Gurlitt-Ausstellung in Bonner Bundeskunsthalle
3. November 2017"Der Nazi-Schatz", "Du sollst nicht stehlen", "Gurlitt war nur der Anfang". Die Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle beginnt - ganz treffend - mit dem Medienrummel, der sich nach Entdeckung der umfangreichen Sammlung in der Schwabinger Wohnung des Kunsthändlersohns Cornelius Gurlitt ab 2013 Bahn brach. Der Kunstfund wurde fast unisono komplett unter Raubkunstverdacht gestellt. Eine unglaublich emotionale Berichterstattung sei das gewesen, erinnert sich die Kuratorin Agnieszka Lulinska.
Die Sammlung von Hildebrand Gurlitt, einem Kunsthändler Hitlers, ist, wie sich nun herausstellt, weit weniger skandalös als angenommen. Der Ergebnisstand bis dato: sechs erhärtete Raubkunstfälle. Auch wenn viele Provenienzen nicht abschließend geklärt werden können, die Bonner Ausstellung macht klar, wie der Kunsthandel im Unrechtssystem der Nationalsozialisten funktionierte - und wie der Kunsthändler Gurlitt davon profitierte.
Was als NS-Raubkunst gilt
Unter NS-Raubkunst versteht man Kunstwerke, die ihren - meist jüdischen - Besitzern von den Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 geraubt oder abgepresst wurden. Auch Zwangsverkäufe, weil die Besitzer fliehen und die Kunst nicht mitnehmen konnten, gehören dazu. Mit der Washingtoner Erklärung von 1998 verpflichteten sich 44 Staaten, Raubkunst ausfindig zu machen und zurückzugeben. Sie ist allerdings juristisch nicht bindend.
Kritiker werfen Besitzern, Händlern, Museen, Auktionshäusern und Galeristen bis heute mangelndes Unrechtsbewusstsein vor, viel Raubkunst sei nie an die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Nachkommen zurückgegeben worden. Bis zu 110.000 geraubte Kunstwerke werden heute weltweit verstreut in Privatbesitz, öffentlichen Sammlungen, Museen und Galerien vermutet. Der Fall Gurlitt hat die Problematik in Deutschland in die Öffentlichkeit gerückt.
Raubkunst bei Gurlitt
Auffällig an dieser Ausstellung ist, dass die Besucher nicht nur die Bilder betrachten, sondern sich auch häufig bücken, um die Informationen neben und unter der Exponaten zu lesen. Auf kleinen Schildern steht nicht nur der Titel und der Künstler, sondern auch, durch welche Hände das Bild bis zum heutigen Tage gegangen ist. Die Provenienz ist bei jedem einzelnen Bild verzeichnet. Die wenigen Stichworte stellen selbstredend nur einen Bruchteil der Information dar, den das Projekt "Provenienzrecherche Gurlitt" seit 2015 zusammengetragen hat.
Die Nachfolgeorganisation der Taskforce "Schwabinger Kunstfund" hat im Auftrag der Bundesrepublik 1039 Objekte aus dem Gurlitt-Fund untersucht, das Projekt läuft Ende des Jahres aus. Bei etwa zwei Dritteln der Werke wird die Provenienz nicht abschließend geklärt werden können, schätzt Projektleiterin Dr. Andrea Baresel-Brand. Bisher hat sich bei sechs Werken der Raubkunstverdacht erhärtet, bei weiteren 150 besteht starker Raubkunstverdacht. Die Forschungsberichte sollen im kommenden Jahr publiziert werden. Klar ist jedoch: Der große "Nazi-Schatz" wurde hier nicht geborgen.
Profiteure und Kollaborateure des NS-Systems
Die Ausstellung ist aber durchaus erhellend. Sie bewegt sich chronologisch durch das Leben von Hildebrand Gurlitt, beleuchtet die Umstände, in denen er Kunstwerke erworben hat und zeichnet parallel die Entwicklungen der NS-Herrschaft nach. So beleuchtet sie nicht nur die Funktionsweise des damaligen Kunsthandels, sondern macht auch die konsequente und - mal mehr, mal weniger - bereitwillige Mitarbeit bei der Umsetzung des Führervorbehalts deutlich.
Hitler räumte sich sich mit dem so genannten Führervorbehalt ab 1938 das Recht ein, beschlagnahmte Kunstwerke nach seinem Gutdünken zu verteilen. Dieser Beschluss wurde nach und nach territorial sowie sachlich ausgeweitet und bildete die Grundlage für umfassende Beschlagnahmungen in großen Teilen Europas.
Kunsthandel für den Führer
Besonders für das geplante "Führermuseum" in Linz wurde gesammelt. Hildebrand Gurlitt wurde 1942 Chef-Einkäufer für das Unterfangen "Sonderauftrag Linz", war aber schon vorher ein aktiver Kunstbeschaffer. Zwischen Mai 1941 und Oktober 1944 lieferte er mindestens 300 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Tapisserien im Gegenwert von knapp 9,8 Millionen Reichsmark an Hitler. Außerdem verkaufte er für das NS-Regime den Museen entzogene "entartete Kunst".
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Kunstwerke Gurlitts von den Alliierten zwar konfisziert, er vereitelte aber etwaige Rückführung durch Falschaussagen. Gurlitt erhielt die Kunstwerke mit wenigen Ausnahmen zurück. Von 1948 bis 1956 hatte er die Leitung des Rheinischen Kunstvereins in Düsseldorf inne und realisierte Ausstellungsprogramme mit Spitzenkünstlern der Moderne wie Chagall, Beckmann und Liebermann.
Die Geschichten hinter den Bildern
Neben diesen großen Linien der Geschichte des NS-Herrschaft und des Kunstraubs, sind persönliche Geschichten über jüdische Einzelschicksale die eigentliche Stärke der Ausstellung. In Bildern und Texten wurden die Schicksale jüdischer Sammler und Künstler den Kunstwerken beigestellt. Die so genannte Menzel-Wand aus dem Jahr 1911 - mit 36 Zeichnungen von Adolph von Menzel (1815-1905) - bildete beispielsweise das Herzstück der Kunstsammlung, die im Besitz eines 1935 als jüdisch stigmatisierten Geschwisterpaares in Hamburg war. Die Schwester floh in die USA, höchstwahrscheinlich wurden die Zeichnungen veräußert, um die Flucht zu finanzieren. Hildebrand Gurlitt erwarb 23 Menzel-Blätter 1939 - und leugnete ihren Besitz nach Kriegsende. Doch mit dem Fund der Kunstsammlung in der Wohnung seines Sohnes Cornelius kamen sie wieder ans Licht. 2017 wurde eine Zeichnung an die Familie Wolffson restituiert.
Wie Stolpersteine sollen diese Geschichten wirken, sagt Kuratorin Agnieszka Lulinska. Sie selbst ist von der Lithographiesammlung von Zeichnungen Oskar Kokaschkas immer wieder besonders bewegt. Sie zeigen Kamilla Swoboda beim Genuß eines der vielen Hauskonzerte ihres Ehemanns, dem Wiener Kunsthistoriker Karl M. Swoboda. Nach der Flucht nach Prag wurde die Jüdin ins Konzentrationslager Theresienstadt und dann weiter ins KZ Lublin deportiert. Seitdem fehlt von ihr jede Spur.
Die Sichtbarmachung der Opferschicksale, die den Kunstwerken meist in mühsamer Kleinarbeit der Provenienzforschung abgerungen werden mussten, ist ein wichtiger Verdienst. Der Chef der Bundeskunsthalle Rein Wolfs brachte es so auf den Punkt: "Jedes Raubkunstwerk ist eines zu viel. Jede Restitution ist ein Riesenerfolg." Die Anstrengung darf jedoch nicht nachlassen. Fortschritte der Gurlitt-Forschung können schon nächstes Jahr begutachtet werden. Mitte September 2018 ist im Martin-Gropius-Bau in Berlin eine weitere "Bestandesaufnahme Gurlitt" geplant, in die neueste Erkenntnisse einfließen sollen.