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Griechenland und Türkei wollen Handel verdoppeln

14. Mai 2024

Mehr Wirtschaft, weniger Politik: Trotz Spannungen wollen Präsident Erdogan und Griechenlands Premier Mitsotakis ihre Wirtschaftsbeziehungen intensivieren. Der befürchtete Eklat zwischen beiden Regierungschefs blieb aus.

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Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis(links) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stehe an Rednerpulten aus Holz. Mitsotakis spricht und gestikuliert. Hinter den Beiden sind griechische und türkische Fahnen aufgereiht
Gemeinsames Statement trotz Meinungsverschiedenheiten: Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis Links) und der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (rechts) bei einer Pressekonferenz in AnkaraBild: Burhan Ozbilici/AP Photo/picture alliance

Es gibt unzählige Belastungen in den griechisch-türkischen Beziehungen. Am schwierigsten sind der Streit um die maritimen Grenzen zwischen beiden Ländern und die immer noch ungelöste Zypern-Frage - 50 Jahre nach der türkischen Invasion auf dem Inselstaat im östlichen Mittelmeer.

Oft waren die Spannungen zwischen Athen und Ankara so groß, dass es nach militärischer Auseinandersetzung roch. Aber vor eineinhalb Jahren beschlossen die beiden Regierungen, den Dialog zu suchen - mit positiven Folgen.

So gibt es seit 18 Monaten fast keine Flüge türkischer und griechischer Kampfjets über der Ägäis mehr. Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hörte weitgehend auf, Athen verbal zu drohen. Im Dezember 2023 hatte er die griechische Hauptstadt besucht und dabei mit Premier Kyriakos Mitsotakis ein Freundschaftsabkommen unterzeichnet.

Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis schüttelt die Hand des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei dessen Besuch in Athen im Dezember 2023
Besuch in Athen: Bereits im Dezember 2023 empfing der griechische Ministerpräsident Mitsotakis (l.) den türkischen Präsidenten Erdogan in GriechenlandBild: Aristidis Vafeiadakis/ZUMA Wire/IMAGO

Am Montag (13.05.2024) nun fand der Gegenbesuch des griechischen Regierungschefs in der türkischen Hauptstadt Ankara statt. Als dieses Treffen Anfang 2024 vereinbart worden war, waren die Erwartungen an eine Vertiefung der Freundschaft noch relativ hoch.

Mittlerweile herrscht Ernüchterung. Denn der große Durchbruch blieb bislang aus. Eine Lösung für die Seegrenzen durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist immer noch nicht in Sicht. Auch in der Zypern-Frage gibt es keine Fortschritte.

Trotzdem bemühen sich Mitsotakis und Erdogan, das relativ positive Klima - "die ruhigen Gewässer" - nicht zu gefährden. Nach ihrem Treffen im Präsidentenpalast erschienen die beiden entschlossen, die "positive Agenda" in den bilateralen Beziehungen voranzutreiben. Sie sprachen von einer zufriedenstellenden Zusammenarbeit in den Bereichen Tourismus und Handelsbeziehungen sowie beim Umgang mit Naturkatastrophen. 

Fast ein Eklat wegen Hamas

Die beiden Regierungschefs spielten fast alle ihre Uneinigkeiten herunter, mit einer Ausnahme: ihre gegensätzliche Haltung gegenüber dem Krieg in Gaza und der Hamas .

Rauchwolken steigen nach einem israelischen Luftangriff auf die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen auf. Im Vordergrund ist eine Mauer zu sehen, die das palästinensische vom ägyptischen Rafah trennt.
Angriff auf Rafah: Israel bombardiert den südlichen GazastreifenBild: -/AFP

Während der griechische Premier vom Verteidigungsrecht Israels sprach und sich besorgt über die humanitäre Katastrophe in Gaza äußerte, beschuldigte der türkische Präsident Israel des Völkermords. Er wies auch die Einstufung der Hamas als Terrororganisation zurück. 

"Hamas ist eine Widerstandsorganisation", sagte Erdogan. "Es ist ein brutaler Ansatz, diejenigen, die versuchen, ihr Volk zu schützen, als Terroristen zu brandmarken." 

Mitsotakis wollte das Bild dieser intensiven Meinungsverschiedenheit vor laufenden Kameras nicht so stehen lassen und sagte: "Beim Thema Hamas sind wir anderer Meinung. Aber wir sind uns einig, dass ein sofortiger Waffenstillstand notwendig ist, und zwar vor allem zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung."  

Annäherung zahlt sich aus

Mitsotakis und Erdogan vermittelten bei ihrem Treffen die Botschaft, dass sie sich lieber auf die Themen konzentrieren möchten, bei denen sie sich einig sind. Der griechische Premierminister sprach von "produktiver Normalität" in seiner Zusammenarbeit mit dem türkischen Präsidenten, den er in den vergangenen zehn Monaten vier Mal getroffen hat.

Die positiven Ergebnisse der griechisch-türkischen Annäherung seien "greifbar". Dazu gehöre die Zusammenarbeit bei der Abwendung einer neuen Flüchtlingskrise, aber auch eine Erleichterung der Visavergabe für türkische Staatsbürger, die bestimmte griechische Inseln besuchen möchten.

Es sei wichtig, die Zusammenarbeit auf dem See- und Landweg weiter zu vertiefen, um irreguläre Migration zu verhindern. Erdogan seinerseits sprach sich für eine noch engere Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden bei der Bekämpfung des Terrorismus aus. 

Beide Politiker bekräftigten ihr im Dezember gesetztes Ziel, das Volumen des bilateralen Handels in den kommenden fünf Jahren auf zehn Milliarden Dollar zu verdoppeln, und sie zelebrierten die Gründung eines griechisch-türkischen Wirtschaftsrats.

Sie unterschrieben außerdem ein Memorandum zur Zusammenarbeit bei der Bewältigung von Naturkatastrophen, das sich auf die wechselseitige Solidarität beider Länder bei Erdbeben stützt. 

Zypern-Konflikt weiter ungelöst 

Obwohl Erdogan immer wieder betonte, dass es "zwischen Griechenland und der Türkei keine Probleme gibt, die nicht gelöst werden können - egal, wie groß sie sind", war es klar, dass beide Länder in Bezug auf wichtige Fragen weit auseinanderliegende Positionen vertreten.

So forderte der türkische Präsident eine "faire Lösung" für die Zypern-Frage. Ohne es auszusprechen, meinte er damit eine "Lösung zweier unabhängiger Staaten". Für Griechenland, Zypern und die Vereinten Nationen ist die einzig akzeptable Lösung die Wiedervereinigung der Insel.

Im Vordergrund des Bildes ein mit Stacheldraht gekrönter Drahtzaun. Dahinter sind verlassene Gebäude in der Hauptstadt Nikosia und ein Wachhäuschen zu sehen
Die Grenze zwischen türkischem und griechischem Teil Zyperns verläuft mitten durch die Hauptstadt NikosiaBild: Florian Schmitz/DW

Erdogan sprach auch von einer "türkischen Minderheit" in Griechenland, die eine "Brücke der Freundschaft" zwischen den beiden Völkern darstelle. Für den griechischen Staat dagegen existiert keine türkische, sondern lediglich eine muslimische Minderheit.

Denn so wird die Bevölkerungsgruppe im Vertrag von Lausanne, der 1923 das Verhältnis zwischen beiden Ländern regelte, ausdrücklich charakterisiert. Mitsotakis sagte, dass "die durch den Vertrag von Lausanne definierten Minderheiten in unseren Ländern eine Brücke der Freundschaft" seien und bezog sich damit auf die ständig schrumpfende griechische Minderheit in Istanbul. 

Chora-Kirche wird zur Moschee 

Besonders unangenehm war für den griechischen Premierminister die Entscheidung Erdogans, das berühmte Chora-Kloster in eine Moschee umzuwandeln. Die Chora-Kirche war eine der schönsten byzantinischen Kirchen Istanbuls, UNESCO-Weltkulturerbe und bis vor kurzem ein Museum.

Seitenansicht der Chora-Kirche mit Apsis und Kuppeldach. Hinter der griechisch-orthodoxen Kirche ragt ein Minarett in den Himmel. Das Gebäude ist von Bäumen umgeben
Weltkulturerbe: Die orthodoxe Chora-Kirche in Istanbul wurde in eine Moschee umgewidmetBild: Martin Siepmann/picture alliance

Ihre Umwidmung zur Moschee hatte Erdogan zehn Tage vor dem Besuch des griechischen Premiers gefeiert. Mitsotakis hatte daraufhin angekündigt, dass er mit Erdogan über dieses Thema sprechen werde.

Nach dem Treffen sagte er, dass er dem türkischen Präsidenten gegenüber seine Trauer über die Umwandlung der Kirche zum Ausdruck gebracht habe, fügte jedoch hinzu, dass es zumindest sehr wichtig sei, "den besonderen kulturellen Wert des Denkmals zu bewahren, damit es von allen besichtigt werden kann".

Erdogan erklärte, die "Kariye Moschee" werde für jedermann zugänglich sein. In Griechenland hofft man, dass die herausragenden Mosaiken des Klosters, die mit viel Mühe restauriert wurden, nicht ständig mit Tüchern verhängt werden.

Foto-Porträt einer Frau mit braunen Haaren, blauen Blazer und grauem T-Shirt
Kaki Bali DW-Korrespondentin in Griechenland