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Glasdecke adé: Frauen in Führungspositionen

26. Oktober 2019

Lagarde, Georgieva, Duflo, Morgan: Wissen Sie, was diese Frauen gemeinsam haben? Alle Vier haben sich Top-Positionen erarbeitet, vor denen man(n) nur Respekt haben kann. Ist das der Wendepunkt?

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Gläserne Aussichtsplatform eines Hochhauses
Bild: Getty Images/AFP/R. Gacad

Christine Lagarde soll schon bald die erste weibliche Präsidentin der Europäischen Zentralbank werden und Mario Draghi ersetzen.

Die bulgarische Ökonomin Kristalina Georgieva übernimmt Lagardes Job als Direktorin des Internationalen Währungsfonds IWF.

Esther Duflo erhält den Wirtschafts-Nobelpreis für ihre Forschung zur Armutsbekämpfung. Damit ist Duflo übrigens die zweite Frau, die jemals den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen hat. 

Und dann wäre da noch Jennifer Morgan, neue SAP-Chefin und damit die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns. Der Softwarekonzern gilt als wertvollstes deutsches Unternehmen.

Wenn das mal nicht geballte Frauen-Power ist, die sich da im letzten Vierteljahr in der Führungsriege eingefunden hat.

Keine Selbstverständlichkeit.

Die Jugendstilkuppel im Pariser Printemps Department Store Restaurant von innen
Die Glasdecke: Metapher für eine unsichtbare Barriere in die FührungsriegeBild: picture-alliance/dpa/imageBROKER

"Der Wechsel bei SAP ist ein lange erwarteter, aber auch überfälliger Meilenstein", so Wiebke Ankersen von der AllBright Stiftung zur DW. Die gemeinnützige deutsch-schwedische Stiftung setzt sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft ein. "Das war höchste Zeit und ist ein wichtiger Punkt mit Signalwirkung."

Die gläserne Decke

Denn eigentlich heißt es in den oberen Führungsetagen meist: Men only. Am 1. September 2019 lag der Männeranteil in den Vorständen von 160 börsennotierten deutschen Unternehmen bei rund 90 Prozent. Kaum besser sieht es bei den 30 größten Konzernen aus, die den Börsenindex DAX bilden: Hier liegt der Männeranteil bei rund 85 Prozent, heißt es in dem Herbstbericht der AllBright Stiftung.

Das Phänomen, wonach qualifizierte Frauen kaum in Top-Positionen in Unternehmen oder Organisationen aufsteigen, hat einen Namen: Glasdecke oder auch "glass ceiling effect" - eine Metapher für die unsichtbare Barriere, die Frauen den Weg in die oberen Chefetagen verwehrt. 

Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen
Claudia Große-Leege vom Unternehmerinnen-VerbandBild: picture-alliance/EuropaNewswire/L. Rampelotto

Doch könnte mit den aktuellen Bewegungen in der Führungsriege die Glasdecke durchbrochen worden sein?

"Das glaube ich nicht", sagt Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU), im DW-Gespräch. "Es mag einige Risse in der Glasdecke geben, aber tatsächlich geht es da eher im Schneckentempo voran."

Zwar gebe es in der Öffentlichkeit ein großes Bewusstsein dafür, wenn Frauen an die Spitze kommen. Doch wenn es mit der Karriere mal nicht so gut läuft, werde gesagt, es liege daran, dass es eben Frauen sind. "Ein Aufstieg muss genauso normal werden wie ein Abstieg", fordert Große-Leege.

Gleichberechtigung im Job: Wo stehen wir heute? 

Dabei sprechen wir schon so lange von der Gleichstellung von Frauen und Männern - in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur. "Bisher hat sich noch nicht viel geändert, jedenfalls nicht in Deutschland", sagt Große-Leege in Hinblick auf den Frauenanteil auf der Führungsebene. 

International sehe das anders aus. "In den USA gibt es viel mehr Frauen in den Führungsgremien", so die VdU-Geschäftsführerin.

Infografik Internationaler Vergleich: Frauen in den Chefetagen DE
Frauenanteil in den Vorständen der jeweils 30 größten Unternehmen im nationalen Leitindex

Staatliche Quote schafft Tatsachen, aber löst keine Probleme

Dabei gibt es in Deutschland sogar eine staatlich festgelegte Quote. Am 1. Januar 2016 ist das "Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen" in Kraft getreten.

Danach mussten börsennotierte, voll mitbestimmungspflichtige Unternehmen bei der Neubesetzung ihres Aufsichtsrates sicherstellen, dass mindestens 30 Prozent der Posten von Frauen besetzt werden. Würde dieser Anteil nicht erreicht, bleiben die Stühle unbesetzt. 

Dieser Schachzug hat funktioniert: In 2019 ist der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien der größten öffentlichen Unternehmen erstmals knapp über die 30-Prozent-Marke (30,8) gestiegen, so die neuesten Zahlen des Public Women-on-Board-Index . 

Zwei Geschäftsmänner und eine Frau sitzen auf Höckern, nur die Beine sind zu sehen.
Der Frauenanteil in deutschen Aufsichtsräten ist 2019 erstmals über die 30-Prozent-Marke gestiegenBild: picture-alliance/dpa/Bildfunk/R. Vennenbernd

Doch diese 30-Prozent-Regel gilt für Aufsichtsräte, eine vergleichbare Quote für Vorstände gibt es nicht.

Anderswo geht's auch ohne Quoten

"Natürlich sollte es mehr Frauen in den Vorständen geben", sagt Große-Leege. "Aber ich komme selbst aus der Wirtschaft, und wir sprechen uns nicht für feste Quoten in den Vorständen aus." 

Dr. Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der AllBright Stiftung
Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der AllBright StiftungBild: AllBright Stiftung

Auch Wiebke Ankersen von der AllBright Stiftung sieht die staatliche Quote zweischneidig: "Sie ist gut, um Tatsachen zu schaffen." In den Aufsichtsräten habe die Quote gezeigt, dass die Frauen da sind, dass man sie nur finden und berufen müsse. "Aber eine staatliche Quote schafft es nicht, an die Ursachen des Problems ranzugehen", fährt Ankersen fort.

Dies liege vor allem an der Unternehmenskultur, in der Frauen heute nicht bis an die Spitze durchkommen. "Die gesetzliche Quote hat hier eher zu einer Abwehrhaltung geführt, aber nicht zum Umdenken." Die Quote bearbeite die Symptome, aber sie gehe nicht an die Ursachen.

Unternehmen denken um

Der Clou: "Die Länder, in denen sehr viel mehr Frauen in Führungspositionen sind - allen voran die USA, aber auch Schweden - haben keine Quoten", weiß Wiebke Ankersen. Der große Unterschied sei, dass bei den Unternehmen ein Umdenken eingesetzt habe. "Sie haben begriffen, dass Diversität in den oberen Führungsteams wichtig für die Weiterentwicklung des Unternehmens ist."

Dafür gebe es verschiedene Gründe: Es sei profitabler, das haben Studien gezeigt. Zudem ziehe es junge Talente an und werde auch von der Öffentlichkeit eingefordert.

Achtung, Einsicht! 

Auch in Deutschland kommen die Unternehmensführer langsam an diesen Punkt, glaubt Ankersen. "Ambitionierte Großunternehmen wie SAP setzen immer selbstverständlicher auf Frauen und gleichzeitig werden Chancengleichheit und Vielfalt in der Führung stärker eingefordert als je zuvor." 

Das "Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen" leistet hier einen Beitrag. Denn es legt nicht nur die schon erwähnte 30-Prozent-Quote für Neubesetzungen im Aufsichtsrat fest, sondern verpflichtet Firmen auch, sich Ziele zu setzen. 

Neben den großen DAX-Konzernen müssen rund 3500 Unternehmen Zielgrößen für die Steigerung des Frauenanteils in ihren Vorständen veröffentlichen, aktuell für den Zeitraum bis 2022. Flexible Quoten sozusagen. Äußerst flexibel.

Denn werden die Ziele verfehlt, hat dies keine Konsequenzen. Und auch "Zielgröße Null" ist - Sinnhaftigkeit hin oder her - eine Option ohne Folgen. Laut AllBright-Bericht formulieren derzeit 58 von 160 untersuchten börsennotierten Unternehmen dieses Ziel der Nullnummer.

Dazu gehörten lange auch der deutsche Online-Versandhändler Zalando und das Karrierenetzwerk XING. 

"Das hat zu einem großen Shitstorm geführt, sodass beide Unternehmen gezwungen waren, umzudenken", sagt Ankersen.

XING hat nun zum 1. Januar 2020 eine Frau in den Vorstand bestellt. Und Zalando hat zumindest eine Pressemitteilung veröffentlicht: Bis Ende 2023 soll der Anteil von Frauen bzw. Männern auf den oberen sechs Managementebenen bei mindestens 40 Prozent liegen. 

Leeres Büro von Zalando
Frauen im Zalando-Vorstand? Fehlanzeige. Doch das soll sich bald ändern. Bild: Zalando

Der Online-Versandhändler gibt zu, in den letzten elf Jahren nicht genug unternommen zu haben, um dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken.

"Kein Zufall" 

"Uns ist bewusst, dass es unseren Führungsteams an Diversität fehlt und wir arbeiten intensiv daran, das zu ändern", heißt es von Zalando Co-CEO Rubin Ritter. "Wir sind überzeugt, dass nur eine vielfältige und inklusive Kultur dafür sorgt, dass wir die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und unseren Kundinnen und Kunden den besten Service bieten können."

"Das ist neu, dass Kunden, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit Chancengleichheit für Frauen in den Unternehmen einforderen - und das mit Erfolg", sagt Wiebke Ankersen. Das sei eine deutliche Klimaveränderung und kein Zufall. "Ich denke, das wird so weitergehen."

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.