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Griechenland: Tumulte auf Syriza-Parteitag

Kaki Bali (aus Athen)
26. Februar 2024

Auf ihrem Parteitag wollte die linke Syriza-Partei in Griechenland zum Gegenangriff blasen. Stattdessen gab es Tumulte und Streit. Der neue Vorsitzende konnte sich zwar behaupten, aber es droht weitere Spaltung.

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Ein Delegierter liest am 3. Tag des Parteitags von Syriza am 24.02.2024 in einer Zeitung. Die Schlagzeile lautet: "Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl" (die voraussichtlich im Jahr 2025 stattfinden wird)
Delegierte beim Parteitag der Syriza im Taekwondo-Stadion von AthenBild: George Schinas/NurPhoto/picture alliance

Mit ihrem Parteitag wollte Syriza, das Bündnis der radikalen Linken in Griechenland, ihre Mitglieder und Wähler zu einem "progressiven Gegenangriff" aufrufen. Stattdessen konnte man live die weitere Zerlegung der größten griechischen Oppositionspartei verfolgen. Im Taekwondo-Stadion bei Athen herrschte während des viertägigen Parteitags (23.02.-26.02.2024) eine Atmosphäre der Feindseligkeit, der Beschimpfungen und Buh-Rufe. Von neuen politischen Ideen war nicht viel zu hören und zu spüren. Im Gegenteil: Stefanos Kasselakis ist erst seit fünf Monaten neuer Vorsitzender von Syriza. In der kurzen Zeit ist es ihm gelungen, sogar Parteifunktionäre, die ihn bei den Wahlen im September 2023 unterstützt hatten, gegen sich aufzubringen. 

"Unvermittelt mit dem Volk"

Kasselakis, ein junger Ex-Banker mit Wohnsitz in den USA und bekennender Schwuler, war im vergangenen Herbst quasi aus dem Nichts gekommen und hatte praktisch aus dem Stand die Wahl zum neuen Syriza-Vorsitzenden gewonnen. Seine Gegenkandidatin war die ehemalige Arbeitsministerin und enge Mitarbeiterin von Alexis Tsipras, die Juristin Effie Achtsioglou aus Thessaloniki. Dieser Überraschungserfolg ist damit zu erklären, dass Kasselakis als unbeschriebenes Blatt wahrgenommen wurde, auf das viele Syriza-Anhänger projizieren konnten, was sie wollten. Sein großes Versprechen war, Premierminister Kyriakos Mitsotakis von der mächtigen Nea Dimokratia zu schlagen. Seine politischen Ideen jedoch waren im September 2023 noch nicht erkennbar und sind es auch heute nicht. Sein Führungsstil ist für die traditionelle Linke eher ungewöhnlich. Er redet "unvermittelt mit dem Volk”, er hat keine Lust, sich mit den Parteigremien zu beraten. 

Der Vorsitzende von Syriza, Stefanos Kasselakis, steht beim Parteitag in Athen am 24.02.2024 am Rednerpult und gestikuliert. Der Hintergrund ist rot mit dem Logo der Syriza-Partei
Der Vorsitzende von Syriza, Stefanos Kasselakis, beim Parteitag in Athen am 24.02.2024Bild: George Schinas/NurPhoto/picture alliance

Der erste Riss in der Partei kam wenige Wochen nach seiner Wahl, als elf Abgeordnete - darunter die unterlegene Achtsioglou und weitere ehemalige Ministerinnen und Minister der Regierung von Alexis Tsipras - Syriza verließen und eine parlamentarische Gruppe namens "Neue Linke" gründeten. 

Der zweite Riss wäre beinahe beim Parteitag vom vergangenen Wochenende gekommen, als Kasselakis unvermittelt forderte, bis zur Parlamentswahl 2027 jede Politik verfolgen zu dürfen, die er für richtig halte, auch wenn dies Syriza bei der bevorstehenden Europawahl eine krachende Niederlage bescheren sollte. 

Intervention von Alexis Tsipras

Wenige Stunden vor dem Parteitag hatte sich der Ex-Vorsitzende Alexis Tsipras via Facebook zu Wort gemeldet und gefordert, dass Kasselakis sich einem Vertrauensvotum der Parteibasis stellen müsse. Syriza befinde sich seit langem in einer anhaltenden und tiefen Krise, betonte Tsipras, und sprach davon, dass "Selbstsucht, Narzissmus, die Verletzung der Prinzipien der Kollektivität und der Kameradschaft" die Parteiorganisation gelähmt hätten.

Kasselakis reagierte auf Tsipras' Intervention wie ein Gladiator oder ein Boxer: "Findet mir einen Gegner und lasst uns zur Wahl gehen", prahlte er vor den Delegierten.

Die Abgeordnete Olga Gerovasili in schwarzer Hose und weißem Jackett ist von hinten am Rednerpult zu sehen, während sie zu den Delegierten des Syriza-Parteitags spricht
Die Abgeordnete Olga Gerovasili spricht zu den Delegierten beim Syriza-Parteitag im Februar 2024Bild: George Schinas/NurPhoto/picture alliance

Als einzige Herausforderin stieg Olga Gerovasili, ehemalige Ministerin, Vizepräsidentin des Parlaments und enge Vertraute von Tsipras, in den Ring. Voller Sorge warnte sie, dass die Abwärtsspirale der Partei gestoppt werden müsse und dass die Rolle des Vorsitzenden darin bestehe, "Brücken und nicht Mauern zu bauen". Viele Delegierte beschimpften sie daraufhin, andere feuerten sie an. Es herrschte eine Atmosphäre wie bei einem Boxkampf. 

Verlierer auf allen Seiten 

Am Ende entschied sich der Parteitag gegen eine Neuwahl des Vorsitzenden. Und so gab es nach dieser öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Kasselakis und seinen Anhängern auf der einen Seite und den traditionellen Parteifunktionären und Mitgliedern auf der anderen keine Gewinner. Der Parteitag von Syriza führte eher dazu, dass alle Seiten Verluste verbuchten und den größten Schaden die Partei selbst erlitt, deren öffentliches Image durch die Tumulte im Taekwondo-Stadion schwer beschädigt wurde.

Stefanos Kasselakis verlor zwar durch sein arrogantes Auftreten das Vertrauen eines großen Teils der Partei, seine innerparteilichen Gegner waren jedoch unfähig, eine politische Alternative zu präsentieren. Und auch der von vielen geschätzte und sogar verehrte Parteigründer und ehemalige Vorsitzende Alexis Tsipras ist nicht mehr unumstritten. 

Kommt die nächste Spaltung?

Es ist durchaus möglich, dass es in den kommenden Tagen zu einer weiteren Spaltung von Syriza kommt oder dass immer mehr Parteimitglieder sich verbittert aus der Politik zurückziehen.

Immer noch ist Syriza die größte Oppositionspartei im griechischen Parlament, aber die Fraktion ist nach der Spaltung Ende November 2023 von 47 auf 36 Abgeordnete (von 300) geschrumpft. Und alle Umfragen zeigen, dass bei den bevorstehenden Europawahlen Anfang Juni eine weitere Niederlage drohen könnte.

Stefanos Kasselakis, umringt von Journalisten und Parteifreunden, hebt die Hand und winkt siegesgewiss am 18.09.2023, kurz vor seiner Wahl zum Vorsitzenden von Syriza
Der griechische Reeder und Millionär Stefanos Kasselakis wurde im September 2023 zum neuen Vorsitzenden der Syriza gewähltBild: Costas Baltas/AA/picture alliance

Laut der letzten Erhebung, die vor dem Parteitag erschien, käme die regierende Nea Dimokratia auf 34,3 Prozent und Syriza auf 12,5 Prozent. Die - halb wiederauferstandene - sozialdemokratische Pasok könnte 14,6 Prozent Zustimmung erringen und die Kommunistische Partei KKE 9,4 Prozent. Die drei Parteien, die bisher aus den Spaltungen von Syriza hervorgegangen sind ("Neue Linke", "Plefsi Eleftherias" und DiEM25 von Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis), kämen zusammen auch auf 9,4 Prozent, aber sie würden kämpfen müssen, um jede für sich die Dreiprozent-Hürde zu überwinden. 

Düstere Vorhersage

Nach dem Desaster dieses Parteitags scheinen sogar die prognostizierten 12,5 Prozent für Syriza zu optimistisch. Die meisten politischen Beobachter sagen voraus, dass die Partei bald einstellig werde, wenn sie sich weiter zerfleischt. Als regierungsfähige Partei in Griechenland und als führende linke Partei in Europa wäre sie dann nicht mehr relevant. 

Der damalige Parteichef Alexis Tsipras steht am 18.06.2023 bei einer Pressekonferenz seiner Partei an einem Rednerpult und gestikuliert während er spricht
Parteigründer Alexis Tsipras hat sich nach seiner Niederlage bei den Parlamentswahlen im Juni 2023 von der Spitze der Syriza zurückgezogenBild: Michalis Karagiannis/Eurokinissi/ANE/IMAGO

Dabei war Syriza noch vor zehn Jahren die große Hoffnung für das krisengebeutelte griechische Volk und auch für die europäische Linke. Auf dem Gipfel der Wirtschaftskrise 2015 konnte die radikale Linke die Wahlen gewinnen und das Land regieren. Der größte Erfolg der Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras war, Griechenland aus der Krise zu führen, mit einer Politik, die zum großen Teil von den europäischen Gläubigern diktiert wurde. Eigentlich war die griechische Linke da erfolgreich, wo die zwei bis dahin immer wieder abwechselnd regierenden Parteien, die konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok, versagt hatten. Für die Zeit nach der Krise hatte Syriza jedoch kein überzeugendes Narrativ - und verlor die Wahlen von 2019 relativ knapp mit fast 32 Prozent Zustimmung. Auch mit ihrer anschließenden Oppositionsarbeit konnte die Partei nicht überzeugen und verlor die Wahlen von 2023 katastrophal: Sie erreichte nur noch knapp 18 Prozent. Nach dieser verheerenden Niederlage musste der Vorsitzende Alexis Tsipras zurücktreten. Wenn sich der Abwärtstrend nicht stoppen lässt, wird von seiner einst populären Partei nicht mehr viel übrig bleiben.

Foto-Porträt einer Frau mit braunen Haaren, blauen Blazer und grauem T-Shirt
Kaki Bali DW-Korrespondentin in Griechenland