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Frustration und Wut in Griechenland vor der Wahl

Kaki Bali Athen
3. Mai 2023

Die Parteien in Griechenland sind im Wahlkampfmodus, aber das Wahlvolk scheint nur mäßig interessiert. Bei der letzten Wahl 2019 lag die Wahlbeteiligung unter 58 Prozent, diesmal könnte sie noch weiter fallen.

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Griechenland Wahlkampf | Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis
In Griechenland wird am 21. Mai gewählt. Ministerpräsident Mitsotakis kämpft um seine WiederwahlBild: Giorgos Kontarinis/Eurokinissi/ANE Edition/IMAGO

Nach einer ganzen Reihe schwerer Krisen (Wirtschaftskrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Pandemie-Krise, Energiekrise) ist die Sehnsucht der Menschen in Griechenland nach Normalität und Stabilität groß. Ihre Hoffnungen aber, dass die Politik ihnen dazu verhelfen kann, sind begrenzt. Das zeigen ihre Antworten auf die Frage, die ihnen das Meinungsforschungsinstitut MRB in seiner Umfrage vom 27.04.2023 gestellt hat: "Welches Wort drückt Ihre Erwartung für die Zukunft des Landes am besten aus?" 42,7 Prozent der Befragten wählten die Worte "Resignation/Frustration", gefolgt von "Wut" (40,7 Prozent). "Vertrauen" haben dagegen nur 13 Prozent. Fast zwei Wochen vor dem Urnengang zeigen die Umfragen, dass die Bürgerinnen und Bürger der konservativen Regierung unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis wenig und der größten Oppositionspartei unter dem Ex-Premierminister Alexis Tsipras noch weniger vertrauen.

Die Konservativen führen in den Umfragen 

In Griechenland sind Umfragen ein beliebtes Instrument - manchmal dienen sie auch als "Waffe" in der politischen Auseinandersetzung. Wöchentlich werden mehrere Umfragen publiziert, oft von Parteien inoffiziell in Auftrag gegeben. Parteien und Journalisten nehmen jede Schwankung sehr ernst, die Ergebnisse der Umfragen landen oft auf der ersten Seite von Zeitungen.

SYRIZA-Chef Alexis Tsipras spricht bei einer Wahlveranstaltung in Thessaloniki am 22.04.2023, umringt von Zuhörern
SYRIZA-Chef Alexis Tsipras bei einer Wahlveranstaltung in Thessaloniki am 22.04.2023Bild: Vasilis Ververidis/MotionTeam/ANE Edition/IMAGO

Bei allen Umfragen hat die regierende konservative Nea Dimokratia (ND) einen mehr oder weniger knappen Vorsprung - und das wird von ihr entsprechend gefeiert. Je nach Meinungsforschungsinstitut bekommt die ND zwischen 29 und 32 Prozent der Stimmen, SYRIZA (Koalition der radikalen Linken) 24 bis 27 Prozent. An dritter Stelle steht die sozialistische PASOK (Panhellenische Sozialistische Bewegung) mit 8,5 bis 11 Prozent, gefolgt von der KKE (Kommunisten) mit 5,5 bis 7 Prozent. Die Partei von Ex-Finanzminister Janis Varoufakis, MeRA 25 (DiEM25) liegt abgeschlagen bei 3,5 bis 4,5 Prozent. Das Schlusslicht bilden die beiden rechtsextremen Parteien Elliniki Lysi (Griechische Lösung), eine rechte Partei, die der deutschen AfD ähnelt, und die Nachfolgerin der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte mit jeweils um die drei Prozent. Zehn Prozent der Wähler haben sich noch nicht entschieden. Die Sperrklausel für den Einzug ins Parlament liegt in Griechenland bei drei Prozent.  

Wenig Chancen für Regierungsbildung 

Wenn die Umfragen nicht falsch liegen - was in den vergangenen Jahren öfter vorgekommen ist - gibt es nach der Wahl sehr begrenzte Möglichkeiten für eine Regierungsbildung. Voraussichtlich wird keine Partei allein regieren können. Stattdessen wird eine Regierungskoalition gebildet werden müssen. Ministerpräsident Mitsotakis hat klargemacht, dass er das nicht will. Darum setzt er auf einen zweiten Urnengang, dann mit einem anderen Wahlsystem. SYRIZA dagegen will versuchen, eine sogenannte "progressive Koalition" zu schmieden. Parteichef Tsipras würde gern zusammen mit den Sozialdemokraten von PASOK regieren, allerdings bräuchten die zwei Parteien dafür 151 von 300 Sitzen im Parlament, was im Moment eher unwahrscheinlich ist.

Die Geheimnisse des griechischen Wahlrechts

In Griechenland wird das Wahlrecht sehr oft geändert, jede Veränderung aber laut Verfassung erst nach der nächsten Wahl angewendet. So gibt es bei der Wahl am 21. Mai zum ersten Mal keinen Bonus für die stärkste Partei, da die bis 2019 amtierende SYRIZA-Regierung diese Regelung abgeschafft hatte. Die derzeit regierende Nea Dimokratia hatte den Bonus wieder eingeführt. Er tritt aber noch nicht bei der kommenden, sondern erst bei der darauffolgenden Wahl wieder in Kraft. Der Sieger wird dann 50 zusätzliche Mandate erhalten. Mit Blick auf diese Wahlrechtsänderung hofft Mitsotakis, dass nach der Wahl am 21. Mai keine Regierung gebildet werden kann und daher für den 2. Juli Neuwahlen anberaumt werden, die er mit Hilfe der Bonusmandate gewinnen will.

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis stellt am 26.04.2023 in Athen sein Regierungsprogramm vor
Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis stellt am 26.04.2023 in Athen sein Regierungsprogramm vorBild: Giorgos Kontarinis/Eurokinissi/ANE/picture alliance

Falls es für die ND aber auch dann nicht für die absolute Mehrheit reicht, möchten die Konservativen im September erneut wählen lassen. Sie hoffen, dass die Angst der Bürger und Bürgerinnen vor der Unregierbarkeit dazu führt, dass sie dann mehrheitlich der ND ihre Stimme geben. 

Regierung verspricht Stabilität 

Schon jetzt warnt Nea Dimokratia vor dem "Chaos", falls sie nicht weiterregieren kann. Mit dem Wahlslogan "Stabilität - Kühnheit - Vorwärts" versucht ihr Parteichef Mitsotakis, die Wähler und Wählerinnen zu überzeugen, dass er der Geeignete für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes ist. Er verspricht Lohnerhöhungen, einen funktionierenden Staat und ein besseres Gesundheitssystem.  Während seiner Regierungszeit 2019-2023 konnte Mitsotakis Investoren nach Griechenland holen, die Digitalisierung vorantreiben und eine heiße Auseinandersetzung mit dem Nachbarn Türkei vermeiden. Er konnte auch viel Geld in Form von Unterstützungsprogrammen wegen der Pandemie und der hohen Energiepreise an Betriebe und Familien verteilen. Aber die Effizienz seiner Regierung während der Pandemie, der Brandkatastrophen 2021 und der Energie- und Inflationskrise 2022 erwies sich als begrenzt.

Zugunglück und Abhöraffäre

Noch schlimmer war ihre Performance beim verheerenden Zugunglück in Tempi Anfang März 2023. Damals kamen mindestens 57 Menschen ums Leben. Hunderte wurden verletzt. Ein weiteres Minus in der Bilanz der Regierung ist der absolute Stillstand bei der Aufklärung der Abhöraffäre. Der Regierung ist es gelungen, mit Hilfe der extrem regierungsfreundlichen Medien den schwerwiegenden Abhörskandal kleinzureden. Nur das Europaparlament, wenige Journalisten und Nikos Androulakis, der Chef von PASOK, der das prominenteste Opfer des Lauschangriffs war, pochen immer noch auf Aufklärung. 

Demonstranten protestieren in Thessaloniki nach dem Zugunglück von Tempi, bei dem Dutzende Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden.
Das Zugunglück von Tempi hatte zu wochenlangen Protesten gegen die Regierung geführtBild: Florian Schmitz/DW

Natürlich vergisst auch SYRIZA nicht, Mitsotakis wegen der Abhöraffäre und deren Vertuschung zu attackieren. Hauptslogan der größten Oppositionspartei ist "Gerechtigkeit überall", mit dem sie sich als Anwalt der kleinen Leute präsentiert. Alexis Tsipras versucht die Bürger zu überzeugen, dass eine "Koalition der progressiven Kräfte" Griechenland besser durch die schwierigen Zeiten der Energie-, Inflations- und Klimakrise führen kann, als die Regierung Mitsotakis, die sich "nur um ihre Freunde und die wenigen Reichen im Land kümmert".  

Schlammschlacht statt Argumente 

Ob und wer am Ende genug Bürger erreichen wird, um nach der Wahl eine Regierung zu bilden, ist noch offen. Klar dagegen ist bereits, dass die Polarisierung der griechischen Gesellschaft wachsen wird, auch wegen des sehr niedrigen Niveaus der politischen Auseinandersetzung. Die öffentliche Diskussion wird seit Monaten von Skandalen, Fake News und Schlammschlachten dominiert. Besonders in den sozialen Medien gibt es kaum Platz für den Austausch von Argumenten. Immer mehr Menschen denken, dass "alle Politiker gleich sind" - und dies spricht nicht für eine hohe Wahlbeteiligung beim Urnengang am 21. Mai. 

Foto-Porträt einer Frau mit braunen Haaren, blauen Blazer und grauem T-Shirt
Kaki Bali DW-Korrespondentin in Griechenland