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Goethe-Institut: "Permanente Neuerfindung"

22. November 2021

Zum 70. Jubiläum zieht das Kulturinstitut kritisch Bilanz. Es sei kein "globaler Besserwisser", sagt Goethe-Präsidentin Carola Lentz im DW-Gespräch.

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Schild des Goethe-Instituts an einer Häuserfassade
Griechenlands Goethe-Institut befindet sich in AthenBild: Michael Debets/Pacific Press/picture alliance

Das Goethe-Institut - ein Chamäleon? Ganz so liest es sich in der im Mainzer Klett-Cotta-Verlag erschienen Institutsbiographie. Die im vergangenen Jahr neu gewählte Präsidentin des Goethe-Instituts hat sie gemeinsam mit der Ethnologin Marie-Christin Gabriel verfasst. Und zwar nicht als Jubiläumsschrift: Lentz und Gabriel blicken vielmehr kritisch analysierend zurück - auf eine Geschichte, wie Carola Lentz im DW-Interview betont, der "permanenten Neuerfindung".

Die beginnt im Nachkriegsdeutschland des Jahres 1951, als das Goethe-Institut in München aus der Taufe gehoben wird - sechs Jahre nach der Zwangsschließung seiner Vorläuferin. Die 1925 gegründete "Deutsche Akademie" war zuletzt zum Werkzeug des NS-Staates umgebaut worden. Erst die US-Besatzer lösten bei Kriegsende die - ihrer Einschätzung nach - "europaweit agierende Propaganda- und Spionagezentrale" der Nazis auf. Die Neugründung des Goethe-Instituts, soviel ist sicher, markierte einen politischen Neuanfang.

Neustart mit Deutschkursen

Carola Lentz, neue Präsidentin des Goethe-Instituts
Ethnologin Carola Lentz, seit einem Jahr an der Spitze des Goethe-InstitutsBild: Goethe-Institut/Loredana La Rocca

Zunächst holt das Goethe-Institut Deutschlehrerinnen und -lehrer aus aller Welt nach Deutschland, um sie fortzubilden. Schon bald aber rückt die Sprachvermittlung im Ausland in den Vordergrund. Dafür werden Institute im Ausland gegründet, das erste 1952 in Athen. Bis 1961 folgen 53 weitere Institute im Ausland, heute sind es 158 in 98 Ländern.

Zwischen 1958 und 1963 rückt Afrika in den Fokus des Goethe-Instituts, schon bald überzieht ein Netz von Goethe-Dependancen den afrikanischen Kontinent. Deutsche Kulturschaffende werden zu den Goethe-Stützpunkten weltweit auf Tournee geschickt - der Jazzer Albert Mangelsdorf etwa begeistert mit seinem Quartett Teile Asiens, elektronische psychedelische Musik aus Deutschland erklingt in Kabul.

Eines der spannendsten Kapitel in der Institutsgeschichte wird der Kalte Krieg. Die politischen Blöcke in Ost und West stehen sich bis an die Zähne bewaffnet gegenüber. Auf dem Feld der Auswärtigen Kulturpolitik ringt auch das geteilte Deutschland um Macht und Einfluss, doch nicht etwa nur von München aus: Die DDR schickt das - ebenfalls 1951 in Leipzig gegründete - Herder-Institut ins Rennen und eröffnet Kultur- und Informationszentren im Ausland, die ebenfalls Deutschkurse anbieten. Manche stehen in direkter Konkurrenz zum Goethe-Institut. Der Wettstreit zwischen Ost- und Westdeutschland dauert bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 an.

Auch Papst Franziskus lernt Deutsch

Bereits in den 1970er-Jahren löst das Goethe-Institut Debatten aus. In London sorgt eine von Goethe finanzierte Ausstellung des Plakatkünstlers Klaus Staeck für Aufregung: Eine Collage zeigt den damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß entschlossen die Messer wetzen, darunter steht: "Der Kalte Krieg macht uns erst richtig heiß." Politiker empören sich darüber, unter Einsatz von Steuergeldern beleidigt zu werden. 1977 gerät das Goethe-Institut ins Visier von Linksterroristen, die Anschläge auf Goethe-Einrichtungen in Paris und Madrid verüben.

Abschied eines Kulturbotschafters

Auch das gehört zur Institutsgeschichte: Mitte der 1980er-Jahre lernt der spätere Papst Franziskus am Goethe-Institut in Boppard Deutsch. Mit der Familie, bei der er damals zur Untermiete wohnt, unterhält er bis heute eine Brieffreundschaft. Der Comedian Rudi Carell sorgt 1987 für einen diplomatischen Eklat, als er in einem Fernsehsketch zum achten Jahrestag der iranischen Revolution den Geistlichen Ayatollah Chomeini mit Damenunterwäsche bewerfen lässt. Tags darauf weist Iran zwei deutsche Diplomaten aus und streicht alle Flüge nach Westdeutschland. Das Goethe-Institut in Teheran muss zeitweise schließen.

Ausdehnung nach Osteuropa

Als der Eiserne Vorhang 1989 fällt, streckt das Goethe-Institut seine Fühler nach Osteuropa aus. Erste Institute entstehen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. 1992 schließlich, wer hätte das für möglich gehalten, eröffnet der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel das Goethe-Institut in Moskau - weit hinter dem einstigen Eisernen Vorhang! Auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wächst das Goethe-Netzwerk.

Bild einer Goethe-Medaille.
Jährlich werden Goethe-Medaillen an Menschen verliehen, die sich für deutsche Sprache und Kulturaustausch engagierenBild: arifoto UG/dpa/picture alliance

Die Terroranschläge des 11. September 2001 verändern auch die Arbeit des Goethe-Instituts: Interkultureller Dialog und Verständigung rücken nun an die Spitze der Agenda. Das Goethe-Institut richtet seinen Fokus auf die Stärkung von Zivilgesellschaften und auf Konfliktprävention. "In der Kulturarbeit", sagt Goethe-Präsidentin Carola Lentz jetzt, "ist unsere größte Herausforderung das, was man auf Englisch 'Shrinking Spaces' nennt, also die Zunahme von illiberalen Tendenzen, autoritären Regimen, die zunehmend versuchen, Räume, Freiräume für künstlerische und intellektuelle Aktivitäten einzuschränken und zu kontrollieren." Für das Goethe-Institut bedeutet das herauszufinden, wo noch gearbeitet werden kann und wo nicht - wie etwa derzeit in Belarus. Wichtig bleibe es, so Lentz, "Formate zu entwickeln, die trotzdem Austausch und Begegnung ermöglichen."

Äthiopische Straßenkünstler beim Malen.
Straßenkunst in Äthiopien: Das Goethe-Institut unterstützt die Kunstszene in dem ostafrikanischen LandBild: Solomon Muchie/DW

Die in Mainz lebende Lentz, Jahrgang 1954, ist Ethnologin und Afrika-Expertin - eine Wissenschaftlerin durch und durch. Seit genau einem Jahr steht sie an der Spitze des Goethe-Instituts, das ein wie sie sagt, "sehr diverses, differenziertes, vielfältiges Deutschlandbild" in die Welt trägt, "geprägt von Zurücknahme und Zuhören". "Wir sind nicht die weltweiten globalen Besserwisser", betont die Goethe-Präsidentin.

Es gehe vielmehr darum, gemeinsam mit den Partnern gemeinsame Antworten auf globale Fragen zu entwickeln. "Mit den vielfältigen, enorm spannenden literarischen, musikalischen, malerischen, künstlerischen Projekten, die wir natürlich auch gerne zeigen, möchten wir mit Menschen in anderen Gesellschaften ins Gespräch kommen."

Ein Foto zeigt eine Hütte auf Stelzen vor einem roten Himmel.
In der Berliner Jubiläumsausstellung des Goethe-Instituts geht es um die Folgen des KlimawandelsBild: Arko Datto

Staatsakt zum Jubiläum

Für die Aufgabe als globaler Vernetzer sieht die Goethe-Präsidentin ihr Institut zwar "gut gerüstet". Doch eines würde sie SPD, Grünen und FDP, die derzeit eine neue Bundesregierung schmieden, gerne in den Koalitionsvertrag schreiben: "Es wäre gut, wenn auch die neue Regierung erkennt, dass Kultur ein ganz wesentlicher Bestandteil von Außenpolitik sein muss", so Lentz, "wenn wir in der Welt weiter Freunde haben wollen und Anregungen aus der Welt zu globalen Debatten hier in Deutschland mit einspeisen möchten."

Schon jetzt ist das Goethe-Institut mit Veranstaltungen zunehmend auch im Inland vertreten, etwa dem Weimarer Kultursymposium. Davon zeugt auch das Jubiläumsprogramm in Berlin: Nach einem digitalen Staatsakt am 22. November eröffnet am 29. November im Hamburger Bahnhof in Berlin die multimediale Ausstellung "Take Me to the River" mit künstlerischen Antworten auf globale Umweltveränderungen. Die Ausstellung "Nation, Narration, Narcosis" erforscht die Rolle der Museen für die Erinnerungskultur. Die interaktive Installation "Verschwindende Wand" schließlich macht am Reichstagsgebäude die europäische Vielfalt sinnlich erfahrbar.