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Politik

Grundrechte fürs digitale Zeitalter

Christoph Ricking
2. Dezember 2016

Eine Gruppe von Prominenten hat einen Vorschlag für eine EU-Charta für digitale Grundrechte aufgesetzt. Der EU-Parlamentarier Jan Philipp Albrecht ist einer der Initiatoren. Im Interview erklärt er den Zweck der Charta.

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Belgien Brüssel Digitale Rechte im Europäischen Parlament
Bild: Europa Parlament

Neben Jan Philipp Albrecht, Mitglied der Grünen im Europäischen Parlament, gehören unter anderem EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, die Schriftstellerin Juli Zeh, der Blogger Sascha Lobo und 23 weitere Prominente zu den Initiatoren der Charta für digitale Grundrechte. Der Entwurf umfasst 23 Artikel und macht unter anderem Vorschläge zur Autonomie und Freiheit des Einzelnen, zum Einsatz und zur Entwicklung künstlicher Intelligenz, zur Datensicherheit und zum Umgang mit Hetze und Hass im Internet. Die Charta wurde in mehreren überregionalen Zeitungen veröffentlicht sowie im Internet.

Deutsche Welle: Warum braucht die EU eine Charta der digitalen Grundrechte?

Jan Philipp Albrecht: Die Charta ist ein Entwurf, der zur Diskussion beitragen soll. Das ist eine Diskussion, die schon länger anhält. Es geht darum, ob wir die bestehenden Grundrechte ergänzen müssen oder gar neue Grundrechte schaffen müssen, um unsere Werte und unsere Freiheiten auch im digitalen Zeitalter effektiv schützen zu können. Da gibt es viele offene Fragen, beispielsweise wenn es um Künstliche Intelligenz geht, wenn es um die Frage der Privatsphäre in einer komplett vernetzten Welt geht, um die Sicherheit unserer Systeme und der öffentlichen Räume, die zur Verfügung stehen, die auch für die Meinungsfreiheit bestehen müssen. Und die diskutiert dieser Entwurf. Möglicherweise führt diese Diskussion am Ende dazu, dass wir gemeinsam in Europa und vielleicht auch international Grund- und Menschenrechte anpassen an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters.

Wie sind die Reaktionen auf die Charta?

Die Diskussion hat in jedem Fall begonnen. Wir haben sehr viele Rückmeldungen. Sehr viele kritische aber auch sehr viele positive. Allesamt nehmen sie an, dass dies eine wichtige Diskussion und dass man sich damit auseinandersetzen muss, wie wir tatsächlich Grundrechte so formulieren können, dass sie eben im digitalen Zeitalter richtig sitzen und dass wir uns weiterhin als Gesellschaft da gut organisieren. Ich habe das Gefühl, wir haben da einen Nerv getroffen mit diesem Vorschlag. Viele Menschen wünschen sich, dass es da endlich weitergeht. Jetzt gibt es überhaupt erstmal einen ersten Entwurf. Das heißt nicht, dass dieser Entwurf das letzte Wort ist. Das soll er auch gar nicht sein. Im Gegenteil, dies ist eine offene Einladung, eigene Vorschläge zu machen, unsere Vorschläge zu ändern und weiter zu verbessern und am Ende dafür zu sorgen, dass eine Stimmung entsteht, in der die Gesellschaft sagt: Wir wollen Grundrechte neu schaffen oder ergänzen und verbessern.

Es gibt Kritik etwa an der Regelung, "Aktivitäten, die den Ruf" einer Person gefährden, sollen "verhindert" werden. Staatliche Stellen und Internetdienste werden verpflichet, digitale Hetze und Mobbing zu verhindern. Hieße das, dass Google oder Facebook zu einer Vorabkontrolle von Kommunikation gedrängt werden sollen? Wie wollen Sie verhindern, dass der schmale Grat zur Zensur nicht überschritten wird?

EU-Parlament - Abgeordneter Jan Philipp Albrecht
EU-Parlament - Abgeordneter Jan Philipp AlbrechtBild: picture-alliance/dpa/F. Schumann

Gerade im digitalisierten Raum werden ganz essentielle öffentliche Räume, wie zum Beispiel soziale Netzwerke, Kommunikationsnetze, die ganze Infrastruktur des Internets nicht durch öffentliche Behörden kontrolliert oder gar verwaltet. Sie sind in der Hand von privaten Unternehmen, in der Hand von Konzernen. Diejenigen, die die Hoheit und volle Kontrolle über diese Räume haben, müssen auch zur Gewährleistung von Grundrechten herangezogen werden können. Eine andere Frage ist: Was ist der richtige Ausgleich, was ist die richtige Maßnahme zur Durchsetzung dieser Grundrechte? Es ist klar, dass die Aussage, dass keine Hetze, kein Mobbing, keine Rufschädigung stattfinden sollte, eine inhaltliche Zielbestimmung dieser Grundrechtecharta darstellt. Sie weist nicht darauf hin, was die konkrete Maßnahme ist. Ich glaube, alle sind sich einig – und dafür spricht auch an anderer Stelle die Aussage, dass eine Zensur nicht stattfindet – dass natürlich keine Vorabkontrolle in dieser Charta gefordert wird. Das wäre widersinnig, weil es eben diese anderen Bestimmungen in der Charta gibt. Es geht - wie auch schon heute - um die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit auf der einen und dem Schutz von Rechten Dritter auf der anderen Seite und darum die entsprechenden Maßnahmen zu finden. Es ist wichtig, festzuhalten, dass Menschen den Anspruch haben, vor Rufschädigung und Hetze auch im Digitalen geschützt zu werden. Diesen Anspruch hat man übrigens auch heute schon, das ist häufig richterrechtlich formuliert. Das ist bei weitem kein Vorschlag, eine Zensurmaßnahme herbeizuführen oder Vorabkontrollen durchzuführen. Das würde ich auch für absolut falsch halten.

Warum sind bei einer Charta für Europa alle Initiatoren und Unterstützer Deutsche?

Die Autorengruppe besteht aus Deutschen, weil die Zeit-Stiftung dies so aufgesetzt hat. Das Ganze ist aus Gesprächen mit Frank Schirrmacher [der inzwischen verstorbene Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, d. Red.] entstanden. Die Stiftung hat sich dazu entschlossen, eine Runde einzuberufen, wo unterschiedlichste Vertreter von allen Parteien, allen unterschiedlichen Meinungsgruppierungen, Verbänden, Zivilgesellschaft, Unternehmen zusammengebracht werden. Die sollten darüber diskutieren, wie man Grundrechte im digitalen Zeitalter und in Zukunft schützen kann. Diese Gruppe hat sich selbstständig in den Diskussionen dazu entschlossen, zu sagen, es macht keinen Sinn, das national aufzusetzen, sondern wir müssen einen Impuls nach Europa liefern. Diesen Impuls liefert diese Gruppe aus deutschen Experten und Expertinnen. Unter den Unterstützern sind bereits einige Personen, die nicht aus Deutschland sind. Es ist die explizite Meinung der Autoren und Autorinnen, dass wir diesen Prozess und diese Debatte europäisieren wollen. Wir wollen diesen Anstoß übersetzen und viele andere Menschen in die Situation versetzen, daran weiterzuarbeiten - auch aus unterschiedlichen Perspektiven anderer europäischer Länder.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass die Charta als Ganzes oder Teile von ihr in die europäische Gesetzgebung einfließen werden?

Es gibt Leute, die unterstellen, dass hier irgendwas durchgedrückt werden oder gar abgestimmt werden soll. Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall. Es wird zwar am Montag eine Vorstellung der Charta im Europaparlament geben mit Unterstützung von Parlamentspräsident Schulz, der in dieser Gruppe tätig war. Das ist ein Vorgang, der relativ häufig passiert. Da wird aber nichts abgestimmt. Es ist auch nicht absehbar, dass wir von heute auf morgen plötzlich einen Prozess im EU-Parlament oder irgendwo anders haben, um eine Art Verfassungskonvent einzuberufen, der das jetzt sofort beschließt. Dazu ist die Situation in Europa gerade überhaupt nicht gegeben. Die Wahlen im kommenden Jahr und die Verhandlungen über den Brexit sorgen dafür, dass Vertragsveränderungen auf die lange Bank geschoben werden. Ich würde es stattdessen so sehen: Wenn das nächstemal die EU-Verträge geändert werden, dann muss sowieso wieder ein Vertragskonvent einberufen werden. Und dann fände ich es richtig, dass dieser Vertragskonvent auch solche Initiativen und solche Gedanken mit aufgreifen sollte: Wie können die Grundrechte ergänzt werden, damit man sie fürs digitale Zeitalter fit macht.

Der Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht gehört seit 2009 dem Europäischen Parlament an. Er ist dort stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses.

Das Interview führte Christoph Ricking.