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PolitikEuropa

Griechenland: Der Niedergang der Linken setzt sich fort

Kaki Bali (aus Athen)
11. November 2024

Vor knapp zehn Jahren eroberte die Partei der Radikalen Linken, Syriza, die Macht in Griechenland. Seit ihrem Absturz bei der Wahl 2023 zerlegt sie sich. Ein Sonder-Parteitag in Athen am Wochenende verlief turbulent.

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Ein lächelnder Mann (Stefanos Kasselakis) in einem weißen Hemd grüßt mit erhobenem Arm. Um ihn herum sind Anhänger und Journalisten mit Mikrofonen und Kameras zu sehen
Der ehemalige Syriza-Chef Stefanos Kasselakis gibt am 9.11.2024 die Gründung einer neuen Partei bekanntBild: Yorgos Karahalis/AP/dpa/picture alliance

Der vorläufig letzte Akt des Dramas der untergehenden griechischen Linkspartei Syriza spielte sich in einem Nachtclub in Athen ab. Dort fand am Freitag (8.11.2024) ein außerordentlicher Parteitag statt, um den Weg für die Wahl des neuen Parteivorsitzenden zu ebnen.

Die Neuwahl war nötig geworden, nachdem Parteichef Stefanos Kasselakis Anfang September (7.09.2024) nach nur einem Jahr im Amt abgesetzt worden war. Doch der Ex-Reeder und Ex-Banker ließ sich nicht so einfach abservieren und wollte erneut antreten. Seine Anhänger versuchten, die Delegierten unter Druck zu setzen, damit sie seine erneute Kandidatur akzeptierten.

Es kam zu chaotischen Szenen, als Hunderte von sogenannten "Kasselistas" versuchten, den Tagungsort zu stürmen. Es gab Handgemenge, Schubsereien, verbale Angriffe und Buhrufe. Schließlich wurden Polizei und Feuerwehr gerufen, um für Sicherheit zu sorgen.

Ein Mann (Stefanos Kasselakis) in einem blauen Anzug steigt aus einem Auto aus und schaut auf etwas außerhalb des rechten Bildrands
Der damalige Syrizachef Stefanos Kasselakis bei einem Besuch in Zypern im Oktober 2023Bild: Danil Shamkin/NurPhoto/picture alliance

Die Mehrheit der Delegierten lehnten den Antrag der Kasselistas ab und entschied, dass Kasselakis bei den für den 24. November 2024 angesetzten Wahlen nicht erneut für den Parteivorsitz kandidieren kann. Der Ex-Syrizachef hatte in seiner kurzen Amtszeit den Unmut vieler Parteimitglieder auf sich gezogen, weil er nie bereit war, in den bestehenden Gremien zu arbeiten und seine politischen Vorschläge dort zur Diskussion zu stellen. Statt dessen wollte er sich unmittelbar an das Volk wenden, über Tiktok, Facebook oder durch die direkte Ansprache auf der Straße. 

Inmitten der Unruhen auf dem Parteitag wurden dagegen vier andere Kandidaten formell bestätigt: die Parlamentsabgeordneten Sokratis Famellos und Pavlos Polakis, der Europaabgeordnete Nikolas Farantouris und der Schauspieler Apostolos Gletsos. Doch nach Einschätzung von Beobachtern wird keiner von ihnen in der Lage sein, die ehemals starke "Koalition der radikalen Linken" wieder zu vereinen und wieder in das politische Rampenlicht zurückzuführen. 

Der "Diener" einer neuen Partei  

Der abgesetzte Parteivorsitzende Kasselakis kündigte daraufhin am Samstag (9.11.2024) die Gründung einer neuen Partei an. Vor einer jubelnden Menge erklärte er, dass Syriza ihr demokratisches Kapitel abgeschlossen habe und eine neue Kraft entstehen müsse. "Heute ist ein Freudentag, denn es entsteht eine Bewegung der Demokratie, der freien Bürger und des Fortschritts", sagte er und wünschte den Verbleibenden in Syriza "viel Glück".

Ein Wahlplakat der Partei DIEM25 zeigt das Porträt des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. Ein Passant mit Einkaufstüte geht an dem Wahlplakat vorbei
Syriza zerfällt immer mehr: Das ehemalige Parteimitglied Yanis Varoufakis hat inzwischen mit DIEM25 eine eigene linke Partei gegründet, die bei der Europawahl 2024 antratBild: ANGELOS TZORTZINIS/AFP

Kasselakis Auftritt wurde begleitet von der Sängerin Sophia Vossou, die ihr Lied "Es wird wie Frühling sein" vortrug. Als Frühling präsentierte dann auch der Politiker die Gründung seiner neuen Partei, die eine offene Partei sein werde, progressiv und unabhängig. "Wir schaffen eine Bewegung aus der Gesellschaft für die Gesellschaft", erklärte er. Seine Anhänger sollten auch über den Namen der neuen Partei entscheiden. "Die Partei wird euer sein, und ich werde euer Diener sein", so Kasselakis.

Populistische Parolen 

Die neue Partei soll nach Worten ihres Gründers "populär und nicht elitär" sein. Sie soll auch rechte Bürger ansprechen, die "vielleicht nicht mit dem Interventionismus bei den Staatsausgaben einverstanden sind, oder mit unserer Haltung zu vielen sozialen Fragen, aber die wollen, dass dieses Land rechtsstaatlich ist, Reformen durchführt und soziale Gerechtigkeit durchsetzt".

Kasselakis Ideen für die neue Partei sind nicht besonders neu: ein bisschen wirtschaftsfreundlich, ein bisschen nationalistisch, ein bisschen "gegen Brüssel" und keine Spur von links. Doch ob er es damit schafft, eine breite Wählerschaft anzusprechen, muss sich erst erweisen. Sehr wahrscheinlich ist es aber nicht, denn es gibt genügend populistische Parteien in Griechenland, der Wettbewerb wird entsprechend hart sein. 

Vier Mandate weniger

Mit Kasselakis verließen vier der 35 Abgeordneten die Syriza-Fraktion. Damit verfügt die Oppositionspartei noch über 31 Mandate im 300-Sitze-Parlament Griechenlands, soviel wie die sozialdemokratische Pasok-Partei. Es wird jedoch erwartet, dass weitere Abgeordnete die Fraktion verlassen werden und Pasok damit die neue stärkste Oppositionsfraktion wird.

Ein Mann (Nikos Androulakis) steht an einem Rednerpult mit ausgebreiteten Armen und spricht in zwei Mikrofone. Vor ihm wird die grüne Fahne der Pasok-Partei mit weißer Aufschrift geschwenkt
Der Vorsitzende der Pasok, Nikos Androulakis, im Sommer 2023 bei einer Rede. Bei der Parlamentswahl 2023 wurde er für die Stadt Thessaloniki ins griechische Parlament gewählt Bild: Stefanos Rapanis/ANE/Eurokinissi/picture alliance

Bei der letzten Parlamentswahl im Juni 2023 hatte die Pasok nur 11,84 Prozent der Stimmen enthalten und es sah nicht so aus, als ob sie zu ihrer alten Kraft als jahrelange Regierungs- oder starke Oppositionspartei zurückfinden könnte. Inzwischen hat sich Pasok etwas erholt und Syriza sich selbst demontiert.   

Der unsichtbare Alexis Tsipras

Syriza hatte die Wahl im Juni 2023 dramatisch verloren und war von 31 auf 17 Prozent gefallen. Ihr Vorsitzender Alexis Tsipras war zurückgetreten, sein Nachfolger, der Reeder und Bankier Kasselakis mit Wohnsitz in den USA aus dem Nichts an die Spitze der Partei gewählt worden. Seitdem ist die Partei in giftige Machtkämpfe verwickelt. Im November 2023 verließen Hunderte von Mitgliedern Syriza, darunter elf Parlamentsabgeordnete, und gründeten die Partei Neue Linke, die es jedoch nicht schaffte, bei den Europawahlen 2024 über die Drei-Prozent-Hürde zu springen. Auch für Syriza waren die Europawahlen ein Desaster, sie fiel auf unter 15 Prozent.  

Ein Mann (Alexis Tsipras) in einem dunklen Anzug und mit offenem Hemdkragen steht an einem Rednerpult und gestikuliert beim Sprechen
Der ehemalige Ministerpräsident (2015-2019) und Syriza-Chef Alexis Tsipras im Juni 2023Bild: Michalis Karagiannis/Eurokinissi/ANE/IMAGO

Diese Niederlage, kombiniert mit Kasselakis Narzissmus und seinen Ansichten über Wirtschaft, NATO und Israel, die als weit entfernt von denen der Linkspartei angesehen werden, hatte die neue Krise und die nächste Spaltung quasi vorprogrammiert. Nun ist diese Spaltung da und die Situation der ehemals größten Partei der Europäischen Linken scheint irreparabel zu sein. 

Und was tut Alexis Tsipras? Der ehemalige Parteichef, der nach der Niederlage bei den Wahlen im Juni 2023 zurückgetreten war,  sieht dem Zerfall seiner Partei seit 15 Monaten zu, ohne sich einzumischen. Er erscheint nicht auf Parteitagen, erlaubt es aber Genossen, in seinem Namen zu sprechen. Wie andere ehemalige Ministerpräsidenten in Griechenland gründete er ein Institut, das seinen Namen trägt.

Statt mit Syriza befasst sich Tsipras nun mit dem Balkan und versucht, auf internationalen Foren Ideen zur Bewältigung der Krisen in der Region vorzuschlagen. Vielleicht hofft er, irgendwann als Retter der progressiven Kräfte wieder auf die politische Bühne zurückkehren zu können.

Foto-Porträt einer Frau mit braunen Haaren, blauen Blazer und grauem T-Shirt
Kaki Bali DW-Korrespondentin in Griechenland