Verdächtiger Spion
22. Mai 2007Der britische Premierminister Tony Blair hat Russland dazu aufgerufen, die "Regeln des Gesetzes" zu respektieren und den im Fall Litwinenko verdächtigten Russen Andrej Lugowoi auszuliefern. Die britische Staatsanwaltschaft hatte Lugowoi am Dienstag (22.5.07) offiziell des Mordes an dem Ex-Spion Alexander Litwinenko beschuldigt und eine Anklage empfohlen.
Blairs Sprecher unterstrich Russlands "wichtige Rolle" in den internationalen Beziehungen. Die politischen und wirtschaftlichen Verbindungen seien wichtig und müssten beibehalten werden. Die russische Staatsanwaltschaft hatte eine Auslieferung bereits abgelehnt. Lugowoi sei Bürger der Russischen Föderation und könne damit gemäß der Verfassung nicht an ein anderes Land ausgeliefert werden, hießt es.
"Negative Auswirkungen"
Der außenpolitische Sprecher der Staatsduma, Konstantin Kossatschow, warnte vor einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen London und Moskau. "Sollten wir zu der Überzeugung kommen, dass die Schlussfolgerungen der Briten politisch und nicht juristisch sind, so hätte das äußerst negative Auswirkungen auf unsere Beziehungen", sagte Kossatschow nach Angaben der Agentur Interfax.
Die britische Staatsanwaltschaft hatte ein halbes Jahr nach dem mysteriösen Tod des russischen Ex-Agenten und Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko in London eine Anklage gegen den Ex-KGB-Offizier Lugowoi empfohlen. Es gebe "genügend Hinweise" auf einen Giftmord, teilte die Behörde am Dienstag in London mit. Die Staatsanwaltschaft stellte Haftbefehl aus.
Eine Tasse Tee
Lugowoi machte nach Ende der Sowjetunion im Umfeld des umstrittenen Finanz-Magnaten Boris Beresowski Karriere und ist mittlerweile selbst erfolgreicher Unternehmer. Der athletische Ex-Leibwächter traf Litwinenko am 1. November zu einer Tasse Tee in einem Londoner Hotel - 22 Tage, bevor Litwinenko einer schleichenden Vergiftung durch die radioaktive Substanz Polonium 210 erlag.
Die Polizei fand Spuren von Polonium 210 in Lugowois Privatflugzeug und in seinem Londoner Hotelzimmer. Der Mittvierziger bestreitet, etwas mit Litwinenkos Tod zu tun zu haben. Er behauptet, jemand wolle ihm mit dem Londoner Geheimdienstkrimi einen Strick drehen. Dass Lugowoi eine Figur mit Kontakten zu eher zweifelhaften Milieus ist, hat er selbst einmal in einem Rundfunk-Interview zu erkennen gegeben. Im Restaurant setze er sich niemals mit dem Rücken zum Eingang, sagte er damals.
Alte Seilschaften
Lugowoi ist der Sohn eines sowjetischen Militärs. Ab 1987 besuchte er die Militärakademie des Obersten Sowjets, später kommandierte er eine für die Sicherheit des Kreml zuständige KGB-Einheit. Nach dem Ende der UdSSR im Jahr 1991 diente er weiterhin als Personenschützer der Kreml-Spitze. 1996 quittierte er den Staatsdienst und wurde Chef des Sicherheitsdiensts des von Beresowski betriebenen Fernsehsenders ORT.
Im Zuge des Privatisierung der Wirtschaft in den 90er Jahren nutzten die häufig aus dem kommunistischen Parteiapparat stammenden Finanz- und Industriemagnaten eigene, oft aus früheren KGB-Leuten bestehende Sicherheitsdienste, um Partnern zu helfen oder konkurrierende Oligarchen auszuspionieren, zu kompromittieren und in die Knie zu zwingen. Beresowskis Stern begann unter Wladimir Putin zu sinken. Die Justiz warf dem Milliardär vor, Devisen der von ihm mehrere Jahre lang kontrollierten staatlichen Fluggesellschaft Aeroflot zu seinen Gunsten in eine Schweizer Firma investiert zu haben. Der ehemalige Aeroflot-Vizedirektor Nikolai Gluschkow kam in Untersuchungshaft.
Gewaltsamer Befreiungsversuch
Im April 2001 versuchte Lugowoi zusammen mit einigen Getreuen, Gluschkow gewaltsam aus dem Krankenhaus zu befreien, in dem er damals behandelt wurde. Der Versuch misslang, Lugowoi verbrachte 14 Monate im Gefängnis. Danach versuchte er sich als Geschäftsmann und zog nach eigenen Angaben ein einträgliches Unternehmen, unter anderem zur Vermarktung eines Erfrischungsgetränks, auf. Zugleich betreibt er zusammen mit seinen beiden früheren Studienkollegen an der Militärakademie, Dmitri Kowtun und Wjatscheslaw Sokolenko, eine Wach- und Sicherheitsfirma am Stadtrand von Moskau.
Seine Geschäftspartner Kowtun und Sokolenko begleiteten Lugowoi nach dessen Angaben auch bei seinem Treffen mit Litwinenko am 1. November in London. Die Unterredung war demnach "rein geschäftlicher Natur". Für den folgenden Tag sei eine weitere Verabredung getroffen worden. Litwinenko habe jedoch telefonisch abgesagt, da er sich nicht wohl gefühlt habe. Am 23. November starb der frühere Agent. Auf dem Sterbebett machte er Putin für seinen Tod verantwortlich. Beresowski deutete mehrfach nebulös an, sein früherer Leibwächter Lugowoi könne "ins Kreml-Lager zurückgekehrt sein". (stu)