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Parteibasis wählt Spitzenkandidaten

Nina Werkhäuser10. November 2012

Als erste Partei haben die Grünen alle Mitglieder über Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl abstimmen lassen. Die Parteispitze selber hatte sich nicht einigen können.

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Jürgen Trittin (links) und Katrin Göring-Eckardt, die frisch gewählten Spitzenkandidaten der Grünen für die Bundestagswahl, stellen sich lächelnd den Fragen der Presse. Foto: dapd
Bild: dapd

Mit Jürgen Trittin haben alle gerechnet - der Fraktionsvorsitzende im Bundestag ist der starke Mann bei den Grünen und bei der Basis beliebt. Der 58-jährige ehemalige Umweltminister bekam mit knapp 72 Prozent das beste Ergebnis von allen 15 Bewerbern. Trittin hatte von Anfang an Anspruch auf den Posten des Spitzenkandidaten erhoben - und freute sich über die Bestätigung der Parteimitglieder. "Das ist eine Ehre und eine Herausforderung. Jetzt geht es darum, die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten abzulösen."

Eine Überraschung war das klare Votum der Basis für Katrin Göring-Eckardt, die seit 14 Jahren für die Grünen im Bundestag sitzt und Vizepräsidentin des Parlaments ist. Göring-Eckardt, die der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vorsitzt, ist eher eine Frau der leisen Töne. Die 46-jährige Thüringerin hängte ihre populären Mitbewerberinnen klar ab - Parteichefin Claudia Roth und die Fraktionsvorsitzende Renate Künast. "Das war nicht der Wahlausgang, den ich für am wahrscheinlichsten gehalten habe", kommentierte Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke das Ergebnis. "Aber die Grünen sind eben immer für Überraschungen gut."

Schlappe für die Parteivorsitzende

Beobachter hatten Claudia Roth als Favoritin gehandelt, doch sie landete bei den Frauen weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Ein Dämpfer für die agile, zuweilen etwas schrille Parteivorsitzende, die in der Öffentlichkeit weitaus präsenter ist als die zurückhaltende Göring-Eckardt. "Das ist Demokratie", nahm Claudia Roth ihre Niederlage sportlich. Trotz der Wahlschlappe will sich Roth, die am längsten amtierende Parteivorsitzende in der Geschichte der Grünen, offenbar auf dem Bundesparteitag am 16. November zur Wiederwahl stellen.

Die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, vor dem Logo der Partei. Foto: dapd
In der Urwahl durchgefallen: Parteichefin Claudia RothBild: dapd

Das Ergebnis der Urwahl zeigt, dass die Basis die beiden Hauptströmungen in der Partei im Wahlkampf repräsentiert sehen will: Trittin vertritt den linken Flügel, Göring-Eckardt wird dem Lager der "Realos" zugerechnet, also den konservativeren Grünen. "Die Basis hat sich für eine Balance zwischen den Flügeln entschieden", so die Einschätzung von Bundesgeschäftsführerin Lemke.

Die frisch gekürte Spitzenkandidatin Göring-Eckardt sieht es ein wenig anders: Die vielen neuen Mitglieder der Grünen interessierten sich herzlich wenig für die Flügelarithmetik innerhalb der Partei. "Es ging um einen Ausgleich, um eine Mischung im Spitzenteam bezüglich der Herkunft und der politischen Biografien." In dieser Hinsicht sind die Ostdeutsche Göring-Eckardt und der zwölf Jahre ältere Westdeutsche Trittin tatsächlich ein ausgewogenes Duo. Trittins Leib- und Magenthemen sind die Energie-, Umwelt und Finanzpolitik, Göring-Eckardt beschäftigt sich vor allem mit sozialpolitischen Fragen.

Die Mitmach-Partei

Die Grünen sind die erste Partei, die ihre Mitglieder über die Spitzenkandidaten für eine Bundestagswahl haben entscheiden lassen - und feiern die Urwahl als großen Erfolg. Die Abstimmung habe die Partei mobilisiert und motiviert, so die Einschätzung der Parteispitze. 62 Prozent der Mitglieder haben die Wahlbriefe zurückgeschickt, die Auszählung der gut 35.000 Stimmen dauerte eine Woche. "Bei den Sozialdemokraten haben gerade mal drei Mitglieder den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück bestimmt", lästerte Jürgen Trittin nach seiner Kür per Urwahl.

Wahlhelfer zählen in einer Halle in Berlin die Stimmzettel für die Urwahl des Wahlkampf-Spitzenduos von Bündnis 90/Die Grünen aus. Foto: dpa
Auszählung der Stimmzettel bei der UrwahlBild: picture-alliance/dpa

"Wir können anderen Parteien dieses Verfahren nur ans Herz legen", erklärte Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke - und verschwieg dabei, dass die Grünen aus der Not eine Tugend gemacht haben. Die Parteispitze konnte sich nämlich nicht darauf einigen, wer die Grünen in den Bundestagswahlkampf führt, es gab zu viele einflussreiche Bewerber. Der drohende Streit wurde durch die Urwahl abgewendet - Basisdemokratie statt Machtkampf sozusagen.

Die medial geschickt vermarktete Urwahl hatte für die Grünen den positiven Nebeneffekt, dass sie viel öffentliche Aufmerksamkeit bekamen. So konnten sie sich als innovative und transparent agierende Partei präsentieren - eine Rolle, die die Piraten in den vergangenen Monaten teilweise für sich in Anspruch genommen hatten.  

Wahlziel: Eine rot-grüne Bundesregierung

Bei der Bundestagswahl 2013 wollen die Grünen gemeinsam mit den Sozialdemokraten die konservative Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ablösen. Beim Wahlergebnis - 10,7 Prozent auf Bundesebene im Jahr 2009 - sehen sie noch Luft nach oben. Die Erfolge der letzten Monate geben ihnen Recht: In der Landeshauptstadt Stuttgart eroberten die Grünen unlängst das Rathaus, im bisher konservativen Bundesland Baden-Württemberg regiert seit 2011 der angesehene Grüne Winfried Kretschmann. "Man kann die CDU schlagen", ist Jürgen Trittin überzeugt, "mit starken Grünen und einer Zusammenarbeit mit der SPD." Welche Themen er und Katrin Göring-Eckardt im Wahlkampf nach vorne stellen werden, darüber entscheidet dann wieder die Parteibasis - natürlich in einer Urwahl.