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Grundsatzfrage: Der Streik der Piloten

Andreas Becker2. April 2014

Piloten gehören in Deutschland zu den Spitzenverdienern mit Gehältern ab 70.000 Euro im Jahr. Und sie setzen sich früher zur Ruhe als andere. Damit das so bleibt, streiken sie. Doch ist das noch verhältnismäßig?

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Piloten im Cockpit (Foto: Fotolia/Marcito)
Bild: Fotolia/Marcito

Die Lufthansa Group hat 117.000 Mitarbeiter. Nur 5400 von ihnen streiken, trotzdem geht bald nichts mehr - 3800 Flüge fallen aus. "Der Streik ist von der Dimension einmalig", sagt Hagen Lesch, Tarifexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), der DW. Drei Tage am Stück hätten die Piloten noch nie gestreikt. "Sie wählen hier eine Streikintensität, die dem Unternehmen doch erheblich schadet."

Die Macht der Piloten, deren Interessen die Gewerkschaft "Vereinigung Cockpit" vertritt, ist groß. Groß sind auch ihre Bezüge und Privilegien. Die Einstiegsgehälter von Piloten liegen bei rund 70.000 Euro im Jahr, in der Spitze werden bis zu 255.000 Euro verdient. Zudem können Flugkapitäne schon mit 55 Jahren in den Vorruhestand gehen und bis zum offiziellen Rentenbeginn eine sogenannte Übergangsversorgung von jährlich 124.000 Euro beziehen.

Früh in Rente

Der Beruf des Piloten sei wegen der ständigen Zeitverschiebungen und den langen Arbeitszeiten sehr anstrengend, sagt Markus Wahl von Cockpit. "Wenn jemand sagt: Ich kann diese Arbeit nicht mehr machen, es ist zu anstrengend und es wäre nicht mehr sicher, wenn ich noch ein Flugzeug steuere - dann muss dieser Kollege auch die Möglichkeit haben, in Rente zu gehen, zu einem Zeitpunkt, den er selbst festlegt."

Die Lufthansa hat sich ein Sparprogramm namens "Score" verordnet und findet vor allem die Übergangsversorgung der Piloten zu teuer. In Deutschland betrage der Anteil der Piloten unter den aktiven und ehemaligen Mitarbeitern der Airline zehn Prozent. "Auf diese zehn Prozent entfallen aber 40 Prozent der gesamten Vorsorgeaufwendungen", sagte Lufthansa-Personalchefin Bettina Volkers in einem Spiegel-Interview. "Diese Kosten sind für uns durchaus relevant."

Die Lufthansa hat daher den Vertrag zur Frühverrentung zum Jahreswechsel gekündigt. Sie will, dass ihre Piloten nicht mehr mit durchschnittlich 58, sondern mit mindestens 60 Jahren in den Vorruhestand gehen. Wegen dieser einseitigen Kündigung streikt die Pilotengewerkschaft Cockpit. Die außerdem geforderte Lohnsteigerung von zehn Prozent über zwei Jahre hat mit dem aktuellen Streik nichts zu tun.

Der Kranich bleibt am Boden

Ja oder Nein

"Das ist eine Art Grundsatzkonflikt", sagt IW-Tarifexperte Hagen Lesch. Anders als beim Streit über Lohnerhöhung gebe es dabei keinen Spielraum für Verhandlungen, sondern nur ein Ja oder Nein. "Ist Cockpit bereit, eine geltende Regelung fallen zu lassen? Die Piloten sind der Meinung, das ist ein Besitzstand, den sie nicht aufgeben."

Länger arbeiten, weniger Rente - für zahlreiche Menschen in Deutschland ist das längst Realität. Trotzdem verteidigt Cockpit-Sprecher Jörg Hardweg die Ansprüche der Piloten: "Wir sind ganz normale Arbeitnehmer und bringen eine gute Leistung", so Hartwig gegenüber dem Spiegel. "Und wir wollen nicht immer schlechter verdienen, nur weil uns andere das Geld nicht gönnen." Schließlich hätten Piloten einen anstrengenden Job und Verantwortung für Menschenleben und teure Maschinen.

"Unerträgliche Attitüde"

"Diese Attitüde ist unerträglich", schreibt der Personalberater Heiner Thorborg in einer Kolumne für das Manager Magazin. In Deutschland könne man nahezu jede Debatte mit dem Verweis auf Neid abtun. Das trage aber "nichts bei zur Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet Piloten sich nicht beteiligen wollen, wenn die anderen ihren Gürtel enger schnallen müssen." Im Übrigen seien auch Busfahrer und Krankenhausärzte für teures Material und Menschenleben verantwortlich, verdienten aber nur einen Bruchteil eines Pilotengehaltes.

Diese Frage scheinen sich die Piloten nicht zu stellen. Mehr als 99 Prozent der per Urabstimmung befragten Cockpit-Mitglieder stimmten für einen Streik.

Allerdings sind die hohen Ausgaben für die Piloten nicht das einzige Problem der Lufthansa. Alle ihre Beschäftigten haben Anspruch auf Betriebsrenten, deren Verzinsung das Unternehmen bis Ende 2013 noch garantiert hat. Nach Lufthansa-Angaben betragen die gegenwärtigen Pensionsverpflichtungen insgesamt 15,1 Milliarden Euro. Hier drängt das Management auf eine Änderung, konnte bisher allerdings mit keiner der Gewerkschaften im Unternehmen eine Einigung erzielen.

Tarifeinheit?

Bei der Lufthansa werden Piloten, Kabinenpersonal und Mitarbeiter am Boden durch unterschiedliche Gewerkschaften vertreten. "Das Problem aus Sicht des Unternehmens ist, dass man hintereinander ständig Tarifverhandlungen hat und relativ häufig Konflikte auftreten, die nicht gleichzeitig ablaufen", sagt Hagen Lesch vom Institut der Deutschen Wirtschaft.

Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der konservativen Unionsparteien im Bundestag, sieht hier den Gesetzgeber gefordert. "Der Pilotenstreik bei der Lufthansa wird einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden auslösen. Diesen Fall sollten wir zum Anlass nehmen, über eine Gesetzesänderung nachzudenken", so Vaatz gegenüber der Zeitung Rheinische Post.

Das Ziel, den Wettbewerb der Gewerkschaften zu kanalisieren, stehe auch im Koalitionsvertrag der Regierung, sagt IW-Tarifexperte Lesch. "Eine Regelung könnte so aussehen, dass ein Tarifvertrag, der für die Mehrheit der im Betrieb Beschäftigten gilt, eine Friedenspflicht begründet." Dann könnten Piloten nicht streiken, wenn sich das Bodenpersonal mit der Lufthansa einigt. Weil das ihre Macht schlagartig verringern würde, wollen kleine Gewerkschaften wie Cockpit notfalls vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Kosten und Ziele

Die Lufthansa erwartet durch den dreitägigen Streik Kosten im hohen zweistelligen Millionenbereich. Das operative Ergebnis der Fluggesellschaft ist in den vergangenen Jahren ständig geschrumpft - von rund einer Milliarde Euro im Jahr 2010 auf zuletzt 697 Milliarden. Trotzdem hat der scheidende Konzernchef Christoph Franz den Anlegern für 2015 einen operativen Gewinn von 2,65 Milliarden Euro versprochen, eine Steigerung von 350 Prozent gegenüber 2013.

Die größten Eigner der Lufthansa sind die US-Investmentgesellschaften Blackrock, Capital Group und Templeton, die laut Jahresbericht der Lufthansa jeweils rund fünf Prozent der Anteile halten. Der Rest befindet sich im Streubesitz.