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Politik

Glaube, Liebe, Schulz

Fabian von der Mark
19. März 2017

Selfies, Blumen, Autogramme - Martin Schulz eilt von einer begeisterten SPD-Basis zur nächsten. Eine für unmöglich gehaltene Wende im Wahljahr: Der Schulz-Effekt.

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Martin Schulz
Bild: Reuters/H. Hanschke

Er ist kaum in der Glück-Auf-Halle von Spiesen-Elversberg angekommen, da stürzt sich ein weißhaariger Mann auf Martin Schulz. "Ich bin seit 70 Jahren Mitglied in dieser Partei. Martin, ich glaube an Dich! " Schulz schaut den Mann an, ballt die Faust: "Ja. Wir gewinnen." Es sind nur zwei Worte, aber sie haben die Sozialdemokraten wieder aufgerichtet. Ein Sieg gegen die übermächtige Angela Merkel? Vor drei Monaten klang das noch lächerlich, aber seit klar ist, dass Martin Schulz die SPD in den Bundestagswahlkampf führt, scheint alles möglich. Die Umfragewerte sind um mehr als 10 Prozent gestiegen und so viele neue SPD-Mitglieder hat die SPD seit 20 Jahren nicht mehr dazu bekommen. In Deutschland ist vom Schulz-Effekt die Rede.

"Die Gewerkschaften können sich auf uns verlassen."

In der Glück-Auf-Halle stehen sie jetzt vor ihren Bänken, klatschen rhythmisch, während Schulz zur Bühne läuft. Auf den Tischen: Luftballons mit der Aufschrift: "Ich will frischen Wind. SPD." Schulz steht am Pult. Eine rote SPD-Fahne links, eine rechts, Licht aus roten Glühbirnen. Geschichten von Menschen erzählt der Kandidat jetzt. Eine nach der anderen. Von der Angestellten, die nach einem kleinen Fehler rausfliegt, während der gescheiterte Manager mit Millionenabfindung belohnt wird. Vom kleinen Bäcker, bei dem nichts übrig bleibt, während die globale Kaffee-Kette ihre Gewinne in eine Steueroase bringt. Von der Altenpflegerin, dem Busfahrer, der allein erziehenden Mutter. Sein bejubelter Punkt am Ende: "Diejenigen, die hart für ihr Geld arbeiten, dürfen am Ende nicht schlechter gestellt sein, als die, die nur ihr Geld für sich arbeiten lassen." Und ergänzt: Da könnten sich die Gewerkschaften auf ihn verlassen.

Drei Fragen an Martin Schulz

Anwalt der kleinen Leute, will er sein

Soziale Gerechtigkeit ist sein Thema, seit Schulz am 24. Januar von Sigmar Gabriel übernommen hat. Hier im Saarland kommt das besonders gut an. Dass Schulz Korrekturen an der Agenda 2010 angekündigt hat, finden sie hier gut. Seit Beginn des Jahrtausends befindet sich die saarländische SPD im Sinkflug. Parallel dazu: der Aufstieg der Linkspartei. Hier im Saarland holte die Linke 15-20 Prozent und im Bund um die 10 Prozent. Schulz will diese Wähler zurückholen, in dem er den Markenkern der SPD bedient: die Arbeiterpartei. Anwalt der kleinen Leute. In den Hallen der Republik jubeln sie "Martin, Martin". Schulz scheint einen Nerv zu treffen.

Schulz weiß, was ankommt. Manche werfen ihm Populismus vor. Er selbst sagt: "Ich höre mir Probleme an und spreche sie an." Die beste Gelegenheit hier im saarländischen Spiesen-Elversberg: bei der eigenen Verwandtschaft. Schultz verschwindet in einem hellgrünen Einfamilienhaus. Am Eingang ein Türschild: Familie Schulz. Sein Vater wurde hier geboren, als elftes Kind eines Bergmanns. Heute wohnen hier ein Vetter und eine Cousine. Als Schulz wieder raus kommt, spricht er von einem bewegenden Moment und einer "Rückkehr zu den Wurzeln." Und plötzlich ist er eine Tür weiter. Die Nachbarin hat gerade herausgeschaut, Schulz eingeladen und schon steht er in ihrem Wohnzimmer. Die Frau schwärmt: "Das hätte ich ja nicht geglaubt. Ich hab' keine Worte mehr! Kommt der rein bei uns. Ich find's klasse." Schulz ist glaubhaft bürgernah. Er kann mit Menschen und es gefällt ihm.

Martin Schulz Kanzlerkandidat SPD
Martin Schulz in der Glück-Auf-Halle im SaarlandBild: DW/F. von der Mark

Schulz wird belagert wie ein Popstar

Ortswechsel: Kamen. Kein Zufall, dass Schulz gerade nicht nur im Saarland, sondern auch in Nordrhein-Westfalen viel Zeit verbringt. In beiden Bundesländern wird im Frühling gewählt. Und war es im Saarland vor allem die Gruppe 60 plus, die sich für Schulz interessierte, wird er hier gefeiert wie ein Popstar. Neben der Bühne scharen sich junge Frauen Anfang 20 um ihn. Sie wollen ein Selfie.

Schulz:

„Nein, Nein, ich muss los, Kinder. Ich muss zum Flugplatz!"

Junge Frau:

"Aber bitte, ein Foto, ein einziges."

Schulz:

"Ich kann nicht."

Junge Frau:

"Die Jusos Recklinghausen haben für Dich gekämpft! Bitte!"

Schulz:

"Aber Du kämpfst doch auch für mich, wenn Du kein Selfie kriegst."

Junge Frau:

"Aber Bitte."

Schulz:

"Ja dann macht."

Arbeitnehmerkonferenz mit Martin Schulz
Ein Selfie mit Martin Schulz - begehrte TrophäeBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Auch die Jusos stehen jetzt hinter Schulz

Tatsächlich würden die Jusos momentan auch ohne Selfie für Schulz durchs Feuer gehen. Eine unglaubliche Wendung. War es zwischen den Jungsozialisten und Sigmar Gabriel noch eine offen zur Schau getragene, gegenseitige Ablehnung, ist heute alles anders. Nach der Veranstaltung unterschreibt Schulz reihenweise in nagelneuen SPD-Parteibüchern. Sie werden ihm von jungen Leuten hingestreckt. Schulz ist für die unter 30-Jährigen zu einer Art deutschem Bernie Sanders geworden. Ohnehin schon politisiert durch Trump und Brexit, scheint eine neue Generation zur SPD zu finden. Manchmal nimmt die Begeisterung schon fast hysterische Züge an. Eine junge Frau will ein Selfie. "Martin, ich liebe dich so. Du bist mein zweiter Vater!" - "Jetzt mach keinen Blödsinn", sagt Schulz, aber wirklich zu stören scheint ihn das Ganze nicht. Die Alten glauben an ihn, die Jungen lieben ihn - besser hätte es für Schulz bisher nicht laufen können.