Greta Thunberg - beharrlich konsequent
9. Oktober 2020Am Morgen des 20. August 2018, dem ersten Schultag nach den Ferien in Schweden, war die damals 15-jährige Greta Thunberg vielleicht zum letzten Mal in ihrem Leben eine Privatperson. Dann setzte sie sich vor den schwedischen Reichstag in Stockholm und stellte neben sich ein handbemaltes Pappschild auf. "Skolstrejk för klimatet", also: "Schulstreik für das Klima“ war darauf zu lesen.
Drei Wochen lang, bis zur schwedischen Parlamentswahl im September 2018, blieb Greta Thunberg der Schule fern. Danach streikte sie freitags. Sie werde ihren Unterrichtsboykott so lange fortsetzen, bis die schwedische Regierung die Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens einhalte, kündigte sie an. Auf ihrem Twitter-Account nannten sie die Aktion "Fridays For Future".
Geburt einer globalen Bewegung
Bereits am ersten Freitag saßen mit Thunberg mehr als 30 Menschen vor dem schwedischen Reichstag. Es folgten Schulstreiks in anderen schwedischen Städten, in anderen Ländern wie Deutschland, Belgien, Großbritannien und weiteren. Bis Mitte März 2019 breiteten sich die Klimaproteste unter dem Hashtag #fridaysforfuture zu einer globalen Bewegung aus, mit Streiks auf allen Kontinenten. Das Gesicht der Bewegung ist Greta Thunberg. Für viele Aktivisten wird sie zu einer Art Ikone.
Zwar gab es in den Industrienationen bereits ein gestiegenes Interesse an Umweltthemen, wie etwa Plogging, Veganismus und die Zero-Waste-Bewegung zeigen. Doch Greta Thunbergs Bruch mit der Schulpflicht schien das richtige Maß an Revolution zu bieten, das es brauchte, um Massen junger Menschen auf die Straße zu treiben.
Reden vor der UN, in Davos, Brüssel, Paris und London
Innerhalb von nur drei Monaten war die Initiatorin der Klimaproteste so bekannt, dass sie im Dezember 2018 auf dem UN-Klimagipfel im polnischen Kattowitz eine Rede hielt. Unbeeindruckt von ihrem großen Publikum las die Schülerin diesem die Leviten. "Unsere Biosphäre wird geopfert, damit reiche Menschen in Ländern wie meinem in Luxus leben können", klagte sie an.
Wenige Wochen später sprach Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: "Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr dieselbe Angst empfindet, die ich jeden Tag spüre. Und dann will ich, dass ihr handelt, als ob unser Haus in Flammen stünde. Denn das tut es."
Es folgten Reden vor dem Europaparlament, der französischen Nationalversammlung und dem Parlament in London. Immer wieder verkündete Thunberg eindringlich, welch verheerende Zukunft der Menschheit laut aller Prognosen der Wissenschaft bevorstehe, sollte nicht entschieden etwas gegen die Erdererhitzung getan werden.
Es bleibt keine Zeit: Führen statt ignorieren
Im diesem März besuchte Thunberg die EU-Kommission und kritisierte scharf den Entwurf des EU-Klimaschutzgesetzes. Es sieht vor, dass ab 2050 die EU klimaneutral wirtschaftet. "Dieses Gesetz stellt eine Kapitulation dar. Sie geben die Klimaschutzziele von Paris und die Absicht, die Welt zu retten, auf", zürnte sie im Parlament. Das Gesetz sei wirkungslos, weil es die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Erderwärmung ignoriere. Europa fehle es an Bewusstsein und Führung, vor allem aber an Zeit.
Bei einem Treffen mit Angela Merkel im August dieses Jahres forderte Thunberg Mut und Führung, um eine Chance zu haben, die Klimakatastrophe zu vermeiden. Die Klima-Krise müsse genauso ernst genommen werden wie das Corona-Virus. In einem offenen Brief an alle EU-Staats-und Regierungschefs fordert Thunberg zusammen mit anderen Aktivisten von Fridays for Future "sich dem Klimanotfall zu stellen", nicht zu ignorieren und deshalb ein verbindliches Klimagas-Budget zur Einhaltung des Temperaturanstiegs auf unter 1,5 Grad. Damit verbunden sei der unverzügliche Stopp der Gewinnung und Subventionierung fossiler Brennstoffe.
Preise, Prominenz und große Aufmerksamkeit
Treffen mit Persönlichkeiten, wie Papst Franziskus, UN-Generalsekretär António Guterres, Angela Merkel, Schauspieler Arnold Schwarzenegger oder Ex-US-Präsident Barack Obama scheinen bei Thunberg keine besondere Aufregung zu erzeugen, sie hat eine Botschaft.
Inzwischen erhielt die heute 17-Jährige zahlreiche Preise, wurde zu Schwedens Frau des Jahres gekürt und für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Das US-Magazin "Times" zählt Greta Thunberg zu den 100 wichtigsten Persönlichkeiten des Jahres 2019.
"Ich kann keinen Small-Talk"
Sie stehe äußerst ungerne im Mittelpunkt, sagt Greta in einem deutschen Fernseh-Interview. "Aber ich kann mich nicht beschweren, ich habe mich selbst in diese Situation gebracht. Und damit ich etwas bewirken kann, macht es mir nichts aus, diesen Preis zu zahlen."
Mit ihrer Initialzündung zu den Schülerprotesten hat Greta Thunberg bewirkt, was mahnende Wissenschaftler, und zahlreiche Klimagipfel bisher nicht vermochten: In der öffentlichen Debatte steht das Thema Klimaschutz seit Monaten ganz oben auf der Agenda - und setzt die Politik zunehmend unter Druck. Bei der Europawahl im Mai 2019 fuhren Umweltparteien fast überall deutliche Gewinne ein.
Viel Ehr, viel Feind
Mag sie auch nicht gern im Mittelpunkt stehen, wie Thunberg sagt, so versteht sie es doch perfekt, ihre Auftritte in Szene zu setzen. Kaum eine Zugfahrt ohne Tweet. Kein klassisches Teenager-Selfie, sondern Werbung für klimafreundliches Reisen.
Bei dieser Präsenz bleibt Ablehnung nicht aus. Im Netz wird viel gegen die Schülerin gehetzt, besonders von rechtspopulistischen Parteien, die den Klimawandel leugnen. Aber auch von konservativer Seite kommt Kritik. In Deutschland etwa machten sich Politiker wie der CDU-Generalsekretär Paul Zimiak und FDP-Chef Christian Lindner über die Schülerin lustig und behaupteten, ein 16-jähriges Mädchen sei nicht in der Lage, globale Zusammenhänge zu verstehen.
Auch auf dem Asperger-Syndrom der Umweltschützerin reiten viele ihrer Gegner herum - dieses mache sie zu einem naiven und willfährigen Opfer einer grünen Öko-Lobby, so der Tenor.
Dieser Hass gepaart mit falschen Darstellungen der Fakten mache sie traurig, sagt Thunberg im Interview mit einem deutschen öffentlich-rechtlichen Sender. "Aber die heftigen Reaktionen zeigen auch, dass unsere Klimastreiks einen Nerv treffen und eine Wirkung haben. Und das ist positiv."
Ihre Beharrlichkeit führt die junge Schwedin selbst auf das Asperger-Syndrom zurück. "Wenn ich kein Asperger hätte, wäre das hier nicht möglich gewesen. Aber ich bin anders. Ich sehe die Welt aus einer anderen Perspektive - schwarz und weiß. Wenn mir etwas wichtig ist, dann gebe ich 100 Prozent."
Emissionsfrei über den Atlantik
Wohin auch immer, die Umweltaktivistin reist per Zug oder Elektroauto. Seit ihrem 12. Lebensjahr ernährt sie sich vegan und hat auch ihre Familie überzeugt, weder Fleisch zu essen noch per Flugzeug zu reisen - besonders für ihre Mutter, Opernsängerin von Beruf, war das kein leichter Schritt.
Zu Greta Thunbergs klimaschonenden Reisemitteln kam in letzten Jahr noch ein weiteres hinzu: Mit der Hochseejacht "Malizia II" segelte sie ohne fossile Brennstoffe in die USA zum UN-Klimagipfel und wieder zurück. Zwei Wochen dauerten jeweils die Überfahrten. Der an Bord benötigte Strom wurde mittels Solarpaneelen und Unterwasserturbinen erzeugt.
Das Reiseangebot kam von der Crew der Sportjacht, dem deutschen Segelsportler Boris Herrmann und Pierre Casiraghi, Sohn von Prinzessin Caroline von Monaco.
Auch wenn der Segeltörn über den Atlantik noch weit davon entfernt war, Vorbild für eine massentaugliche Atlantiküberquerung zu werden, so hatte er dennoch großen Symbolcharakter. Und zeigte einmal mehr die unnachgiebige Konsequenz der Greta Thunberg.
Dieser Artikel von 2019 wurde am 9.10.2020 aktualisiert