Superhelden auf sechs Beinen
5. April 2016
Auf dem Waldboden von Costa Rica sind sie ein gewöhnlicher Anblick: Lange schwarze, mehr oder weniger exakt gezogene Linien, die sich konstant voran bewegen. Blattschneiderameisen sind das, ganze Kolonnen, die von einem Ort zum anderen marschieren. Jede Ameise schleppt ein hellgrünes Blatt, das bis zu 50 Mal mehr wiegt, als das Insekt selbst.
Die Ameisengesellschaft ist streng hierarchisch gegliedert und in ihrer Komplexität der des Menschen nicht unähnlich. Für Wissenschaftler sind die Tiere schon seit langer Zeit interessant. Ihre Fähigkeiten wurden bereits auf alle möglichen Bereiche untersucht, sogar bis hin zur Produktion von Kraftstoffen.
Wir können tatsächlich eine Menge von den kleinen Tieren, die in Costa Rica auch zompopas heißen, lernen. Trotzdem sind sie für die Bauern des Landes vor allem Schädlinge. Ähnlich denken Landwirte in Brasilien und in den Vereinigten Staaten. Die Tiere bedrohen auch hier die Existenz der Feldarbeiter.
Blattschneiderameisen sind keine "üblichen Schädlinge", sagt Adrian Pinto von der University of Costa Rica. Er ist einer der führenden Ameisenexperten des Landes. Schließlich leben bis zu sieben Millionen der Ameisen in den unterirdischen Kolonien, ihre Königin kann bis zu 2000 Eier in der Stunde produzieren. Die schiere Masse bewirkt, dass die althergebrachte Methode des Tottrampelns gegen sie wohl nicht funktionieren wird.
"Wir wollen wissen, wie man sie kontrollieren kann", sagt Pinto. "Sie können einen ganzen Baum in nur einer Nacht entlauben. Die sind ziemlich gierig."
Die Aufgabe, einen Schädling wie diesen zu kontrollieren, ist eine große Aufgabe für ein Land, das sich einerseits für fortschrittlichen Umweltschutz rühmen kann, andererseits aber von der Landwirtschaft abhängt. Schließlich vernichten die Ameisen eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzpflanzen. Jemand wie Pinto, der sein Leben dem Studium der Ameisen gewidmet hat, hadert mit dem Widerspruch.
"Das ist paradox", sagt er. " Und ich muss jeden Tag damit leben. In Costa Rica ist der Einsatz von Pestiziden verboten, weil er schädlich für die Umwelt ist. Es gibt Orangen-Plantagen, die aufgegeben werden mussten, weil sie zu dicht an Nationalparks liegen."
Pinto will das Paradox allerdings nicht stehen lassen. Er ist auch Teil der Lösung, indem er bei einem Projekt arbeitet, das Landwirten hilft, mit den Ameisenkolonien zu leben. Und das ergründet, was kommende Generationen von den Krabblern lernen können.
Die Königin ist der Schlüssel
Die La Anita Ranch schmiegt sich in die Landschaft zwischen den Vulkanen Miravalles, Rincon de la Vieja und Santa Maria. Auf dieser Finca, einem Landwirtschaftsbetrieb im Nordwesten Costa Ricas, arbeiten Familien als Selbstversorger. Hier finden auch regelmäßig Seminare und wissenschaftliche Untersuchungen statt, unter anderem für amerikanische Highschool-Schüler. Die US-Organisation "Seeds of Change" führt das Programm mit dem Namen "Costa Rica Science Research Experience" durch. Es soll das Wissen über die Ameisen vergrößern, indem es direkt mit den Tieren arbeitet.
Das Projekt hat den Finca-Managern Pablo Cespedes und seiner Frau Ana Perez nicht nur dabei geholfen, hier ein Zentrum für Ökotourismus zu schaffen. Auch die Bedrohung der umliegenden Kakaofelder durch die Ameisen hat sich deutlich verringert.
"Wir haben zum Beispiel gelernt, dass es das Ende für das Ameisennest bedeutet, wenn man an die Königin rankommt und sie tötet", sagt Cespedes. "Es gibt keine Möglichkeit, sie zu ersetzen. Ameisen kennen keine Freiheit, sie sind alle geboren, um einen bestimmten Job zu erledigen und dabei bleiben sie dann. Im Grunde genommen ist das die perfekte kommunistische Gesellschaft."
Der Weg über die Königin ist wesentlich umweltfreundlicher, als Kulturpflanzen mit Pestiziden und Fungiziden zu besprühen, sagt Cespedes.
Superorganismen
Die Schüler, die La Anita besuchen und am "Seed of Change Programm" teilnehmen, helfen dabei, die Ameisenkolonien auszugraben. Sie führen auch eigene Experimente durch. Gegründet hat die Organisation John Doleman. Während seiner Zeit beim US-Raumfahrtprogramm stellt er fest, dass das Bildungssystem zu wenige Wissenschaftler hervorgebracht hat.
Blattschneiderameisen, sagt er, seien die perfekten Forschungsobjekte. Einige der 47 heute bekannten Arten habe es schon vor über 12 Millionen Jahren gegeben.
"Wir nennen diese Ameisen 'Superorganismen', weil sie Dinge können, die wir Menschen nicht beherrschen. Und weil sie diese Dinge so perfekt beherrschen, können wir viel von ihnen lernen", so Doleman. "Sobald die Schüler das erste Mal im Regenwald sind und anfangen sich mit dem Thema zu beschäftigen, werden sie in der Regel sehr motiviert, sich grundlegenden Problemen zu widmen."
Die Fähigkeit der Ameisen, Biomasse abzubauen und damit eine eigene Pilzzucht zu betreiben, die wiederum dazu dient, ihr Nest zu versorgen, finden Kinder und Wissenschaftler gleichermaßen interessant.
Die Ameisen-Pilze sind anfällig für andere parasitäre Organismen. Doch auch das Problem haben die Pilzzüchter im Griff: Weibliche Ameisen sind dazu in der Lage, die Parasiten durch bestimmte Bakterien, die sie in ihren eigenen Körper erzeugen, zu neutralisieren. Sie sind sozusagen ihre eigenen Chemielabore. Und diese Fähigkeit bietet Wissenschaftlern weitreichende Forschungsmöglichkeiten, etwa die Suche nach neuen Antibiotika.
"Die Ameisen sind großartige Mikrobiologen", sagt Pinto. "In fast allen Industriestaaten gibt es heute Forschungsteams, die versuchen zu verstehen, wie man diese Fähigkeiten nutzen könnte." Ein ganz praktisches Forschungsbeispiel findet sich in den USA. Wissenschaftler an der University of Wisconsin untersuchen, inspiriert von Brasilianischen Blattschneiderameisen, wie die kleinen Krabbler bei der Produktion von grüner Energie und Bio-Kraftstoff helfen könnten.
So klein die Ameisen auch sind, ihre Wirkung kann enorm sein. Das wird auch jeder bezeugen können, der einmal das Pech hatte, von einer Blattschneiderameise gebissen worden zu sein. Vielleicht, so scheint es, könnten die Tiere ihren Fähigkeiten bald auch hinzufügen, der Menschheit beim Kampf gegen den Klimawandel geholfen zu haben.