Höhenwinde: Das Rennen um Windkraft 2.0
29. März 2023Erinnern Sie sich noch ans Drachenfliegen in ihrer Kindheit? Losrennen, ziehen, zupfen und schon fliegt der Drache, erst weiter unten, nach und nach aber immer höher und höher. Manchmal zieht er dann so stark, dass man fast das Gefühl hat, selbst abzuheben. Wenn der Wind nahe der Erdoberfläche schon so stark ist, dass er einen fast mit sich tragen könnte, wie heftig muss es dann weit oben wehen?
Tatsächlich haben sogenannte Höhenwinde, ab 200 Metern über der Erde, unvorstellbare Kräfte. Sie sind so stark, dass man damit deutlich mehr Energie erzeugen könnte als mit Windturbinen an Land, und dann mehr Strom hätte, als wir brauchen. Das kommt daher, weil die Winde dort oben tendenziell stärker und konstanter wehen. Und mit jeder Verdopplung der Windgeschwindigkeit lässt sich theoretisch achtmal mehr Energie erzeugen.
Professor Moritz Diehl leitet das Institut für Mikrosystemtechnik an der Universität Freiburg, für ihn ist das Ernten von Höhenwinden eine der "vielversprechendsten" Zukunfts-Technologien zur Gewinnung erneuerbarer Energien. "Du siehst den Himmel über diesen Windturbinen und denkst dir, da oben weht diese ganze Windenergie, wird aber nicht genutzt", sagt Diehl im DW-Interview.
Stephan Wrage, CEO der Windkraftfirma SkySails-Power, will das ändern und, wie er sagt, die "bisher größte unangetastete Quelle erneuerbarer Energie weltweit" massentauglich machen. Damit ist er aber nicht der Einzige. Seit Jahren liefern sich Ingenieure, diverse Start-ups und internationale Firmen ein technologisches Wettrennen darum, wie man die Energie dort oben anzapft und kostengünstig auf die Erde bringt. Viele scheiterten mit dem Versuch, einige gingen pleite, andere stehen kurz vor dem Durchbruch, ihre fliegenden Kraftwerke auf den Markt zu bringen.
Fliegende Windturbinen, geniale und scheiternde Ideen
Eines der ersten Projekte, das vor Jahren für größeres Aufsehen sorgte, war 2010 der Start des BAT-Prototyps von Altaeros. Das US-amerikanische Unternehmen entwickelte einen Generator, der in einen Heliumballon integriert wurde. Es war eine Windturbine ohne schweren Mast und Fundament und lediglich durch ein Kabel mit der Erde verbunden. Sie wurde in Alaska getestet und produzierte Energie für rund 50 Haushalte in 600 Metern Höhe, wie es damals von Altaeros hieß.
Im selben Zeitraum hatte auch die deutsche Firma SkySails einen Höhen-Drachen entwickelt, der ganze Containerschiffe ziehen sollte. Die Idee war, bis zu 10 Prozent Diesel zu sparen. Der Test mit dem Drachen funktionierte, doch die Rederei ging pleite. Weder der Drachen noch die Helium-Windturbine eroberten den Markt. Was damals durch die beiden Prototypen allerdings klar wurde war: wer Höhenwinde ernten will, braucht fliegende Kraftwerke.
Der Hype um Google, der Flug, der Absturz
Und hier kommt nun Google ins Spiel. 2013 kaufte der Softwarespezialist für eine nicht bekannte Summe das Energie-Start-Up Makani. Die Übernahme löste Euphorie in der Branche aus. Mit Googles Geld stieg Makani zum Vorreiter auf. Ihr fliegendes Kraftwerk war in etwa so groß wie ein kleines Flugzeug.
Es stieg auf eine Höhe von etwa 300 Metern, wo es konstant optimierte Schleifen drehte. Die hohe Geschwindkeit trieb kleine Windränder an den Flügeln an, die so Strom erzeugten. Mit einem vermeintlich schweren Generator an Bord beträchtliche Mengen Energie zu erzeugen, klang für Moritz Diehl damals ziemlich "verrückt". Geklappt hat es trotzdem.
Laut Makani produzierte der Flieger genug Strom für 300 Haushalte. Es schien der Durchbruch zu sein, auf den jeder gewartet hatte. Aber plötzlich nahm die Geschichte eine unerwartete Wendung: Ein Flieger stürzte bei einem Test ins Meer. 2020 bezweifelte Googles Mutterkonzern Alphabet die Wirtschaftlichkeit der Technologie und ließ das Projekt fallen.
Ein neuer Markt
Aber das Ende Makanis bedeutete nicht das Ende der Energie aus Höhenwinden. Eine neue Start-Up-Generation arbeitete bereits an immer kleineren Maschinen, die immer weniger Material benötigen. Manche verfolgten aus technischer Sicht Makanis Ansatz. Andere schlossen ihren Flieger an ein Seil an, das durch Ziehen einen Generator betreibt. Und wieder andere ersetzten den Flieger durch einen Drachen.
Darunter auch die deutsche Firma SkySails-Power, die sich nach der Pleite der Zugdrachen mit ihrer Vorgängerfirma heute auf Energiegewinnung spezialisiert hat. Ihr Drache macht sich einen sogenannten Pump-Kreislauf zunutze. Der Drache hebt automatisch ab, richtet sich gegen den Wind und winkelt beim Aufstieg ein Seil von einem Generator ab. Dort wo der Wind am besten weht fliegt er eine Acht und zieht dabei an dem Seil, wodurch er Energie erzeugt. Der Drache soll Stunden, Tage und Wochen in der Luft bleiben können. Bei schlechtem Wetter oder Gefahr löst er einen Alarm aus und kann eingeholt werden. Laut Skysails-Power kann ein Drache bis zu 500 Haushalte versorgen, dabei wird 90 Prozent weniger Material benötigt.
Vorteile gegenüber konventioneller Windenergie verspricht man sich auch in Sachen Flexibilität und Logistik, da man weder schweres Gerät, einen Kran oder besonders gute Straßen zur Installation, zum Abheben oder Einholen benötigt. "Man könnte sie auch über Wäldern einsetzen. Man kann sie ausschalten und sogar landen, wenn ein Vogelschwarm vorbeikommt", betont Professor Diehl.
Klassische Windenergie funktioniert, ist günstig und massentauglich, und um den Klimawandel zu bremsen, braucht man dringend mehr davon. Mit der Gewinnung von Höhenwinden wolle man Windturbinen nicht ersetzen, sondern ergänzen, sagt SkySails-Chef Wrage. 1,4 Milliarden Menschen weltweit lebten heute ohne Anschluss an das Stromnetz. Viele von ihnen würden Strom aus Dieselgeneratoren beziehen. Gerade diese Menschen könnten von der sauberen und dezentralen Energie profitieren.
Einer Studie der Windindustrie zufolge könnte Energie aus Höhenwinden in Zukunft deutlich billiger werden als Diesel - und sogar billiger als traditionelle Windenergie.
Erst der Anfang von Windenergie 2.0
Soweit ist man laut Rishikesh Joshi, Wissenschaftler an der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Delft, aber noch lange nicht. "Zurzeit wird man solche Preise nicht erzielen, weil sich alles noch in der Forschungsphase befindet. Aber die Windindustrie hat auch 40 Jahre gebraucht, um Strom so billig zu produzieren wie heute. Bis wir soweit sind, wird es noch ein paar Jahre dauern."
Dafür muss noch viel in den Sektor investiert und auch eine ganze Reihe regulatorischer Fragen um das Thema Luftverkehr beantwortet werden.
Skysails-Power ist inzwischen führend auf dem Gebiet und hat bisher ein erstes Gerät nach Mauritius verkauft. Dort kooperiert man mit der Investment Gruppe IBL Energy Holdings Ltd. Die Vision ist es, von Mauritius aus die Branche für Höhenwinde in Ostafrika aufzubauen und in Zukunft auch schwimmende Drachenwindparks vor den Küsten zu betreiben.
Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Jedes Kind kann einen Drachen fliegen. Die Energie dort oben zu ernten und auf die Erde zu bringen, braucht einiges mehr. Der Wettlauf um die nächste Generation der Windenergie ist in vollem Gange.