Grande Dame der Psychoanalyse
17. Juli 2007"Mit dem Alter wird man nicht unbedingt klüger." Diese Aussage traut man Margarete Mitscherlich nicht unbedingt zu, immerhin ist sie eine kluge Frau, wie ihr Leben dokumentiert. In den 1960er Jahren stand sie in der ersten Reihe der Frauenbewegung und seit mehr als 60 Jahren widmet sie sich dem weiten Feld der Psychoanalyse.
1977, vor fast genau dreißig Jahren, schockierte die Psychoanalytikerin in der Erstausgabe der "Emma" mit ihrem Bekenntnis: "Ich bin eine Feministin!" Und noch heute ist sie mit "Emma"-Erfinderin Alice Schwarzer befreundet. Im Unterschied jedoch zu jener einst kompromisslosen Kämpferin, die mittlerweile für ein sexistisches Boulevardblatt von Plakaten strahlt, blieb sich Margarete Mitscherlich treu.
"Männer sind nicht mehr wert als Frauen"
"Von Kindheit an habe ich nie die Idee gehabt, dass Frauen schlechter sind als Männer und dass Frauen in der Gesellschaft weniger zu sagen haben sollten als Männer", betont Mitscherlich. Sie habe ihre Mutter immer als mindestens so stark wie ihren Vater erlebt – und ihr Vater habe das genauso gesehen. "Dann kam ich in dieses Herrenmenschentum Hitlerscher Provenienz. Aber dass die Männer mehr wert waren als Frauen, auf die Idee konnte ich bei allem, was ich erlebt hab, beim besten Willen nicht kommen."
Als junge Ärztin hatte Margarete Mitscherlich 1947 ihren späteren Mann, Alexander Mitscherlich, in einem Schweizer Spital kennengelernt und sich Hals über Kopf in den Vater von fünf Kindern (der bereits in zweiter Ehe lebte) verliebt. 1949 kam der gemeinsame Sohn Matthias auf die Welt - für die Öffentlichkeit indes unbemerkt.
Zusammenarbeit mit dem späteren Ehemann
Margarete Nielsen, so der Mädchenname der gebürtigen Dänin, zog ihr uneheliches Kind zunächst mit Hilfe einer Freundin auf. Und als Alexander Mitscherlich (inzwischen Leiter der Psychosomatischen Klinik in Heidelberg) seine Geliebte zwecks therapeutischer Zusammenarbeit 1951 bei sich einstellte, brachte die damals 30-Jährige ihren Jungen zu ihren Eltern nach Dänemark.
Erst 1955 heirateten Alexander und Margarete Mitscherlich. Intensive gemeinsame Schaffensjahre folgten in Frankfurt: Er wurde dort Direktor des Sigmund-Freud-Instituts; sie eine prominente Analytikerin.
Standardwerk zur NS-Zeit
Die NS-Zeit bleibt für beide ein großes Thema. In der aufgeheizten Atmosphäre der Studentenbewegung veröffentlichten sie ihr Buch "Die Unfähigkeit zu trauern" - bis in unsere Tage hinein das Standardwerk zur Frage, warum die Deutschen nicht imstande waren, sich ihrer Schuld am Nationalsozialismus zu stellen. "Es geht um die Trauer, sich daran zu erinnern, warum man diesen 'Führer' so geliebt hat", erläutert Mitscherlich das Thema des Buches. "Sich daran zu erinnern, wie unfähig zum Urteil man war. Dass man jemanden, der eigentlich nur Slogans von sich gab und nur Lügen und Weltbeglückungswahnsinn, hat lieben können und wie einen Gott hat verehren können."
Wenn man einen Vater habe, liebe man ihn deswegen, weil er vielleicht einen in den Arm genommen und einem geholfen habe, wenn es einem schlecht ging, meint Mitscherlich. Dagegen sei die Liebe zu Hitler "reine Projektion" gewesen, betont die Psychoanalytikerin. "Man projizierte in ihn eine Art Gott, und die ganze autoritäre trostlose Erziehung, die dahinter stand, dass man nur jemanden lieben konnte, den man idealisieren konnte. Und man idealisierte ein armes Menschlein und machte ihn so langsam auch zu dem, der er dann wurde."
"Frauen sind friedfertiger"
Unter der Überschrift "Psychoanalyse und Feminismus", damals eine blanke Provokation, mischte sich Margarete Mitscherlich bald in die Geschlechterdebatte ein. Frauen seien friedfertiger, lautete eine ihrer Thesen. Das brachte ihr den Vorwurf ein, die weibliche Opferrolle zu stilisieren.
Und heute? Mit erfrischender Offenheit kommentiert sie, die trotz internationaler Meriten nie die Bodenhaftung verlor, das politische Zeitgeschehen. Und schmunzelt im Rückblick über ihren Mann, der ihren feministischen Ausflügen keineswegs nur positiv gegenüberstand: "Theoretisch war er ganz auf meiner Seite, praktisch wurde es ihm zu viel gelegentlich. Er hat gefunden, dass die Alice mich zu viel anruft, dass ich zu viel beschäftigt bin, um auf bestimmte Kongresse zu gehen, dort zu reden und so weiter."
"Ich habe die Leute geärgert"
1982 starb Alexander Mitscherlich. Seitdem wurde es um seine dritte Ehefrau, die Grande Dame der deutschen Psychoanalyse und späte Frontfrau der Frauenbewegung, erstaunlich ruhig. Ihre Interpretation: "Verdammt nochmal, auch diese Frau, die da immer an seiner Seite stand, die zumindest soll jetzt auch weg. Jetzt sind wir ihn los, jetzt wollen wir sie auch loswerden. Nun habe ich die Leute sicherlich dadurch geärgert, dass ich gesagt hab: Ich bin eine Feministin. Aber ich hatte aus vollem Herzen das Gefühl, eine Feministin zu sein."