Gutachter: Abschiebehaft-Gesetz rechtswidrig
25. November 2021Nach Einschätzung des zuständigen Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) darf Deutschland Abschiebehäftlinge nicht mit einer Sonderregel in normalen Gefängnissen unterbringen. Die deutsche Regelung von 2019, die noch bis Juli 2022 eine Inhaftierung in Justizvollzugsanstalten erlaubt, beruhe nicht auf einer Notlage gemäß der EU-Richtlinie für Rückführungen, heißt es in den Schlussanträgen des Generalanwalts Jean Richard de la Tour.
Die EU-Rückführungsrichtlinie schreibt vor, dass abzuschiebende Drittstaatsangehörige "grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen" untergebracht werden müssen. Wenn solche Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind, können die Abschiebegefangenen in normalen Gefängnissen, aber gesondert von Strafgefangenen untergebracht werden.
"Unvorhersehbare Überlastung"
Für Notlagen sieht die Richtlinie vorübergehend Ausnahmen vor, etwa bei einer "unvorhersehbaren Überlastung" einer Einrichtung durch eine "außergewöhnlich große Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist". Der Generalanwalt betonte, die Justizbehörden müssten in jedem Einzelfall prüfen, ob die Voraussetzungen für solch eine Notlage vorliegen.
Das Amtsgericht Hannover hatte den Gerichtshof um Auslegung der EU-Rückführungsrichtlinie gebeten. Im konkreten Fall war im September 2020 ein Pakistani in der Justizvollzugsanstalt Hannover, Abteilung Langenhagen, inhaftiert worden. Nach Einschätzung des Generalanwalts galt diese Einrichtung nicht als "spezielle Hafteinrichtung" im Sinne der Rückführungsrichtlinie. Denn dort waren auch Strafgefangene untergebracht. Der Pakistani konnte ihnen zwar nicht begegnen, wurde jedoch vom gleichen Personal bewacht.
Ein Urteil dürfte der EuGH frühestens in einigen Wochen fällen. Häufig folgen die Richter dem Generalanwalt; dessen Gutachten ist für sie aber nicht bindend.
jj/gri (dpa, kna)