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Glaube, Liebe und Hoffnung in der Frauenkirche

Rick Fulker25. Oktober 2015

Zum zehnjährigen Jubiläum der Wiedereinweihung der Dresdner Frauenkirche feierte ein Werk Wolfgang Rihms seine europäische Erstaufführung. Es beschwört den Gemeinschaftssinn - gegen die dunklen Schatten über der Stadt.

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Orpheus Chamber Orchestra und den Solisten Mira Wang (Violine) und Jan Vogler (Violincello) in der Frauenkirche in Dresden
Bild: picture-alliance/dpa/O. Killig/Dresdner Musikfestspiele

Der Dresdner Neumarkt: Sehr zum Vergnügen der Kinder kreiert ein Artist überdimensionale Seifenblasen. Eine steigt vor der Frauenkirche hoch, bis man meint, sie werde gleich von der Turmspitze durchstochen. Dieser Bilderbuch-Nachmittag in einer der schönsten Städte Deutschlands steht in denkbar großem Kontrast zu den Bildern, die die Nation in jüngster Zeit beschäftigen: Es sind Bilder von den Pegida-Montagsdemonstrationen, in denen Hassparolen gegen Fremde im Land geschwungen werden.

Ein Thema, das auch das Jubiläumsfest in der Frauenkirche überschattet. Das Gotteshaus sei ein einzigartiges Symbol für Frieden und Versöhnung, betont der Pastor bei der Orgelandacht und fährt fort: "Ähnlich wie damals im Krieg, erleben wir in der Stadt jetzt wieder eine gefährdete Zeit, eine Zeit des Umbruchs."

Das Fest und das "Schwimmfest"
Zehn Jahre sind seit der Wiedereinweihung der Frauenkirche am 31. Oktober 2005 vergangen, und so wird das Jubiläumsfest denn auch mit einem zehntägigen Kirchweihfest begangen. Es erinnert an die Bürgerinitiative von 1990, an die ehrenamtlichen Helfer und an die Spenden, die zum großen Teil aus dem Ausland kamen und die Restaurierung der Frauenkirche ermöglichten. Das ist wohl auch ein Grund, dass ein US-amerikanisches Orchester anreiste, um die europäische Erstaufführung eines Werks von Wolfgang Rihm, Deutschlands bekanntestem lebendem Komponisten, aufzuführen. Das Gastspiel des Orpheus Chamber Orchestra baut Brücken und zeigt die internationale Verbundenheit zur Frauenkirche über Kontinente hinweg. Das Programm, das Bezug auf Dresdens Musikgeschichte nimmt, kommt daher gleich auf drei Erdteilen zu Gehör: Premiere in der New Yorker Carnegie Hall, dann der Aufritt in Dresden und Ende Oktober in Singapur.

Jan Vogler, Wolfgang Rihm und Mira Wang beugen sich über eine Partitur
Jan Vogler, Wolfgang Rihm und Mira Wang besprechen nach der Probe das neue WerkBild: DW/R. Fulcker

Am Nachmittag sitzt der Komponist in der Kirche vor seiner Partitur und lauscht der Probe. "Ein Schwimmfest", sagt Rihm nachher besorgt und meint damit die Auswirkung der Akustik im steinernen Innenraum unterhalb der 12.000 Tonnen-Kuppel. Sieben Sekunden Nachhall zählt er. Hoffentlich wird später die Abendgarderobe der Gäste einige der herumirrenden Schallwellen schlucken.

"Der Wille, gemeinsam etwas zu erreichen"

Ob er in seine neue Komposition eine Botschaft eingearbeitet habe, wollte Cellist Jan Vogler im Vorfeld von Rihm wissen. Und ob er ein Doppelkonzert für ihn und seine Frau, die Violinistin Mira Wang, schreiben wollte, die beim Konzert beide als Solisten auftreten sollten. "Ich habe keine symphonische Dichtung über die Frauenkirche, ihre Architektur und ihre Geschichte komponiert", so die Antwort des Komponisten. Dennoch, so fährt der Tonschöpfer fort: "Man schreibt etwas, wo sich zwei Stimmen nach und nach zu einer Einheit verbinden. Es steht für den Willen, etwas gemeinsam zu erreichen. Und vielleicht hilft dieser Wille auch, die Verwirrungen, die sich zurzeit um diese Architektur herum bei bestimmten Demonstrationen abspielen, etwas zu entwirren."

Dresden Pegida Demonstration
Pegida-Demonstranten lassen sich wohl kaum durch Musik beschwichtigenBild: Reuters/H. Hanschke

Die "schweigende Mehrheit", die auf fremdenfeindlichen Pegida-Demos zunehmend lauter wird, ist mit musikalischen Botschaften von Frieden und Versöhnung wohl kaum zu erreichen. Dennoch sieht Cellist Jan Vogler, der das Dreikontinenten-Konzert organisierte, in Kulturveranstaltungen dieser Art eine gesellschaftliche Relevanz. "Die kulturelle Betätigung ist das, was den Menschen ausmacht", sagt er. "Ich bin ganz beeindruckt, wenn sich Wolfgang Rihm, einer der größten Komponisten dieser Zeit, hinsetzt und sich mit seiner bloßen Fantasie so ein Stück ausdenkt. Es ist ein Meisterwerk aus dem Stand. Solche Dinge sind doch die Wunder der Menschheit."

Ein dichter Klang

Abends im Konzert. Das New Yorker Orpheus Chamber Orchestra hat seine Plätze in der Frauenkirche eingenommen. Die Dresdner Prominenz ist dabei, der amerikanische Botschafter aus Berlin und der deutsche Botschafter aus Washington sind auch angereist, aber es gibt keine Ansprachen, keine hehren Worte.

Frauenkirche Dresden, Altarraum
Die Figuren in der Kirche wirken lebendigBild: DW/R. Fulker

Jan Vogler und seine Frau Mira Wang haben als Solisten mit Cello und Violine einen Doppelauftritt: bei Rihms "Duo Concerto" und bei Saint Saëns "La Muse et le Poète". Auf dem Programm stehen ferner Schumann und Mendelssohn.

Rihms Sorgen über die Akustik lösen sich in Luft auf, als das Orpheus Chamber Orchestra spielt. Dicht und organisch ist der Klang - selbst bei dem langen Nachhall, bei dem so mancher Ton ins Verschwimmen geraten könnte. Rihms Werk entfaltet einen komplexen Dialog zwischen Geige und Cello, mal harmonisch und ruhig, mal aufbrausend und konfliktreich, bevor sich Solisten und Orchester kurz vor Schluss zu einer orgiastischen Einheit verbinden.

Lebendige Kulisse: "Der Himmel ist hier"

Die Kulisse, der Altarraum der Frauenkirche, tut ihr Übriges, die Konzertbesucher zu verzaubern. Die Heiligenfiguren - Christus am Ölberg, Moses und Aaron, Paulus und Philippus, ein goldenes Dreieck als Gottesauge - wirken fast lebendig. 40 Prozent der alten Bausubstanz konnte man beim Wiederaufbau einarbeiten, wichtige Teile hatte man in den Trümmern gefunden. Einmalig an dem historischen Bauwerk ist, dass es keine Patina hat. Die Kirche sieht aus, als sei sie gerade erst fertiggestellt worden. Blau, Rot und Grün sind die farblichen Leitmotive: Sie stehen für Glaube, Liebe und Hoffnung.

Frauenkirche Dresden
So flüchtig wie eine Seifenblase ist die MusikBild: DW/R. Fulker

Nach dem Konzert und den langen Ovationen sind die Klänge so schnell verflüchtigt wie die Seifenblasen am Nachmittag. Zwei sichtbar von der Musik ergriffene Frauen halten auf dem Weg hinaus nochmal an, drehen sich um und betrachten bewundernd den prunkvollen Altar der Kirche. "Das hat nichts mit Raum oder Zeit zu tun", sagt eine. "Der Himmel ist hier."