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Gruppenvergewaltigung entlarvt Kastensystem

Murali Krishnan / bh2. Juni 2014

Die brutale Vergewaltigung zweier Teenager-Mädchen zeigt, wie massiv Frauen in Indien sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Experten betonen, dass vor allem die Frauen niedriger Kasten Opfer werden.

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Proteste gegen Vergewaltigungen in Indien, Uttar Pradesh (Foto: dpa)
Frauenprotest: "Es war nicht meine Schuld - Es war Vergewaltigung"Bild: picture-alliance/dpa

Fast eine Woche ist vergangen seit der Gruppenvergewaltigung zweier Mädchen aus der Kaste der Dalit im kleinen Dorf Katra im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Mehrere Politiker und Regierungsvertreter haben die Angehörigen besucht, um ihr Beileid auszusprechen und Entschädigung anzubieten. Aber die trauende Familie weigert sich, Geld anzunehmen.

Am Dienstag (27.05.2014) wurden zwei 14- und 15-jährige Cousinen vermisst, nachdem sie aufs Feld gegangen waren, weil es in ihrem Haus keine Toilette gab, so die offiziellen Angaben der Polizei. Am nächsten Tag zeigte das indische Fernsehen Bilder der Dorfbewohner: Sie saßen unter einem Baum, von dem die Körper der Mädchen im Wind schwangen, und hielten die Behörden davon ab, die Leichen herunterzuholen, so lange keine Verdächtigen verhaftet worden seien. Eine Autopsie ergab, dass die Mädchen vergewaltigt worden waren, bevor sie erhängt wurden. Am nächsten Tag nahmen die Sicherheitskräfte zwei Polizeibeamte und zwei Dorfbewohner fest, nach drei weiteren Verdächtigen wird noch gesucht.

Nicht mal eine Woche später ist ganz in der Nähe im Distrikt Bareilly in Uttar Pradesh eine 22-jährige Frau nackt auf einem Feld gefunden worden - vergewaltigt und getötet. Das wurde am Montag (02.06.2014) bekannt. Auch diesmal soll die Polizei erst auf Druck reagiert haben.

In den vergangenen Jahren hat es mehrere spektakuläre Vergewaltigungsfälle in Indien gegeben. Doch diese jüngsten Fälle beleuchten die Verbindung zwischen dem Kastensystem und der zunehmenden sexualisierten Gewalt gegen Frauen.

Symbolbild Gewalt gegen Frauen in Indien (Foto: picture alliance/Dinodia Photo Library)
Im Abstand von wenigen Tagen sind mehrere Fälle von Gruppenvergewaltigungen bekanntgewordenBild: picture alliance/Dinodia Photo Library

"Gibt es überhaupt Gerechtigkeit für Menschen niederer Kasten wie uns? Müssen wir immer wie Tiere leben und uns behandeln lassen?", fragte Lilawati, ein Nachbar der in Katra ermordeten Mädchen. Der Vater des einen Mädchens stand bewegungslos in einer Ecke seiner armseligen Hütte. Er reagierte erst, als die Diskussion sich darum drehte, ob den Mördern seiner Tochter Gerechtigkeit widerfahren werde. "Zwei Polizisten waren an dem Übergriff beteiligt. Ich habe ihre Vorgesetzten angefleht, sie zu verhaften, aber sie haben mich nicht angehört. Gerechtigkeit ist für uns nicht vorgesehen. Dalits werden wie Hunde behandelt", sagte er gegenüber der DW und fügte hinzu: Hätte die Polizei seine vermisste Tochter sofort gesucht, hätte sie sie retten können.

Eine ganze Serie von Vergewaltigungen

Die jüngsten Überfälle werfen ein grelles Licht auf Indiens anhaltenden Kampf mit sexualisierter Gewalt. Die Sicherheit von Frauen in Indien steht im internationalen Rampenlicht seit der Gruppenvergewaltigung und Ermordung einer 23-jährigen Studentin in einem Bus in Neu Delhi Ende 2012. Der Vorfall wurde in der ganzen Welt verurteilt und führte dazu, dass strengere Gesetze erlassen wurden.

Nach offiziellen Angaben verüben Männer jedes Jahr 25.000 Vergewaltigungen in Indien, einem Land mit 1,2 Milliarden Einwohnern. Aktivisten halten dagegen, dass diese Zahl zu niedrig sei, weil die Opfer von der Familie oder der Polizei oft gedrängt werden, die Verbrechen nicht anzuzeigen. Statistiken zeigen, dass Frauen der Dalit, der niedrigsten Kaste der ehemaligen "Unberührbaren", belästigt, vergewaltigt und sogar ermordet werden, ohne dass den Tätern Konsequenzen drohen. Das weist darauf hin, dass sich nicht viel geändert hat, obwohl Indien das Thema Vergewaltigung mittlerweile ernster nimmt als früher.

"Es ist völlig klar, dass Mitglieder herrschender Kasten sexualisierte Gewalt gegen Dalit-Frauen und -Mädchen benutzen, um sie zu bestrafen, ihre Macht zu demonstrieren oder einfach persönliche Streitigkeiten zu entscheiden", erklärte Ranjana Kumari vom Center for Social Research gegenüber der DW.

Angeklagte in einem Vergewaltigungsverfahren, August 2013 (Foto: Reuters)
Die öffentliche Empörung wächst - Angeklagte in einem VergewaltigungsverfahrenBild: Reuters

Kastenwesen fördert Gewalt

Dalits stellen 21 Prozent der 200 Millionen Menschen im Bundesstaat Uttar Pradesh. "Dalit-Frauen sind viel gefährdeter, Opfer von Sexualverbrechen zu werden, als Mitglieder anderer sozialer Gruppen. Sie fühlen sich unsicher und sind zudem mit struktureller Gewalt konfrontiert", so Kalpana Kannabiran vom Council for Social Development im DW-Gespräch. Und das Kastenwesen erlaube solche Verbrechen ohne jede Kontrolle.

Vrinda Grover, Rechtsanwältin und Frauenrechtsaktivistin, hat in vorderster Front dafür gekämpft, dass Indiens Gesetze Vergewaltigung strenger bestrafen - und sie findet, dass sich an der Basis wenig geändert hat. "Sehen Sie sich die systematische und alltägliche Gewalt an, die Dalit-Mädchen und -Frauen erleben. Und da behaupten einige Menschen immer noch, dass die Kasten keine Bedeutung mehr hätten. Wir sollten uns alle schämen."