Gysi, was nun?
22. August 2003Vor einem Jahr ist Gregor Gysi sang- und klanglos vom Amt des Berliner Wirtschaftssenators zurückgetreten, weil er in die so genannte Bonus-Meilen-Affäre verwickelt war. Wobei der PDS-Mann nicht der einzige Politiker war, der durch Dienstreisen erworbene Bonus-Punkte der Fluggesellschaften für kostenlose Privatflüge genutzt hat. Aber Gysi war einer der wenigen, die daraus Konsequenzen gezogen haben. Obwohl niemand, nicht einmal die politische Opposition, seinen Rücktritt gefordert hatte.
Sozialist Gysi zelebrierte seinen gleichermaßen überraschenden wie spektakulären Abgang damals als Akt der Glaubwürdigkeit und inneren Überzeugung. Abgenommen hat ihm das kaum einer. Entsprechend heftig fielen die Kommentare, auch in seiner Partei, der PDS, aus. Die blieb wenige Wochen später bei der Bundestagswahl unter der Fünf-Prozent-Hürde, verpasste den Wiedereinzug ins Parlament und ist seitdem als politischer Faktor auf Bundesebene von der Bildfläche verschwunden. Schuld daran, sagten viele Genossen, sei auch Gysi, weil er seine Anhänger in Ost und West durch seine Fahnenflucht enttäuscht habe.
Seitdem ist der Ex-Politiker wieder als Anwalt tätig. Im Fernsehen gab er ein kurzes, missglücktes Gastspiel als Talkshow-Moderator. Ab und zu unterhält er sich auf der Bühne des Deutschen Theaters mit bekannten Menschen, wie demnächst mit dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Ganz ohne Publikum kommt der Mann eben nicht aus. Und das Publikum, einschließlich sämtlicher Medien, kommt ohne ihn, den begnadeten Entertainer, nicht aus. Über 100 Journalisten drängelten sich denn auch im Bundespresseamt, als Gysi dieser Tage sein neuestes Buch vorstellte.
Vor zwei Jahren, als er politisch noch oben auf war, ließ er sein Werk mit dem Titel "Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn" vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine würdigen, der schon damals dort war, wo Gysi jetzt ist: im Politiker-Ruhestand. Diesmal tat ihm ein aktiver Sozialdemokrat den Gefallen, sein druckfrisches Oeuvre vorzustellen: SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Was die Vermutung nahe legt, Gysi bereite sein Comeback vor. Doch der viel Umworbene wiegelt ab: Er fühle sich sehr wohl ohne Politik. Nicht nur der Titel seines aktuellen Buches gibt Anlass dazu, an dieser Behauptung zu zweifeln: "Was nun?"