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Politik

Tunesien: Große Mehrheit für neue Verfassung

26. Juli 2022

Präsident Kais Saïed wird das Ergebnis trotz der eher schwachen Beteiligung als großen Erfolg für sich verkaufen - und beim Abbau der demokratischen Errungenschaften weitermachen.

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Nach dem Referendum: Tunesiens Staatschef Kais Saïed im Gespräch mit Anhängern in der Hauptstadt Tunis
Nach dem Referendum: Tunesiens Staatschef Kais Saïed im Gespräch mit Anhängern in der Hauptstadt TunisBild: AFP

In Tunesien zeichnet sich bei dem von der Opposition boykottierten Referendum über eine neue Verfassung eine breite Mehrheit für das umstrittene Projekt ab. Das gab der Chef der Wahlbehörde Isie, Farouk Bouasker, bekannt. Laut vorläufigen Zahlen stimmten 94,6 Prozent der Teilnehmer für den Verfassungsentwurf, der Präsident Kais Saïed deutlich mehr Macht verleihen soll. Saïed selbst sprach vor Anhängern von einer "neuen Phase", in die Tunesien nun eintrete.

Die Wahlbehörde Isie teilte mit, die Wahlbeteiligung habe bei gut 30 Prozent gelegen. Demnach gaben 2,46 Millionen der 9,3 Millionen registrierten Wähler ihre Stimme ab. Das ist wenig, aber mehr als Beobachter angesichts der Boykott-Aufrufe der Opposition erwartet hatten. Isie-Chef Bouasker sagte, die Wähler seien ihrer historischen Verantwortung gerecht geworden und hätten sich in "sehr respektabler Zahl" in die Wahlbüros begeben.

Das Referendum wurde auch als Abstimmung über Saieds bisherige Führung angesehen. Die insgesamt schwache Beteiligung könnte Saieds Kritikern Aufwind geben und dessen Legitimität schwächen. Viele Tunesier kämpfen mit Arbeitslosigkeit und Armut. Auf diese Probleme geht die neue Verfassung aber kaum ein.

Rückkehr zu autoritären Verhältnissen befürchtet

Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen befürchten infolge der Verfassungsänderung eine Rückkehr des nordafrikanischen Landes zu einem autoritären System. Sowohl die islamistischen Ennahda-Partei wie auch die säkulare Partei PDL unter Vorsitz von Abir Moussi hatten zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen und nannten das Referendum einen "illegalen Prozess" ohne Absprache.

Abir Moussi ist die Vorsitzende der säkularen Oppositionspartei PDL
Abir Moussi ist die Vorsitzende der säkularen Oppositionspartei PDL Bild: Yassine Mahjoub/NurPhoto/picture alliance

Nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse in nationalen Fernsehen fuhren Unterstützer Saïeds in Autokorsos durch die Hauptstadt Tunis. Einige von ihnen sangen die tunesische Nationalhymne, manche riefen:  "Wir würden unsere Seelen und unser Blut für dich geben, Saïed!" In den frühen Morgenstunden erschien der Präsident selbst vor jubelnden Anhängern. "Tunesien ist in eine neue Phase eingetreten", sagte Saïed laut Fernsehsendern. Er ergänzte, an den Wahllokalen habe es großen Andrang gegeben - der Saïeds Aussagen zufolge noch größer gewesen wäre, wenn an zwei Tagen abgestimmt worden wäre.

Absetzung des Staatschefs nicht vorgesehen

Nach der geplanten Verfassung kann der Präsident den Regierungschef und die Minister künftig ohne parlamentarische Beteiligung ernennen und auch wieder entlassen. Er könnte im Parlament Gesetzestexte einbringen, die Vorrang vor anderen Entwürfen hätten. Die Stellung des Parlaments würde deutlich geschwächt. Eine Absetzung des Präsidenten ist in der neuen Verfassung nicht vorgesehen.

Protestdemonstration gegen das Verfassungsreferendum vor wenigen Tagen in der Hauptstadt Tunis
Protestdemonstration gegen das Verfassungsreferendum vor wenigen Tagen in der Hauptstadt TunisBild: Zoubeir Souissi/REUTERS

Der Jurist Sadok Belaïd, den Saïed mit der Erarbeitung der Verfassung betraut hatte, distanzierte sich von der Endfassung und erklärte, sie könne "den Weg zu einem diktatorischen Regime freimachen". Saïed war Ende 2019 gewählt worden. Vor einem Jahr entmachtete er unter Berufung auf Notstandsgesetze die Regierung und das Parlament.

sti/haz (afp, dpa, rtr, epd)