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Reise

Schwieriger Neustart für Kreuzfahrten

Anja Steinbuch
5. August 2020

Leinen los oder absagen? Reedereien kämpfen für Rückkehr ins Kreuzfahrtgeschäft. Der Re-Start wird zur Bewährungsprobe für eine milliardenschwere Branche.

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Laufstrecke an Bord der „Mein Schiff 2“
Bild: M. Melzer

Die Kreuzfahrtbranche kämpft sich ins Geschäft zurück. Allerdings kam es innerhalb von 24 Stunden zu zwei Absagen: Erst musste Aida Cruises die geplanten Mini-Kreuzfahrten auf der Ostsee für die erste Augusthälfte streichen – weil bei elf Crew-Mitgliedern Corona-Infektionen festgestellt worden waren und italienische Behörden kein grünes Licht gaben. Kurz danach stoppte die norwegische Reederei Hurtigruten vorerst alle Reisen mit ihren drei Expeditionsschiffen. Positive Corona-Tests bei 36 Besatzungsmitgliedern auf der "Roald Amundsen" und bei einigen Passagieren waren der Grund.

ein Crewmitglied misst die Abstände zwischen den Liegen an Deck
Tui-Crewmitglieder messen die Abstände zwischen den LiegenBild: M. Melzer

Vor dem Frühstück erstmal Fieber messen

Branchenbeobachter Alexis Papathanassis von der Hochschule Bremerhaven sieht in den jüngsten Meldungen und Absagen trotzdem ein gutes Zeichen: "Transparente Kommunikation und die konsequente Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen sind genau der richtige Weg, um wieder durchzustarten." Die Buchungszahlen bei den größten deutschen Anbietern bestätigen das. Viele Kreuzfahrt-Fans können es kaum abwarten, wieder an Bord zu gehen. Martin Melzer aus Frankfurt gehört dazu. Der begeisterte Kreuzfahrer und Blogger hatte sich bei Tui Cruises auf der "Mein Schiff 2" eingebucht - und die dreitägige Mini-Kreuzfahrt fand tatsächlich vor wenigen Tage statt: ohne Stopp von Hamburg über Kristiansand in Norwegen und zurück.  

Eine Szene wird Martin Melzer dabei nicht vergessen: Als bei der Rückfahrt nach Hamburg plötzlich zwei Tui-Schwesternschiffe auftauchten und den ersten deutschen Ozeanriesen, der nach der Zwangspause mit Passagieren in See gestochen war, flankierten und mit lauten Schiffshupen begrüßten. 

Zwei Tui-Schiffe begegnen sich auf dem Meer
Gänsehaut-Moment: Schwesternschiff eskortiert "Mein Schiff 2"Bild: M. Melzer

Gänse-Hautmomente. Sie sind der Grund, warum der Seefahrt-Begeisterte bereits zum 64. Mal auf den Weltmeeren unterwegs war. Doch diese Reise war wahrscheinlich die ungewöhnlichste, die er je angetreten ist.

Melzer war einer der knapp 1.200 Passagiere, die gemeinsam mit 800 Crew-Mitgliedern nach dem Lockdown auf einem der großen Ozeankreuzer in See stechen konnten. Am Anfang hieß es für alle: Fieber messen mit einer digitalen Wärmebild-Kamera. Das wiederholte sich jeden Morgen. Alle Check-In-Terminals und Empfangstresen waren mit Plexiglas verkleidet, unter Deck und an Deck waren Desinfektionsmittel-Stationen aufgebaut. Menschen, Sonnenliegen und Stühle hatten 1,50 Meter Abstand zu halten. Maskenpflicht galt dort, wo es eng war: in Kabinengängen und im Fahrstuhl. Disco und Sauna blieben geschlossen. Eng sei es eigentlich nie wirklich geworden, so Melzer. Schließlich war das Schiff, das für knapp 3.000 Gäste ausgerichtet ist, nur zur Hälfte belegt. 

Porträt Martin Melzer auf der "Mein Schiff 2"
Martin Melzer, Blogger und begeisterter Kreuzfahrer Bild: M. Melzer

Unruhige Gewässer für Kreuzfahrten

Hochseekreuzfahrten gehörten bis zum Corona-Ausbruch weltweit zu den beliebtesten Arten, Urlaub und Freizeit zu verbringen. Rund 30 Millionen Passagiere zählten die Reedereien im vergangenen Jahr. Der Großteil kam aus den USA. Von den europäischen Gästen gehen die Deutschen am häufigsten auf große Fahrt. Hat die Pandemie diesem Trend ein Ende gesetzt? 

Die Pionierfahrt des Tourismus-Konzerns TUI Cruises sorgte für internationale Aufmerksamkeit. Sowohl die US-Konkurrenz – der Carnival Konzern und die dazugehörige italienische Costa Crociere - haben ihre Schiffe noch nicht vom Anleger weg bewegt. Dort gab es kein grünes Licht von den Aufsichtsbehörden.

Tui Cruises wagte nun eine Bewährungsfahrt, bei der Fehler nicht erlaubt waren. Undenkbar, was passieren würde, wenn sich Bilder, wie die von der "Diamond Princess" vor der japanischen Küste, wo an Bord das Virus ausgebrochen war, wiederholen würden. 

Pool auf Nordsee-Törn
Viel Platz am Pool, das Schiff ist nur zur Hälfte belegtBild: M. Melzer

Damit das nicht passiert, haben sich Behörden, Hafenstädte und die drei deutschen Kreuzfahrt-Reedereien Aida, Hapag-Lloyd Cruises und Tui Cruises auf ein Protokoll für den Neustart der Hochsee-Kreuzfahrt in Deutschland geeinigt: In drei Stufen soll mit Hilfe von Leitlinien für den Infektionsschutz hochgefahren werden. Der Plan sieht zunächst Kreuzfahrten von deutschen Häfen ohne Hafenstopps und mit deutlich reduzierter Passagierkapazität vor. Bevor ein Schiff wieder mit Passagieren fährt, geht dort zunächst die Crew in eine 14tägige Quarantäne. Corona-Tests sind für Crew-Mitglieder Vorschrift. Wie unsicher die Situation weiterhin ist, zeigt die Tatsache, dass sowohl Tui Cruises die für den 31. Juli geplante erste Kurzreise ab Kiel absagen musste, als auch Aida alle in den kommenden Wochen geplanten kurzen Törns cancelt. Eine fehlende Genehmigung von italienischen Behörden sei bei der unter italienischer Flagge fahrenden Kussmund-Flotte der Grund gewesen.

Fiebermessen beim Check-in
Beim Check-in und täglich an Bord: Fiebermessen für alleBild: M. Melzer

Kreativität und Durchaltevermögen gefragt

Probleme bereiten nicht nur die Infektionsrisiken für die Gäste, sondern auch die internationalen Reisebeschränkungen für die Angestellten. Oft gelangen die Crewmitglieder nicht rechtzeitig zum Schiff, hinzu kommen positive Corona-Tests unter der Besatzung. Haben es alle gesund aufs Schiff geschafft und zwei Wochen Quarantäne hinter sich gebracht, dann sind vorerst nur reine Seereisen nach dem Prinzip "cruise to nowhere" vorgesehen, höchstens Panoramafahrten durch norwegische Fjorde. Geplant ist eine schrittweise Erweiterung auf Reisen mit einzelnen Hafenstopps, sofern die Reisebeschränkungen das zulassen und der Infektionsschutz in den Häfen gewährleistet ist. In der dritten Phase sollen gewohnte Fahrrouten wieder aufgenommen werden.

Plätze im bord-Fahrstuhl sind mit Klebeband auf dem Boden markiert
Sicherheit im Fahrstuhl an Bord: Maskenpflicht inklusiveBild: M. Melzer

"Die Reedereien stehen vor enormen logistischen und operativen Anstrengungen bei diesem Neustart", erklärt Tourismusexperte Alexis Papathanassis. Der Kraftakt sei auch finanziell riesig, "und das in einer Wirtschaftskrise vor laufenden Kameras."   Doch wenn eine Branche das schaffe, dann diese. Reedereien und Unternehmen rund um die Passagier-Schifffahrt seien sogar bestens für Krisen aller Art gerüstet, ist der gebürtige Grieche überzeugt: "Die Kreuzfahrt, wie wir sie heute kennen, ist ebenfalls aus einer Krise geboren und dann zum Erfolgsschlager geworden. Kapitäne und Reeder haben den Mut und die Kreativität, um auch diesen Sturm zu überstehen", so der 45-Jährige Professor, der an der Hochschule Bremerhaven das Fach "Cruise Tourism Management" unterrichtet. 

Bereits in den 1960er und 1970er Jahren brach das Geschäft für Passagierschiffe weltweit ein. Der Grund: Fluggesellschaften wie die Pan Am boten Transatlantik-Flüge mit neuen Jets an. Das ging deutlich schneller, so dass die Kundschaft der Reedereien fortan zu Vielfliegern wurde. Wenig später erklärten findige Reeder und Reiseveranstalter eine Atlantik-Überfahrt zum "Event". Auf See spielten bekannte Künstler auf, wurden Arien dargeboten, Meisterköche tischten 8-Gänge Menus auf, Schmuckhändler präsentierten Hochkarätiges. "Das Transportmittel wurde kurzerhand zur Destination erklärt", resümiert Papathanassis. Es war Schluss mit der Holzklasse auf dem Zwischendeck. Angesagt waren Kabinen mit Meerblick – für ein Publikum, für das der Faktor Zeit eine Nebenrolle spielt. Weltweit entstanden neue Luxus-Kreuzfahrtschiffe im Akkord.

Prof. Alexis Papathanassis
Prof. Alexis Papathanassis unterrichtet "Cruise Tourism Management" an der Hochschule in BremerhavenBild: Privat
Kreuzschiff Hygienemaßnahme mitten im Kabinenflur: Desinfektionsstation
Hygienemaßnahme im Kabinenflur: DesinfektionsstationBild: M. Melzer

Kreuzfahrten bauen auf "Cruise to nowhere" Prinzip

In dieser Kreativität sieht Branchenbeobachter Papathanassis eine große Chance für die von Pleiten, Pech und Pandemie geschüttelten Kreuzfahrtunternehmen. "Sie sind auf einem guten Weg." Schnellschüsse brauche niemand. Die neue Normalität an Bord müsse mit Vorsicht erprobt werden. "Wenn jetzt etwas schief geht, wenn an Bord das Virus ausbricht, schadet das dem Ruf einer ganzen Branche."

Kreuzfahrt-Fan Martin Melzer hat Vertrauen in die Branche und lässt sich von Absagen nicht beeindrucken. Er ist auf jeden Fall weiter dabei: Leider wurde seine 65. Hochsee-Reise mit der norwegischen MS Spitsbergen für eine Törn rund um arktische Inselgruppe Spitzbergen vorerst storniert. Jetzt will er Ende August mit Tui Cruises auf eine Panorama-Kreuzfahrt nach Norwegen. Fjorde gucken ohne auszusteigen.