Eindringlich warnen alle Experten vor möglichen Nebenwirkungen, erst recht bei einer Selbstmedikation ohne Abstimmung mit einem Arzt! 

Drei verschiedene Medikamenten-Gruppen

Vor allem drei Medikamenten-Gruppen werden auf die Wirksamkeit gegen das neue Coronavirus SARS-CoV-2 untersucht: 

Antivirale Medikamente sollen die Vermehrung der Viren blockieren oder verhindern, dass sie in Lungenzellen eindringen. Antivirale Medikamente wurden zum Beispiel gegen die normale Influenza-Grippe, gegen Hepatitis C, aber auch gegen HIV, Ebola und vor allem gegen die beiden ebenfalls durch Coronaviren hervorgerufenen Krankheiten SARS oder MERS entwickelt. Geprüft wurden auch altbekannte Malaria-Medikamente, deren Wirksamkeit gegen Viren erst vor kurzem entdeckt wurde. 

Immunmodulatoren sollen die Abwehrreaktionen des Körpers so begrenzen, dass das Immunsystem nicht überreagiert und den Körper zusätzlich lebensbedrohlich schädigt. Entwickelt wurden diese Immunmodulatoren zum Beispiel für die Behandlung von Arthritis oder entzündlichen Darmerkrankungen. 

Medikamente zum Schutz der Lunge sollen verhindern, dass die Lunge das Blut nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Entwickelt wurden die Medikamente zum Beispiel gegen die oftmals tödlich endende idiopathische Lungenfibrose, bei der die krankhafte Vermehrung des Bindegewebes zwischen den Lungenbläschen und den sie umgebenden Blutgefäßen für eine Versteifung der Lunge führt. 

Krankenhaus | Patient auf Intensivstation Duisburg
Viele COVID-19-Patienten müssen künstlich beatmet werdenBild: Imago Images/teamwork/W. Krper

Wirkstoffe gegen SARS, MERS, Ebola, Influenza 

Naheliegend ist natürlich, antivirale Medikamente umzuwidmen, die bereits gegen andere Coronaviren gewirkt haben. Schließlich werden sowohl das Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS) als auch das Middle East Respiratory Syndrome (MERS) von Coronaviren verursacht. Und der neue Erreger SARS-CoV-2 gilt als Variante des SARS-Erregers von 2002.

Im Labor zeigte der ursprünglich gegen Ebola-Infektionen entwickelte Wirkstoff Remdesivir auch bei SARS- und MERS-Coronaviren Wirkung. Allerdings konnte das vom US-Pharmaunternehmen Gilead Sciences entwickelte Remdesivir in klinischen Studien nicht völlig überzeugen. In der Studie ACTT-1 des US-National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) wurde zwar die Erkrankungszeit verkürzt, ein Rückgang der Mortalität war jedoch nicht sicher nachweisbar. Deshalb wird Remdesivir jetzt vor allem in der Frühphase der Erkrankung eingesetzt, wenn die Virusreplikation im Vordergrund steht. 

Für einen regelrechten Hype zunächst in Asien und dann weltweit sorgte das japanische Grippemittel Avigan, das den bereits seit 2014 in Japan und jetzt auch in China zugelassenen Wirkstoff Favilavir enthält. Entwickelt wurde es von der Pharmasparte der Fujifilm Holding in Japan. Dieses Virostatikum wird eigentlich gegen Influenza eingesetzt, weil es die virale RNA-Polymerase hemmt und wie Remdesivir gegen verschiedene RNA-Viren wirken soll. 2014 wurde es erfolgreich gegen Ebola eingesetzt. 2016 lieferte die japanische Regierung Favipiravir als Nothilfe zur Bekämpfung der Ebola-Seuche nach Guinea. 

Nach aktuellem Stand kann das Medikament die Zeit der Erkrankung verkürzen, es hat allerdings sehr starke Nebenwirkungen.

Infografik Die Kurve flacht ab DE

Als vermeintliches Corona-Wundermittel wird auch Ivermectin gehandelt - vor allem in Lateinamerika, denn das Medikament zur Behandlung von parasitären Erkrankungen bei Tieren und bei Menschen ist günstig und rezeptfrei verkäuflich. Eingesetzt wird es eigentlich etwa bei Krätze (Skabies) oder bei Wurmerkrankungen. Die Effekte beruhen auf der Bindung an Chloridkanäle, was zur Lähmung und zum Tod etwa der Krätzmilben und Fadenwürmer führt. 

Nachdem aber australische Forscher im Juni 2020 im Fachjournal “Antiviral Research“ berichtet hatten, dass Ivermectin in einer präklinische In-Vitro-Studie, also unter Laborbedingungen, beim Coronavirus SARS-CoV-2 die Viruslast signifikant reduziere, begann ein wahre Hysterie um das Medikament. 

Ein wirklich belastbarer Nachweis der Wirksamkeit steht allerdings weiter aus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA raten vom Ivermectin-Einsatz zur COVID-19 Behandlung ab und warnen vor Nebenwirkungen. Weitere Tests seien erforderlich, um festzustellen, ob Ivermectin zur Vorbeugung oder Behandlung von Coronavirus oder COVID-19 geeignet sein könnte.

Auch die südafrikanischen Arzneimittelbehörde SAHPRA riet Ende Dezember 2020 vom Einsatz ab: Es gäbe noch keine bestätigenden Daten zu Ivermectin für den Einsatz bei der Behandlung von COVID-19-Infektionen. In Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit gäbe es keine Beweise, die den Einsatz von Ivermectin unterstützen, und wir haben keine klinischen Studien, die den Einsatz rechtfertigen. 

Wirkstoffe gegen Malaria

Für große Aufregung sorgte auch das altbekannte Malaria-Medikament Resochin, nachdem sich US-Präsident Donald Trump für den Einsatz von Chloroquin bei der Behandlung von COVID-19-Erkrankten ausgesprochen hatte. 

Bei Tests in Marseille sollte der Wirkstoff Chloroquin an Zellkulturen eine Hemmung der Vermehrung des neuartigen Coronavirus gezeigt haben, wodurch bei schwereren Krankheitsverläufen die Viruslast der Patienten gesenkt werde. Der Wirkstoff könne deshalb auch antiviral eingesetzt werden, so die Mediziner.

USA Davenport | Coronavirus | Medikament Hydroxychloroquin
Der Hype war unnötig, Chloroquin eignet sich als antivirales Mittel gegen den COVID-19-ErregerBild: picture-alliance/Zuma/Quad-City Times/K.E. Schmidt

Geprüft wurden daraufhin auch andere Malaria-Medikamente mit dem ähnlichen Wirkstoff Hydroxychloroquin. Inzwischen haben aber mehrere Studien gezeigt, dass diese Wirkstoffe nicht gegen SARS-CoV-2 helfen Die im Fachmagazin "Nature" publizierten Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) in Göttingen, der Berliner Charité und des Universitätsklinikums in Bonn zeigen, dass Chloroquin kein geeignetes Medikament zur Behandlung einer Infektion mit SARS-CoV-2 ist, es wirkt schlicht nicht. 
 

Wirkstoffe gegen HIV, Krebs, Multiple Sklerose, Asthma etc.

Große Hoffnungen knüpfen sich auch an ein HIV-Medikament mit der Wirkstoffkombination Lopinavir/Ritonavir. Das entsprechende Medikament Kaletra des US-Pharmakonzerns AbbVie wurde bereits in China, Thailand und Singapur versuchsweise als COVID-19-Therapeutikum eingesetzt. Die Ergebnisse sind allerdings nicht eindeutig, weitere Studien müssen folgen.

Laut dem Verband der forschenden Pharmaunternehmen werden zudem diverse Antikörper und Immuntherapeutika auf ihre Wirksamkeit gegen das neue Coronavirus geprüft. Zu den bereits zugelassenen oder experimentellen Wirkstoffen gehören der ursprünglich gegen HIV und tripel-negativen Brustkrebs entwickelte Antikörper Leronlimab von CytoDyn, zwei ursprünglich gegen MERS entwickelte Antikörper von Regeneron und der Wirkstoff Brilacidin von Innovation Pharmaceuticals, der eigentlich zur Therapie entzündlicher Darmerkrankungen und Entzündungen der Mundschleimhaut gedacht war.

Daneben gibt es aber noch eine Vielzahl in der Entwicklung befindlicher oder bereits zugelassener Wirkstoffe etwa gegen Grippe, Multiple Sklerose (MS), Brustkrebs, Arthritis, Asthma, Entzündungen der Bauchspeicheldrüse oder Hepatitis. Sie werden jetzt ebenfalls auf eine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 getestet. 

Bereist eingesetzt wird der Entzündungshemmer Dexamethason.  Studien haben gezeigt, dass dieses Corticosteroid die Sterblichkeit von schwer erkrankten Patienten, die auf Sauerstoffgabe angewiesen sind, um etwa ein Drittel senken kann.  

In China wurde das MS-Medikament Fingolimod von Novartis und das Krebsmedikament Bevacizumab bei COVID-19-Patienten mit akuten Lungenproblemen eingesetzt. Ebenfalls bei Lungenschäden durch den SARS-CoV-2-Erreger soll der Antikörper Tocilizumab von Roche helfen, der normalerweise bei rheumatoider Arthritis und anderen Arthritis-Formen eingesetzt wird. 

Klinische Studien mit dem Wirkstoff Camostat Mesilat plant auch ein deutsches Konsortium unter Führung des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen. Dieser in Japan gegen Bauchspeicheldrüsenentzündung zugelassene Wirkstoff hemmt nämlich ein Enzym von Lungenzellen, das für das Eindringen der SARS-CoV-2-Viren essenziell ist. 

Dieser Artikel wurde mehrfach aktualisiert, zuletzt am 7. Januar 2021. 

 

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund