Grüne beraten über Wahlprogramm
16. Juni 2017Der Parteitag im Berliner Velodrom hatte gerade erst mit diversen Grußworten begonnen, da fuhr vielen Delegierten schon der Schreck in die Glieder: Eine Berliner Grüne zeigte sich als wenig taktvolle Gastgeberin und rüffelte vom Rednerpult herab die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Die sind zwar von der Parteibasis zum Spitzenduo gewählt worden, aber vielen Parteilinken - so auch ihr - zu moderat.
Es geschah also nur wenige Minuten nach Beginn des Parteitags genau das, was den Grünen schon so oft geschadet hat: Interne Querelen, Streitigkeiten zwischen den Parteiflügeln, Selbstbeschau. Genau das soll, so der Wunsch der Parteiführung und der Mehrheit der 800 Delegierten, im Wahlkampf abgestellt werden. Und natürlich auch nicht den dreitägigen Parteitag sprengen, an dessen Ende sich die Grünen möglichst einmütig hinter ihrem Wahlprogramm versammeln wollen.
Anpfiff vom Bundesgeschäftsführer
Und so sah sich Bundesgeschäftsführer Michael Kellner genötigt, zum Rednerpult zu spurten und die Delegierten mit unverhohlenem Ärger in der Stimme zu ermahnen: "Wir versammeln uns hinter unserem Spitzenduo!" Özdemir und Göring-Eckardt seien von der Parteibasis demokratisch gewählt worden, und diese Wahl gelte.
Eine Stunde nach Kellners kleinem Wutausbruch war die Harmonie schon wieder hergestellt - durch eine, wie viele Delegierte anschließend urteilten, sehr kämpferische und pointierte Rede von Parteichef Cem Özdemir. Seinen Auftritt hatte die Parteitags-Regie sorgfältig geplant: Als Vorredner zum "Warm Up" trat Jesse Klaver auf, der charismatische Chef der niederländischen Grünen, der bei der Parlamentswahl im Frühjahr ein fulminantes Ergebnis eingefahren hatte.
Während Özdemir dann eine Stunde lang sprach, standen hinter ihm auf der Bühne all jene Grüne, die im September für den Bundestag kandidieren - und demonstrieren so den Wunsch der Partei nach Einigkeit. Der Spitzenkandidat meldete den Anspruch der Grünen an, nach der Bundestagswahl im Bund mitzuregieren. "Ab September soll an uns Grünen kein Weg mehr vorbeiführen."
"Die Grünen sind nicht überflüssig"
Dass "Grüne den Unterschied in einer Regierung machen", zeige sich, wenn man die Koalitionsverträge in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen (CDU und FDP) und Schleswig-Holstein (CDU, FDP und Grüne) miteinander vergleiche, sagte Özdemir. Die Grünen stünden für eine ökologische Politik, die die anderen Parteien nicht zu bieten hätten. Wer etwa bei Klimaschutz allein auf die CDU und Angela Merkel setze, der "solle sich lieber eine Schwimmweste kaufen", frotzelte der Spitzenkandidat. Die Zeit der fossilen Energien sei vorbei und die Zukunft liege in abgasfreien Autos, die besser in Deutschland entwickelt werden sollten als andernorts.
Nach Özdemir, der minutenlangen begeisterten Applaus für seine Rede bekam, stieß Winfried Kretschmann ins gleiche Horn: "Ob Deutschland eine Zukunft als Industriestandort hat, wird sich daran entscheiden, ob wir die ökologische Transformation unserer Wirtschaft hinbekommen", sagte der einflussreiche Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Dazu brauche es "mehr denn je die Grünen", die in immerhin zehn deutschen Bundesländern mitregierten. "Es fehlt nur noch der Bund."
Bundesweit liegen die Grünen in den Umfragen derzeit nur bei etwa sieben Prozent. Sie hoffen aber auf spürbaren Aufwind durch ihren dreitägigen Parteitag. Vor der Abstimmung über die Endfassung des Wahlprogramms am Sonntag liegen allerdings noch einige kontroverse Debatten, die den Wunsch nach Geschlossenheit erneut auf die Probe stellen könnten.